Wir kapitulieren!

Die deutsche Bundesbank hat Herrn Sarrazin neue, weniger wichtige Agenden zugewiesen, offenbar auf Grund seiner umstrittenen Äußerungen zur Integrationsdebatte. Das ist selbstverständlich grober Unfug: Entweder der Mann ist politisch tragbar, dann muss man ihn seine Arbeit machen lassen. Oder er ist es nicht, dann muss man sich von ihm trennen. Ein bisschen untragbar gibt es nicht: Wie Aufgaben unternehmensintern verteilt werden, muss sich an der fachlichen Qualifikation orientieren und die hat mit der politischen Meinung nichts zu tun.

Michael Fleischhacker nennt das nicht ganz zu Unrecht eine “austriakische Lösung”. Und er analysiert in weiterer Folge messerscharf, Sarrazin habe recht. Nicht zuletzt deswegen, weil die sogenannten “politisch Korrekten” behaupteten:

Sarrazin hat nicht recht, und das sieht man daran, wie er es sagt.

Also muss im Umkehrschluss Sarrazin recht haben; man kann es zb daran erkennen, wie er es sagt:

Sarrazin hat nicht nur inhaltlich recht. Er hat es auch genau so gesagt, wie man es sagen muss.

Denn daran knüpft sich nicht etwa eine Abhandlung der wichtigsten Argumente dafür, warum Sarrazin inhaltlich recht hätte. Nein, es folgt eine Breitseite gegen Windmühlen: Die “politisch Korrekten”, die mit ihren Sprachregelungen den “Diskussionskarren an die Wand” gefahren hätten, denen keiner mehr glaubte, die sich in einer (Multikulti-)Scheinwelt gemütlich eingerichtet hätten. Damit hat der Chefredakteur seine sonntägliche Pflicht erfüllt, die Hofratswitwen dürfen erleichtert (und wohl ein bisschen außer Atem, so ein schneidiger Kerl!) das Papier sinken lassen und sich Kühlung zufächeln.

Auch dem geneigten Leser wird ganz blümerant. Das war’s? Die schlichte Erkenntnis: Sarrazin redet “Klartext” und darum ist es gut? Ist das nicht etwas wenig?

Zunächst: Sarrazin hat eine Debatte angestoßen, immerhin. Das wäre wohl nicht passiert, hätte er sich zimperlicher ausgedrückt. Darüber kann man froh sein, das ist allerdings noch kein Grund, ihm inhaltlich recht zu geben. Sarrazin hat sich deutlich ausgedrückt. Das belebt die Diskussion, ist aber noch kein Grund, ihm inhaltlich recht zu geben. Die Entscheidung der Bundesbank ist Unsinn; auch die Reaktionen vieler mögen eher hysterisch gewesen sein – reflexhaftes Lagerdenken, sowieso kein Grund, Sarrazin inhaltlich recht zu geben, auch nicht aus Trotz oder gar, weil man sich auf der anderen Seite (der politisch unkorrekten) wähnt.

Sarrazin mischt munter wichtige Beobachtungen mit fragwürdigen Schlussfolgerungen, scharfsinnige Analyse mit schlichter Polemik. Die Herausforderung liegt nun darin, dieses Geflecht aufzudröseln, die wichtigen Argumente von den gefährlichen zu trennen. Schwierig, keine Frage. Wie viel einfacher ist es doch, altbekannte Feindbilder zu beschwören, beispielsweise das der politisch Korrekten, die, nun ja, schuld sind. Ein paar Dinge, über die man durchaus nachdenken könnte:

  • Die Integration als Bringschuld, Zuwanderung als einseitige Verpflichtung. Handelt es sich nicht vielmehr um ein synallagmatisches Austauschverhältnis, Prinzip Zug um Zug? Gehören nicht zwei Seiten zur Integration? Wem ist mit dem barschen Imperativ: “Integrier dich!” gedient, außer dem Ego der Alteingesessenen?
  • Der biologistisch angehauchte Intelligenzbegriff, hochgerechnet auf Ethnien (Motto: kluge Juden, dumme Araber). Inwiefern kann das in einem demokratischen Rechtsstaat eine Rolle spielen?
  • Der pauschale Verdacht den Unterschichten gegenüber, sie würden nur von staatlichen Transferleistungen leben – zu faul zum Arbeiten also. Dünkelhaftigkeit und Verachtung als sozialpolitische Maxime?
  • Die Konstruktion vom “kleinen deutschen Volk”, das gegen Zuwandererhorden verteidigt werden muss, die es per Geburtenrate feindlich übernehmen wollen.
  • Und schließlich: Inwiefern lässt sich das auf Österreich umlegen? Betont doch Sarrazin selbst, dass Wien die Probleme gerade nicht in dem Ausmaß wie Berlin habe.

Da ist es freilich einfacher, sich schlicht zu freuen, dass mal jemand etwas sagt – und das auch noch so erfrischend rücksichtslos – als sich damit auseinanderzusetzen, was da so gesagt wird. Zu verlockend ist es anscheinend, wie Sarrazin es mit den Völkern tut, auch in der Debatte zwei unversöhnliche Seiten zu konstruieren: die heldenhaften Klartexter und die verlogen-weltfremden PC-Kutscher, denen man dann effektvoll mit Broder vorhalten kann, sie kapitulierten. Das ist eine Scheindebatte, die am Kern des Problems genauso weit vorbeigeht, wie laut Fleischhacker die politisch Korrekten in ihrer gutmenschlichen Verblendung.

Kapituliert hat hier jedenfalls nur einer, und zwar vor der differenzierten inhaltlichen Auseinandersetzung.

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