Wir sind alle Freaks!

freak_coverBERLIN. (hpd) Philipp Möller ist ex-Aushilfslehrer, Pressereferent der Giordano Bruno-Stiftung und Bestseller-Autor. Sein neues Buch „Bin isch Freak, oda was?!“ ist vor kur­zem erschie­nen und sofort auf der Spiegel-Bestsellerliste gelan­det. Der hpd hat es sich nicht neh­men las­sen sein aktu­el­les Werk zu rezen­sie­ren.

Nach sei­nem erfolg­rei­chen Erstling »Isch geh Schulhof« hat Philipp Möller vor weni­gen Tagen nun sein zwei­tes Buch »Bin isch Freak, oda was?!« vor­ge­legt. Drehte sich im Vorgänger noch alles um seine Erfahrungen als Aushilfslehrer im Mikrokosmos »Schule« so zeigt der Folgeband nun, was aus Menschen wird, wenn sie die Lehranstalt ein­mal ver­las­sen haben und erwach­sen gewor­den sind.

Möller geht dabei einen ähn­li­chen Weg: Als Aushilfslehrer nicht mehr gewollt und daher arbeits­los gewor­den, steht er nun vor dem Schultor und macht sich Gedanken dar­über, wie es nun wei­ter­ge­hen soll. Dabei kommt ihm sein Lehrerkollege und Mentor »Geierchen« zu Hilfe: »Pass ma uff«, sagt der. »Schule is ne Miniaturlandschaft unse­rer Jesellschaft. Und wenn de denkst, Möller, die Minifreaks war n schon crazy - denn schau dir erstma die aus­ge­wach­se­nen Exemplare an.«

Als ihm dazu noch mit­ten in der Stadt ein Hundeschlitten begeg­net, geht Philipp Möller mit ande­ren Augen durch die Welt: Schnell stellt er dabei fest, dass sich jeder Einzelne in der Regel zwar für völ­lig nor­mal hält, in sei­nem Verhalten aber recht häu­fig von der Norm (oder dem, was die Gesellschaft dafür hält) abweicht: Er wird zum Freak!

»Freak« als Begriff hat einen Bedeutungswandel erfah­ren und steht heute nicht mehr nur für »Außenseiter der Gesellschaft«, son­dern hat im all­ge­mei­nen Sprachgebrauch und so auch bei Philipp Möller eine gele­gent­lich durch­aus posi­tive Konnotation als Synonym für Jemanden, der ein Hobby oder ein Interesse exzes­siv betreibt. So ist Möller z.B. gezwun­gen, die Hilfe eines Audio-Freaks in Anspruch zu neh­men als er die Tonaufnahme eines für ihn sehr wich­ti­gen Interviews ver­sem­melt.

Auch nimmt er sich selbst nicht von der Kategorie »Freak2 aus, als er, durch die Argumente einer ehe­ma­li­gen, von ihm nicht ein­mal beson­ders gemoch­ten, Kollegin zum Veganer wird und er sich in der Folge inten­siv mit dem Thema Ernährung aus­ein­an­der setzt.

Letzteres dient auch als Beispiel dafür, wie abhän­gig die Bezeichnung »Freak« vom eige­nen Standpunkt ist: Sieht der Fleischesser den Veganer als Menschen mit selt­sa­mer, ver­meint­lich unna­tür­li­cher Verhaltensweise, so fin­det es umge­kehrt der Veganer exo­tisch, wenn bei­spiels­weise Milchtrinker das Drüsensekret eines Huftieres kon­su­mie­ren. Veganer wie Möller, der sich selbst (durch­aus fol­ge­rich­tig, da er Dogmatismus ablehnt) als »Flexiganer« sieht, der gele­gent­lich auch mal eine Scheibe Käse ver­zehrt, betrach­ten es als unethisch, das eigene Vergnügen durch das Leid ande­rer Lebewesen zu erkau­fen.

Diese Geisteshaltung nimmt er zum Anlass eine »Freak-Ampel« ein­zu­füh­ren: »grün« für Menschen, die durch ihre Leidenschaft nie­man­den behel­li­gen oder schä­di­gen, wie z.B. der oben auf­ge­führte Audiophile, »gelb« bekom­men die­je­ni­gen unter den Freaks, die ihre Mitgeschöpfe mit ihrer Leidenschaft beläs­ti­gen, bei­spiels­weise Gläubige, die nicht dar­auf ver­zich­ten wol­len, mit den zur Andacht rufen­den Kirchenglocken auch den schlaf­trun­ke­nen Atheisten am frü­hen Sonntagmorgen aus dem süßen Schlummer zu rei­ßen.

»Rot« sieht Möller schließ­lich bei jenen Zeitgenossen, deren Hobby für ihre Mitmenschen poten­ti­ell gefähr­lich ist: Der Porschefahrer z.B. der rück­sichts­los das Gaspedal bis auf das Bodenblech tritt und sich sei­nen Status als Platzhirsch der Autobahn unter Umständen mit Leib und Leben ande­rer Verkehrsteilnehmer erkauft.

Beschreibt Möller ein »Tatort«-verrücktes, Hummel-Figuren-sammelndes Ehepaar noch durch­aus lie­be­voll, so steht er fas­sungs­los vor den Auswüchsen mensch­li­cher Fantasie als er eine Esoterik-Messe besucht: Dort muss er fest­stel­len, dass sich nahezu eine Parallelkultur gebil­det hat. Bürgerliche Namen zäh­len hier nichts, wer etwas auf sich hält, blät­tert in einem Sanskrit-Wörterbuch bis er auf einen Begriff stößt, der sich als Eigenbezeichnung eig­net, wie z.B. seine Bekannte »Shakti«, die ihn zu einem Vortrag ein­lädt.

Sind Interviews mit ver­stor­be­nen Personen noch grenz­wer­tig (erhei­ternd, wenn ein toter Künstler dazu ein­ge­la­den wird; ver­stö­rend, wenn soge­nannte »Medien« Mütter mit ihren toten Kindern kom­mu­ni­zie­ren las­sen wol­len), ist die Schranke zur Freakstufe »rot« über­schrit­ten, wenn bei­spiels­weise Esoteriker die Verhaltensauffälligkeit von Kindern als neue Stufe in der Evolution glo­ri­fi­zie­ren, statt dem Nachwuchs die drin­gend benö­tigte Hilfe von Psychotherapeuten ange­dei­hen zu las­sen.

Immer wie­der muss Möller fest­stel­len, dass Esoteriker zwar durch­aus von ihren Ideen über­zeugt sind und nicht zögern, Selbstversuche durch­zu­füh­ren – der Herr, der eine Stichsäge als Masturbationshilfe ver­wen­det mag hier stell­ver­tre­tend ste­hen – ande­rer­seits aber auch nicht davor zurück­schre­cken, kranke oder ver­zwei­felte Menschen durch ihre kru­den Ideen von einer wirk­sa­men Therapie abzu­hal­ten und damit zusätz­li­ches, ver­meid­ba­res Leid schaf­fen.

Möllers Buch pola­ri­siert: Gerade die­je­ni­gen, die in seine Freak-Kategorie »rot« fal­len, ver­klä­ren sich häu­fig selbst als Menschen, die mit ihrer Botschaft Heil brin­gen – seien es Homöopathie-Begeisterte, Esoteriker oder dog­ma­ti­sche Anhänger einer Religion. Natürlich mögen es diese Leute nicht gerne, wenn sie unge­schminkt als das dar­ge­stellt wer­den, was sie sind: Bauernfänger oder deren Fans, die aus der Naivität, Unwissenheit oder Leichtgläubigkeit ihrer Mitbürger Kapital schla­gen. Und so wird man gerade aus die­sem Lager Verrisse fin­den, die sich über »Bin isch Freak, oda was?!« echauf­fie­ren.

Für uns »nor­male« Freaks, die sich mit der tie­fer­ge­hen­den Kenntnis von Computersystemen oder der Simulation von Langstreckenflügen am hei­mi­schen Computer begnü­gen, bie­tet Möllers zwei­tes Buch jedoch ein unein­ge­schränk­tes Lesevergnügen, das nicht zuletzt durch sei­nen klu­gen, humo­ri­gen und leben­di­gen Stil ein­gän­gig und flüs­sig zu gou­tie­ren ist.

Die Einteilung in unab­hän­gig von­ein­an­der zu lesende Kapitel ermög­licht ent­spann­tes Lesen auf dem Weg zur Arbeit in U-Bahn und Bus oder (»nur noch die­ses eine Kapitel!«) kurz vor dem Einschlafen. Allzu leicht könnte man dabei aber die Intention des Verfassers ver­ges­sen: Einerseits Verständnis für die klei­nen Macken zu wecken, die doch jeder von uns mehr oder weni­ger aus­ge­prägt zeigt und auf der ande­ren Seite die Auswüchse einer dog­ma­ti­schen Haltung anzu­pran­gern, die lei­der nur zu häu­fig die Bedürfnisse und Freiheiten der Andersdenkenden ein­schränkt. Für wohl­feile 8,99 Euro (Printausgabe) kann man mit dem Erwerb die­ses Buches eigent­lich nichts falsch machen – zumin­dest, wenn man auch nur ansatz­weise bereit ist, sich, seine Eigenheiten und deren Wirkung auf seine Mitmenschen zu reflek­tie­ren.

Oliver-Martin Rapsch

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[Erstveröffentlichung: hpd]

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