2009 war ein grandioses Jahr. Zumindest wenn man den vorherigen Satz auf ironische Weise interpretiert. Dann war 2009 ein „grandioses“ Jahr. Aber so ist es mit Gänsefüßchen, sie sind nett anzuschauen, aber so wirklich gebräuchlich sind sie nicht.
2009 war das Jahr des Präsidenten Obama. Vereidigung und Friedensnobelpreis – da gibt es auf ganz Hawaii sicherlich viel zu feiern.
2009 war das Jahr von Schwarz-Gelb – was daraus in der Folge, muss ich auf Dauer auch nicht breit treten. Liegende Hunde tritt man nicht.
Und 2009 wurde erstmals ein Preis vergeben, der erst diese Woche so wirklich öffentlich bekannt wurde. Seit 2009 wird der „Goldene Windbeutel“ verliehen. Eine Auszeichnung von foodwatch für Produkte, deren Werbeversprechen so viel Gehalt haben wie die eines Politikers. Und dieses Jahr erhielt die Milchschnitte diese Auszeichnung. [...]
Die Idee ist interessant: Ein Negativpreis, um wachzurütteln. Um zu zeigen „Hallo, da ist was falsch gelaufen!“. Und solange es nicht eine humoreske Vorstellung wird wie bei der „Goldenen Himbeere“, bei der jedes Jahr anlässlich der Oscar-Verleihung die miesesten Filme gekürt werden, kann eine solche Aktion wirklich sinnvoll sein. Von Verleihungen wie den Oscars beispielsweise lässt sich die Masse ja auch in die Kinos locken, also könnte eine andere Verleihung sie im ernsthaften Rahmen auch fernhalten.
Doch wie sieht das eigentlich mit dem „Goldenen Windbeutel“ aus?
Auf den ersten Blick macht es einen guten Eindruck. Werbelügen gehören aufgedeckt, da stehe ich voll hinter. Doch auf die Wrkung dieses Preises achtet so gut wie keiner.
Da wäre zum Beispiel die Abstimmung. Dieses Jahr haben mehr als 110.000 Verbraucher die Milch-Schnitte zur Bundeskanzlerin der Marketinglandschaft gewählt. Ausgewählt wurde aus fünf unterschiedlichen Produkten (Activia, nimm2, Schlemmertöpfchen Feine Gürkchen, Ferdi-Fuchs Mini-Würstchen und natürlich die Milch-Schnitte). Hier fängt es dann auch schon an. Denn wenn man eine solche Liste vorgibt, wird sich der Hauptanteil der Wähler auf das bekannteste bzw. beliebteste Objekt stürzen. D.h. metaphorisch gesprochen – einen unsympathischen oder unbekannten Politiker wählen wir doch auch nicht zum Kanzler, oder?
Dies zeigt sich vor allem an den beiden Vorjahren. 2009, im Jahr der ersten Preisverleihung, gewann Actimel von Danone vor Biene Maja von Bauer, Pesto Verde von Bertolli, Frucht-Tiger von Eckes-Granini und Gourmet-Genießerkuchen von Bahlsen. Ausgerechnet das Produkt, deren Werbespot sowohl in jeder Unterbrechung im Fernsehen läuft, als auch als Pop-Up im Internet inflationäre Ausbreitungen nachweisen kann. Hier siegte bereits der Star unter den Produkten.
2010 gewann dann der Zott Monte-Drink vor ‘Der Gelbe Zitrone-Physalis’ von Pfanner, einer Creme-Suppe von Escoffier, dem Beo Heimat Apfel-Birne von Carlsberg und Bertollis Gegrilltem Gemüse. Haben sie auch so wenig Ahnung wie ich von der Zott-Konkurrenz?
Auffallend ist doch, dass es kein „Duell“ der wirklich lästigen Werbefliegen gab, obwohl doch bereits seit 2009 die Schwindelsucht von Zott und Fererros Milch-Schnitte bekannt sein dürfte. Oder hat Fererro nach Ablauf des Werbedeals mit den Klitschkos-Brüdern plötzlich auch die Rezeptur verändert? Stattdessen gewann dieses Jahr die Milch-Schnitte. Mit einer Werbelüge, die bereits Staub ansetzt.
Gut, dies alles ist unglücklich gelaufen. Man kann sich halt nur für fünf verschiedene Nominierte entscheiden. Macht man bei den Oscars zumeist ja auch (abgesehen vom Werbegag mit den zehn besten Filmen neuerdings). Also, nicht drüber aufregen, lieber die Taten sprechen lassen.
Aber was bewirkt denn eigentlich diese Auszeichnung? Sowohl Fererro, als auch Zott und Danone haben nie den Preis angenommen. Wäre auch selbstmörderisch zuzugeben, dass man nicht das verkauft, was man sagt. Katze im Sack quasi, wenn man einen Goldfisch haben wollte.
Stattdessen lehnen sie den Windbeutel ab – und vermeiden somit wirklichen Imageschaden. Denn seien wir mal ehrlich, wer von uns würde auf seine Lieblingsnahrungsmittel verzichten, wenn nicht gerade Rasiermesser darin entdeckt wurden? Dann lieber auf Obst und Gemüse verzichten, weil ein Fingerhut der Bevölkerung plötzlich krank wird. Da glaubt man dann, dass der Spruch “Obst ist gesund“ eine Werbelüge ist.
Aber doch nicht bei einer solchen Verleihung. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass die Wirkung des Preises eher umgekehrt verläuft. Oder tingelte jetzt nicht bereits mehrmals durch die Medien das Wort Milch-Schnitte, habe nicht sogar ich die Firma Fererro einige Male erwähnt? Egal ob positive oder negative Erwähnung, es bleibt im Gedächtnis haften und hat daher einen nicht zu unterschätzenden Werbeeffekt.
Wie oft wurde in der Geschichte der Menschheit bereits das Falsche getan aus richtigen Beweggründen. Und sind nicht auch wir selber ständig im Zwiespalt der Entscheidungen?
Aufklärung über die Lebensmittelindustrie ist gut und wichtig. Aber es sollten andere Mittel und Wege gefunden werden. Wie wäre es zum Beispiel mit investigativen Dokumentationen über Fernsehen oder Youtube? Aber nein, stattdessen lieber still im Kämmerlein hocken und hier und da den Zeigefinger erheben und eine neue Ballkönigin wählen. Dort gewinnt auch immer nur die schönste und prächtigste, nie die Richtige…