Winters Duell

Winter fiebert, wurde er doch zu einem Duell gefordert. Leichenblass starrt er auf seinen Sekundant, einen momentan beschäftigungslosen Lektor, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Winters Leben mit dem Rotstift anzugehen. Erwacht Winter am frostigen Morgen, dann sitzt oft schon der Lektor neben dem traumdurchnässten Bett und bittet Winter darum, mit einem Cliffhanger aus dem Bett zu steigen, damit der Tag nicht gleich in einem Meer aus Langweile ersäuft. Winters Leben müsse endlich zu seinem Pageturner werden, erklärt der Lektor, der sich seine Sporen bei einem großen Verlag verdiente, der für Romane wie „Bluten sollst du, Bluter“ und „Entweihte Nonnen“ verantwortlich zeichnet. Winter ist bereits genervt von den Forderungen des eigentlich unerwünschten Lektor, dessen Anwesenheit ihm nun aber wichtig geworden ist, da er von einem Dichter namens Ferdinand Roche zu einem Schreibduell gefordert wurde. Er solle eines der von Roche ersonnenen Worte abfällig in einem Text benutzt haben. Winter erkundigte sich nach dem Wort, aber Roche verweigerte ihm jegliche Auskunft, da eine nochmalige Benutzung des ehrenwerten Wortes in Winters Angesicht zu einer zweiten Schändung des armen Wortes führen würde. Dies könne Roche auf keinen Fall zulassen.
Roche hat sich für diesen Morgen angekündigt. Der Lektor befragt ihn nach der Wahl der Waffen; die hätte Roche ja zum Glück Winter überlassen. Winter hat sich für altertümliche Federkiele entschieden. Tintenfässer stehen bereit. Winter vertraut auf die Macht einer ganz besonders alten Feder, die dereinst schon von dem berüchtigten Louis Stehr geführt wurde, der damit, so will es die Legende, Goethe mit dem Satz verletzte: Der Faust kann mich im Arsche lecken.
Nun wartet Winter. Schweiß rinnt ihm am Körper entlang. Er flutet allmählich sein Arbeitszimmer, da ertönt die Türklingel, um den unvermeidlichen Gegner anzukündigen. Schon schreitet Roche ins Zimmer, wirft seinen Mantel ins Eck. Im Gefolge befindet sich eine junge Dame, die Roche als Fräulein Wunder vorstellt. Winter nickt der Dame kurz zu. Dann bereiten sich die Duellanten auf den Zweikampf vor. Stehpulte wurden besorgt. Man nimmt Aufstellung. Die Sekundanten setzen sich auf das Sofa. Der Lektor schreit auf, man möge zu den Federn greifen; er hebt den Arm, in der Hand ein Taschentuch, das er zu Boden segeln lässt. Das Tuch lässt sich Zeit. Aber schließlich vereinigt es sich doch mit dem zerkratzten Boden.
Dies war das Signal.
Das Duell beginnt.
Winter und Roche tauchen die Federkiele in die dunkeltrübe Tintenbrühe, die sich zäh und widerspenstig kaum auftragen lassen will.
Dann notieren sie in aller Eile einen Satz. Sie reißen nahezu zeitgleich die Zettel nach oben. Sie lesen.
Roche fällt zu Boden. Er ist tödlich getroffen.
Fräulein Wunder stürzt zu ihm hin. Sie greift sich den Zettel. Liest. Sinkt neben Roche.
Der Lektor reißt die Arme nach oben. Er schreit: „Gewonnen!“
Winter aber fühlt sich elend. Er hat mit einer falschen Waffe gezielt und getroffen. Niemand sollte je erfahren, wessen Satz er sich heute zum Duell lieh.



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