von Jens Bertrams
“Haben Sie Bargeld bei sich? Und wenn ja, wie viel?”
Diese Frage wurde mir gestern völlig unvermittelt gestellt, und ich war gesetzlich dazu verpflichtet, sie zu beantworten. Nein: Ich bin nicht als Krimineller ins Gefängnis eingerückt und musste meine Wertsachen abgeben und die Annahme durch das Gefängnispersonal quittieren; Ich war lediglich beim KreisJobcenter und habe als Arbeitsloser den sogenannten Nachfolgeantrag gestellt, um auch in den nächsten sechs Monaten genug zu Essen zu haben. Gefühlt aber habe ich mich wie ein Verbrecher, der den Menschen und dem Staat auf der Tasche liegt und kein Recht hat, etwas für sich zu beanspruchen.
Viele beklagen sich seit 10 Jahren über das Arbeitslosengeld II, über die Jobcenter, die Sanktionen und die Schikane. So oft kam diese Klage, dass kaum noch jemand zuhört. Den Meisten, die Arbeit haben, ist es egal, sie sind besser dran, die meisten, die keine Arbeit haben, wollen sich mit niemandem anlegen und halten den Mund, und die wenigen, die sich empören, stempelt man als linke Querulanten ab, die ein anderes System wollen. So ist die Ausgrenzung eines fünftels der Gesellschaft zur weithin hingenommenen Praxis geworden, die kaum noch Proteststürme oder Nachdenken hervorruft. Alle 6 Monate begibt sich der “Kunde” des Jobcenters zu seinem “Fallmanager”, erklärt ihm, dass sich seine Vermögensverhältnisse nicht geändert haben, unterschreibt die Verpflichtungserklärung zur Mitwirkung bei der Jobsuche und ist glücklich, wenn man ihn nicht des mangelnden Eifers bezichtigt. Ich nehme an, dass es vielen Betroffenen so geht, dass sie in der Nacht vor einem solchen Jobcenterbesuch nicht gut schlafen. Mir jedenfalls geht es so, denn auch ohne das jüngste Erlebnis spüre ich die Atmosphäre der Verachtung und Ausgrenzung jedes mal körperlich, und ich bewundere die JobcentermitarbeiterInnen, die durch ihre Ruhe und Kompetenz diesem gesetzlich gewollten Eindruck widersprechen und freundlich bleiben, auch wenn ihre Kunden manchmal die Contenance verlieren.
Gestern also war ich wiedereinmal in diesen heiligen Hallen, um meinen Nachfolgeantrag zu stellen und öffentlich zu bekennen, dass ich auch in den letzten sechs Monaten keine Arbeit gefunden habe, nicht aufgenommen wurde in den Kreis derer, die einen Wert für diese Gesellschaft haben.
“Hat sich bei Ihnen irgendetwas geändert?” fragte die Mitarbeiterin, und routinemäßig verneinte ich diese Frage. Bislang hatte diese Aussage gereicht, überall wurde ein “nein” angekreuzt, ich leistete die Unterschrift, und der Antrag ging an den Fallmanager zur Bearbeitung. Zu Beginn des Jahres war allerdings mitgeteilt worden, dass es nun einen weiteren Vermögensbogen geben würde, den man ausfüllen musste.
“Haben Sie Bargeld bei sich, und wenn ja, wie viel?” Die Frage kam völlig unerwartet und traf mich unvorbereitet. Meine Frau, die neben mir stand, fragte geistesgegenwärtig, ob wir diese Frage wirklich beantworten müssten. Das sei jetzt so gesetzlich vorgeschrieben, antwortete die freundliche und kompetente Mitarbeiterin. In meinem Kopf hätte die nächste Anweisung lauten müssen: “Leeren Sie Ihre Taschen aus, dann die Hände mit den Handflächen auf den Tisch legen und ganz ruhig stehenbleiben.” Ich war erstaunt, als keine Handschellen klickten.
Dass man Angaben macht über sein Konto, über Sparguthaben, über Vermögenswerte, an all das haben wir uns längst gewöhnt. Es ist die resignierende Gewöhnung desjenigen, der weiß, dass er nichts dagegen tun kann, dass man ihm zeigen will, dass er nichts besseres verdient. Aber die Frage nach dem Bargeld in der Tasche, das man bei sich trägt, um eine Kleinigkeit zum Essen zu kaufen, um ein Taxi zu bezahlen, um die Packung Zigarretten zu ziehen, geht tief ins Private hinein. Jemand greift dir in die Tasche und zählt dein Geld, schaut, welche Wertsachen du besitzt. Kannst du wirklich arm sein, Anspruch auf Unterstützung haben, wenn du 50 Euro in der Tasche hast? Und wenn du 350 Euro dabei hast, um dir im Anschluss eine neue, kleine, gebrauchte Waschmaschine zu kaufen, ist das dann zu viel? Musst du demnächst auch noch angeben, wofür du das Kleingeld in deiner Tasche brauchst?
Ich fühlte mich bloßgestellt, angegrabscht, meiner Privatsphäre beraubt, kriminalisiert, unter Generalverdacht gestellt; Und ich fühlte mich hilflos wütend, geschockt, traurig und verletzt, während die freundliche Mitarbeiterin uns aus dem Informationsbereich hinaus zum Treppenhaus führte, in dem die Büros der Fallmanager lagen. “Moment, ich muss die Tür eben mit dem Chip öffnen”, sagte sie erklärend. Meine Frau, die in solchen Situationen immer noch Worte hat und ihre Würde behält, fragte neugierig: “das ist aber neu mit dem Chip, oder?” Die Mitarbeiterin überhörte die Frage, auch als meine Frau sie ein zweites mal stellte. Und sie überhörte auch gelassen meine Bemerkung: “Wir Arbeitslose sind schließlich gefährlich.” Ob sie wohl geschult worden ist, das zu überhören? Ob sie geschult worden ist darin, wie sie mit Menschen umzugehen hat, die allzu sehr auf ihre Würde pochen?
Was ist nur geschehen? Ich war einmal Träger der Menschenwürde, Bürger mit eigenen Rechten, der Souverän, von dem die Staatsgewalt ausgeht, die in meinem Namen und zu meinem Wohl ausgeübt werden sollte. Was nur hat mich zu diesem wertlosen, schmutzigen Taugenichts und Landstreicher gemacht, dem Drückeberger und Faulpelz, der sich manchmal sogar dafür schämt, dem Staat auf der Tasche zu liegen? Was hat mich zu diesem Stück Dreck gemacht, zu diesem Wurm, der sich selbst manchmal nicht in die Augen schauen kann? Und was hat mich zu einem Objekt staatlicher Willkür gemacht, zu einem Mann, dem jeder einfache Beamte praktisch die Taschen ausleeren kann? Und was hat unser Land zu einem Ort gemacht, an dem so etwas nicht nur getan, sondern auch hingenommen wird? Verrohung im Umgang mit Mitmenschen wirft man in der Regel den Jugendlichen vor, die für ältere Menschen in der Straßenbahn nicht aufstehen, laute Musik hören und unverständliche Computerspiele spielen. Bei unseren Gesetzen und ihren Machern spricht man nicht von Verrohung, sondern von Reform, von Sachzwängen und dem verzweifelten Versuch, vom Sozialstaat noch zu retten, was noch zu retten ist. Man spricht nicht von systematischer Erniedrigung, von Verachtung, von Schikane, von Ausgrenzung. Aber so fängt es immer an.
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