Bekannt wurden Julian Assange und seine Enthüllungsplattform WikiLeaks schlagartig, als sie brisante Akten aus dem Irak-Krieg, geheime Dokumente über den internationalen Militäreinsatz in Afghanistan und vertrauliche Informationen von US-Diplomaten über ausländische Politiker publik machten und damit Skandale auslösten.
Assange galt fortan als Held der Pressefreiheit. Doch seit in Schweden, aufgrund der Anschuldigung zweier sexueller Vergehen, gegen ihn ermittelt wird, ist ein Schatten auf den strahlenden Helden gefallen.
Der Dokumentarfilm zeigt unter anderem das erste Interview mit Julian Assange, seit er mit elektronischer Fußfessel unter Hausarrest steht.
Hochgeladen von Sonorousful am 14.02.2012
Medienmüll zur Zerstörung von Wikileaks: ZDF/arte-Doku feuert aus allen Propaganda-Rohren.
Ein Artikel von Gerd R. Rueger bei theintelligence.de - Endlich die erste Filmkritik im deutschen Web, die den Namen Kritik auch verdient.
Die Doku “Wikileaks – Geheimnisse und Lügen” beginnt mit reißerischen Thesen zu hektischen Videoschnipseln: „Der größte Geheimnisverrat der Geschichte!“(Julian Assange auf einer Pressekonferenz sagt: „Hier geht es um die Wahrheit!“) “In seinem Sog fallen Diktatoren, werden Verfehlungen aufgedeckt und eine Supermacht gedemütigt”. Dann fragt die Doku bedeutungsvoll aus dem Off: “Macht das Verhalten eines einzelnen Mannes aus dem Triumph ein Desaster?”
Diese Frage wird Patrick Forbes am Ende zum Ergebnis der Doku gemacht haben (1). Er bietet dafür ein nach allen Regeln der Propaganda-Kunst ausgefeiltes Filmmachwerk auf: Schon Josef Goebbels wusste, professionelle Propaganda darf nicht als Meinung oder Kommentar auftreten, sondern sollte als scheinbar reine Meldung durch Auswahl die Tendenz vorgeben (2). Daran hält sich die Doku – und ihre Auswahl hat es in sich. Das im Vorfeld hochgejubelte neue Interview mit Assange wird zerhackt und in kleinen Happen zwischen suggestive Filmschnipsel geschnitten. Am Ende hat man nichts Neues erfahren, aber fast alle Vorwürfe gegen Wikileaks wurden wieder aufgewärmt, kritiklos als Wahrheit aufgetischt und Assange als Buhmann angehängt. Etablierte Medien feiern die Doku begeistert, z.B. Spiegel-Online freute sich:
“Geradezu genüsslich nimmt Forbes das Projekt WikiLeaks auseinander. Das ist brutal – und gerechtfertigt. Wo WikiLeaks wütet, so erzählt es der Film, gibt es Kollateralschäden. Die Wahrheit fordert Opfer, und eines davon wartet in einem Militärgefängnis in den USA auf sein Urteil. Wenn Bradley Manning nicht durch die Hand eines Henkers stirbt, dann wird er vermutlich bis zu seinem Lebensende gefangen gehalten werden. Er hatte sich selbst in einem Chat als Quelle von WikiLeaks enttarnt.” (3)
Daniel Domscheit-Berg ist der erste einer ganzen Phalanx von früheren Assange-Mitstreitern, die heute seine Gegner sind. Sie alle lässt der Film gegen den Wikileaks-Gründer aufmarschieren. In Szene gesetzt werden sie meist nach demselben Muster: Zuerst dürfen sie beschreiben, wie nett sie „Julian“ anfangs fanden, wie gut sie mit ihm zusammenarbeiteten, aber dann zeigte Assange ihnen sein wahres Gesicht: Die Fratze eines Lügners, Mafiosos und Irren, eines wahren Ungeheuers. Die Doku schneidet die Statements so geschickt zusammen, dass der Zuschauer innerhalb einer Dreiviertelstunde langsam und schleichend vom Bild des mutigen kompetenten Julian zu einem immer unsympathischer, unberechenbarer agierenden Egomanen Assange geführt wird.
Die Hauptzeugen der Anklage kommen vom Guardian: David Leigh und Nick Davies. Sie loben erst ihren Julian über den grünen Klee, beschreiben die Zusammenarbeit mit ihm aber als schwierig, er sei wie ein Kultführer, der nicht von diesem Planeten stamme. David Leigh: „Um fünf Uhr, am Ende seines Arbeitspensums, fiel er um und schlief in seiner zugeknöpften Lederjacke ein. Solche Dinge gaben einem das Gefühl, man hätte es mit jemandem zu tun, der nicht von diesem Planeten ist. (…) Julian umgab ein seltsames Charisma, er benahm sich, als sei er ein Kultführer. Wir machten sehr bald Witze über die Leute um ihn herum, die Brause-Limonade tranken.“
Afghanistan-Warlogs: ‚An Wikileaks klebt Bluuuut‘
Die Darstellung der Publikation der Afghanistan Warlogs durch die Allianz von Guardian, New York Times (NYT) und Spiegel konzentriert sich ganz auf den medialen Gegenschlag der USA. Aber sie analysiert ihn nicht, sondern übernimmt ihn voll und ganz als Wahrheit, ja als Hauptskandal an der Enthüllung: „48 Stunden lang sprach die ganze Welt von zivilen Opfern und von Taskforce 373, dann fand die NYT auf Wikileaks Dokumente, die eindeutig die Sicherheit afghanischer Zivilisten gefährdeten.“
US-TV: „An Wikileaks Händen klebt Blut!“ (An dieser Stelle der ZDF-Doku wiederholt ein unheimlicher Hall-Effekt: „…klebt Bluuuuut!“, was offenbar Angst auslösen und das Blut, das angeblich an Wikileaks Händen klebt, ins Gedächtnis der Zuschauer einbrennen soll. (Minute 37:00 der Doku) Dann wiederholt ein weiterer Interviewter noch einmal das Wort „Blut“ in Bezug auf Wikileaks, Lindsey Graham (US-Senator, South Carolina): „… an deren Händen könnte Blut kleben!“
Nebenher erfahren wir noch, dass Taskforce 373 ein US-Killerkommando ist, das Mordanschläge auf Verdächtige und ihre Familien durchführte, aber der Skandal ist der Geheimnisverrat und das Blut, das nun angeblich an den Händen von Assange klebt. Nach so viel Blut sind wir dann wohl reif für die rustikale Weltsicht eines Experten in dieser Materie, ein US-Soldat äußert seine Meinung: Christopher Heben (US-Navy-Seal): „Julian Assange und sein Haufen aufmüpfiger Dummköpfe denken, sie verschießen mal eben diese ganzen Informationen über den Globus und tragen damit zum Weltfrieden bei. Weiter entfernt von der Wahrheit könnte das gar nicht sein. Sie untergraben damit die Fähigkeit der NATO, für Stabilität in fast jeder Unruhe-Region der Welt zu sorgen … es gibt Drecksarbeit da draußen und die muss getan werden.“
Zweifel über die Einhaltung der Genfer Konvention plagen den Navy-Seal ebenso wenig wie die Frage, wie viele Unschuldige als „Collateral Damage“ bei den Einsätzen von Taskforce 373 massakriert wurden – die Doku lässt das mal so stehen. Wichtig ist nur: Assange hat an allem Schuld.
Inszeniert wird für uns ein Julian Assange, an dessen Händen Blut kleben soll. Blut klebt dort angeblich, weil seine Enthüllung der Verbrechen und Gräueltaten einige Informanten der US-Streitkräfte in Gefahr gebracht haben soll. Wohlgemerkt: Informanten, oder anders gesagt: Komplizen, derselben US-Streitkräfte, deren Verbrechen und Gräueltaten von Julian Assange aufgedeckt wurden. Einige von diesen Komplizen soll die Enthüllung nun in Gefahr gebracht haben? Aber dafür haben wir keinen einzigen Beweis, nur die Behauptungen seiner Gegner. Der Anwalt von Bradley Manning hat für seinen Klienten bereits mildernd geltend gemacht, dass kein einziges der angeblich blutigen Opfer des „Geheimnisverrats“ bislang nachgewiesen wurde. Wir haben also nur die in propagandistischer Absicht von Gegnern von Assange erhobene Beschuldigung. Der Doku ist das genug, ihr geht es um Assange.
Assange – das Ungeheuer!
Für die Starjournalisten ist am Wichtigsten, alle Top-Enthüllungen nur exklusiv zu bekommen. In helle Aufregung geraten sie, wenn auch andere eine Chance auf die Story ergattern könnten. Nick Davies jammert z.B., Julian Assange hätte die Dokumente an andere Medien weitergegeben, obwohl er sie Guardian & Co. exklusiv versprochen hätte „… obwohl wir Zehntausende Pfund investiert hatten!“ Davies vergisst die Millionen Pfund zu erwähnen, die sein Blatt durch die Allianz mit Wikileaks bislang schon verdient hatte. Davies über Assange: „Ich vermute, fast jeder, der ihm nahe kommt, erlebt das mit: Man beginnt ihn zu mögen und ihm zu vertrauen und plötzlich erscheint aus dem Nichts dieses Ungeheuer! (Davies zieht die Brauen hoch und rollt wild mit den Augen) Wo um Himmels Willen kommt das jetzt her! Plötzlich erkennt man diesen außergewöhnlich verlogenen Mann, ich bin niemals einem derart unehrlichen Menschen wie Julian Assange begegnet!“
Der Wikileaks-Gründer schimpft vielleicht nicht ohne Grund über den britischen Journalismus, dieser sei die ehrloseste, nuttigste und hinterhältigste Industrie, die ihm je begegnet sei – und Nick Davies sei Teil dieser Industrie. Doch so, wie die Aussagen zusammengeschnitten werden, steht Julian Assange am Ende als Buhmann da. Sogar die Verhaftung und Folter Bradley Mannings wird ihm tendenziell in die Schuhe geschoben, dabei übernimmt die Doku auch hier die Version der US-Regierung und stempelt den mutmaßlichen Whistleblower bereits jetzt zum Schuldigen und Opfer der rücksichtslosen Enthüllungen von Assange. Manning stand jüngst in seiner Vorverhandlung vor dem Militärgericht in Fort Meade, Maryland (4).
Manning hat keineswegs gestanden, geschweige denn Assange belastet.
Es ist gut möglich, dass dem unbequemen jungen Soldaten die ganze Sache nur angehängt wurde – Beweise sind nur Screenshots eines Chats, in dem er angeblich zugab, die Geheimdateien geleakt zu haben. Verhaftet wurde er nach “Collateral Murder” und vor den “Afghan War Diaries”, zu einem Zeitpunkt, als die US-Streitkräfte nichts dringender brauchten als einen Sündenbock. Und ein Opfer, an dem sie ein abschreckendes Exempel statuieren konnten, um weitere Whistleblower einzuschüchtern. Die ZDF/arte-Doku zelebriert mit den Mitteln des Fernsehens Ähnliches an Assange – zufällig genau während in London über seine Auslieferung gerichtet wird.
(1) “Wikileaks –Geheimnisse und Lügen”, Buch und Regie: Patrick Forbes, Redaktion: Reinhart Lohmann (ZDF), ZDF/arte-Doku, Erstausstrahlung auf Arte, 14.02.2012
(2) Rueger, Gerd R., “Julian Assange -Die Zerstörung von WikiLeaks?” Hamburg 2011, S.72ff. (Kapitel: “WikiLeaks, die Medien und Propaganda: Von Goebbels zu Big Brother”)
(3) Reißmann, Ole, WikiLeaks-Doku auf Arte: Alle gegen Assange, 14.02.2012,http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,815025,00.html
(4) http://www.bradleymanning.org/news/notes-from-bradley-mannings-arraignment
Und die Alleinschuld für die Depeschen-Passwort-Panne schiebt die Doku bzw. Mr.Leigh vom Guardian natürlich auch Assange in die Schuhe. Vgl. “Die Diskreditierung von Wikileaks basiert auf Lügen und Verdrehungen“