Ob Kreditgeschäfte, Plagiatsvorwürfe oder Schwarzgeldaffäre – immer wieder geraten Politiker mit zweifelhaften Praktiken in die Schlagzeilen. Doch keiner von ihnen wähnt sich im moralischen Abseits. Glauben sie tatsächlich selbst an ihre Unschuld? Möglich wär’s: Die Mechanismen der Selbsttäuschung beeinträchtigen das Urteilsvermögen, wie das Psychologiemagazin Gehirn&Geist; in seiner aktuellen Ausgabe (04/2012) berichtet.
Aus: Gehirn&Geist;, April 2012
Exbundespräsident Christian Wulff ist demnach nur ein prominentes Beispiel für ein durchaus verbreitetes Phänomen: ein positives Selbstbild aufrechtzuerhalten, auch wenn offenkundige Beweise für moralisches Fehlverhalten vorliegen. Wir machen uns einen Irrglauben nicht einmal dann bewusst, wenn dafür Konsequenzen drohen, so das Ergebnis eines Experiments vom vergangenen Jahr.
Der Psychologe Dan Ariely und sein Team von der Harvard Business School hatten die moralische Integrität von Studenten auf die Probe gestellt, indem sie ihnen bei einem Wissenstest die Gelegenheit zum Mogeln gaben. Einige ergriffen die Chance und schnitten deshalb besser ab als ihre Kommilitonen, überschätzten daraufhin aber auch ihr voraussichtliches Abschneiden in einem zweiten Test, und zwar um so mehr, je mehr sie laut Fragebogen dazu neigten, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. An ihrer Selbstüberschätzung änderte sich auch dann nichts, wenn die falschen Prognosen spürbare Folgen hatten, wie die Forscher in einer Anschlussstudie feststellten.
Übertragen auf Wulff, Guttenberg & Co bedeutet das: Man muss einem Politiker nur die Gelegenheit bieten, sich mit unmoralischen Mitteln einen Vorteil zu verschaffen, und dann den Mechanismen der Selbsttäuschung ihren Lauf lassen. Er wird daraufhin wahrscheinlich glauben, den Erfolg nicht seinem Betrug, sondern seinem Können zu verdanken, und sich von diesem Irrglauben auch durch drohende Konsequenzen nicht abbringen lassen.
Laut dem Evolutionsbiologen Robert Trivers hat sich die menschliche Neigung zur Selbsttäuschung deshalb durchgesetzt, weil sie uns helfe, andere hinters Licht führen zu können. Die für die Doppelmoral nötige Schönfärberei funktioniert einer weiteren Untersuchung zufolge aber nur dann, wenn wir genug geistige Kapazität dafür übrig haben. Intuitiv verurteilen wir nämlich auch unsere eigenen Fehltritte. Die Doppelmoral zum Schutz des Selbstbilds entsteht demnach auf einer höheren Ebene der Informationsverarbeitung. Ein wenig tröstlich nach dem wochenlangen Theater: Auf irgendeiner unbewussten Ebene weiß Wulff möglicherweise, dass er sich moralisch nicht einwandfrei verhalten hat.
Aus: Gehirn&Geist;, April 2012
Exbundespräsident Christian Wulff ist demnach nur ein prominentes Beispiel für ein durchaus verbreitetes Phänomen: ein positives Selbstbild aufrechtzuerhalten, auch wenn offenkundige Beweise für moralisches Fehlverhalten vorliegen. Wir machen uns einen Irrglauben nicht einmal dann bewusst, wenn dafür Konsequenzen drohen, so das Ergebnis eines Experiments vom vergangenen Jahr.
Der Psychologe Dan Ariely und sein Team von der Harvard Business School hatten die moralische Integrität von Studenten auf die Probe gestellt, indem sie ihnen bei einem Wissenstest die Gelegenheit zum Mogeln gaben. Einige ergriffen die Chance und schnitten deshalb besser ab als ihre Kommilitonen, überschätzten daraufhin aber auch ihr voraussichtliches Abschneiden in einem zweiten Test, und zwar um so mehr, je mehr sie laut Fragebogen dazu neigten, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. An ihrer Selbstüberschätzung änderte sich auch dann nichts, wenn die falschen Prognosen spürbare Folgen hatten, wie die Forscher in einer Anschlussstudie feststellten.
Übertragen auf Wulff, Guttenberg & Co bedeutet das: Man muss einem Politiker nur die Gelegenheit bieten, sich mit unmoralischen Mitteln einen Vorteil zu verschaffen, und dann den Mechanismen der Selbsttäuschung ihren Lauf lassen. Er wird daraufhin wahrscheinlich glauben, den Erfolg nicht seinem Betrug, sondern seinem Können zu verdanken, und sich von diesem Irrglauben auch durch drohende Konsequenzen nicht abbringen lassen.
Laut dem Evolutionsbiologen Robert Trivers hat sich die menschliche Neigung zur Selbsttäuschung deshalb durchgesetzt, weil sie uns helfe, andere hinters Licht führen zu können. Die für die Doppelmoral nötige Schönfärberei funktioniert einer weiteren Untersuchung zufolge aber nur dann, wenn wir genug geistige Kapazität dafür übrig haben. Intuitiv verurteilen wir nämlich auch unsere eigenen Fehltritte. Die Doppelmoral zum Schutz des Selbstbilds entsteht demnach auf einer höheren Ebene der Informationsverarbeitung. Ein wenig tröstlich nach dem wochenlangen Theater: Auf irgendeiner unbewussten Ebene weiß Wulff möglicherweise, dass er sich moralisch nicht einwandfrei verhalten hat.