Gastbeitrag von Roland Kahl
Manchmal kann aus einem kleinen Gespräch eine größere Unterhaltung werden, wie meine 12-jährige Tochter und ich am Ende feststellen konnten: Es ging um solche Dinge wie Schule, Freunde, Klassenkameraden, Eltern, Bekleidung, Wohnen, (Taschen-)Geld, Arbeit und den späteren Beruf. Dinge, die im Leben eines Teenagers eine Rolle spielen und zuweilen ganz schön lästig sein können.
Irgendwann sagte sie mir im Laufe des Gespräches, dass viele ihrer Klassenkameraden/innen sich gar nicht viel leisten können, weil die Eltern so wenig Geld haben und dauernd sparen müssen. Obwohl beide arbeiten gehen. Sie fand das sehr schlecht und bemerkte auch, dass die vielen Eltern für ihre Arbeit wohl nicht besonders gut bezahlt werden, obwohl die meisten doch was gelernt haben. Und ob es ihr denn auch so geht, wenn sie einen Beruf lernt und womöglich trotzdem schlecht bezahlt wird.
[Lieber Leser, Wie antwortet man als Vater darauf? Im Grunde kann man nur versuchen, die Dinge positiv darzustellen, auch wenn man insgeheim beunruhigt ist...]
Also versuchte ich, ihr die Befürchtungen zu nehmen. Allerdings war sie nicht völlig überzeugt und fügte, im Bemühen Zusammenhänge herzustellen, hinzu, dass es doch auch nicht gut ist, wenn die Leute nicht viel kaufen können, dann können die Läden nicht viel verkaufen und müssen vielleicht irgendwann schließen. Das konnte ich nicht in Abrede stellen. Deswegen sagte ich ihr, dass immer mehr Leute sich Gedanken machen, um dies zu ändern. Und dass sie versuchen, neue Methoden bekannt zu machen. Methoden, die sicherstellen, dass alle „ihr Geld verdienen“.
So kam es zur Frage, ob sie weiß, was Steuern sind. Welche Frage! Sie wusste gleich, dass der Papa von seinem verdienten Geld was abgeben muss und – das wusste sie vom Einkaufen – dass da auch überall Steuer drauf ist. Als geübter Prozentrechnerin sagte ihr der Mehrwertsteuersatz von 19%, dass das gar nicht wenig ist und dass es richtig viel ist, wenn vom Gehalt ja auch Steuern abgezogen werden – und dass es weh tut, wenn man wenig Geld verdient. Irgendwie hatte sie das Thema (obwohl eigentlich eher trocken) dann doch gepackt, wohl deswegen, weil zu wenig Geld immer ein Thema ist. Da unterscheidet sich der Nachwuchs nicht von den Eltern, weil alle ein wenig mehr davon brauchen könnten – sei es Verdienst oder Taschengeld.
Aber wie kann man das ändern? Eigentlich gibt es doch Geld? Aber wo ist das und warum haben wenige so viel und viele so wenig? Allmählich wurde es schwierig für mich, denn wie erklärt man einem Teenager mit einer doch begrenzten Aufmerksamkeitsspanne in wenigen Worten wie es besser gemacht werden könnte?
Also fragte ich sie, ob sie wisse, was „Umsatz“ ist. Ja, wenn Geld ausgegeben wird um etwas zu kaufen. So weit so gut – ich fragte nach ob sie sich vorstellen kann, wie viel Umsatz in Deutschland im Jahr gemacht wird. Nein, das konnte sie nicht und ich schrieb ihr auf wie viel das ist:
Es sind ca. 5.400 000 000 000 Euro
Mit einiger Mühe kam sie auf 5,4 Billionen Euro (bei diesen vielen Nullen habe auch ich Probleme, eine solche Zahl „unfallfrei“ zu identifizieren….). Also einigten wir uns auf 5.400 Milliarden, das klingt noch nicht so abstrakt, macht es aber noch unvorstellbarer.
Und so viel wird in Deutschland umgesetzt. Wenn man von diesem Umsatz lediglich 20% Umsatzsteuer nehmen würde, hätten wir über 1 Billion Euro an Steuereinnahmen.
Das würde viele Probleme lösen. Straßen könnten besser in Ordnung gehalten werden, Schwimmbäder müssten nicht geschlossen werden. In den Schulen könnten mehr Lehrer beschäftigt werden, Schulen wären besser ausgestattet. Und so vieles mehr.
Und dann ist in Deutschland angeblich nicht genügend Geld vorhanden und wir müssen sparen? Warum?
Weil jetzt weniger Steuern eingenommen werden und diejenigen, die eigentlich mehr zahlen könnten (und müssten), viele Möglichkeiten haben, keine oder nur sehr wenig Steuern zu bezahlen.
(Das haben Politiker zugelassen, die gegen die Interessen der Bevölkerung handeln).
Ok, ihr war klar, an den Steuern kann man etwas ändern, aber klar war auch, wegen besserer Steuern kriegt man noch lange nicht einen besseren oder überhaupt einen Job. Das geht ja nur, wenn es irgendwie gefördert wird und man Spielregeln schafft, die für Unternehmen einen Vorteil bedeuten, um mehr Leute einstellen und sie besser zu bezahlen. Bis dahin konnte meine Tochter folgen, mehr wollte sie fürs erste auch nicht wissen. Ich war es für den Anfang zufrieden, mehr kann und will ich von einer 12-jährigen noch nicht erwarten.
Teil 2
Natürlich ist die Frage durchaus interessant, wie man mit diesem Steuer(ungs)instrument Anreize für mehr und besser bezahlte Arbeit schafft, deswegen lohnt es sich unbedingt, hier im „Teil 2“ Antworten zu finden. Eigentlich ist das sehr einfach, auch wenn man um des besseren Verständnis willen ein paar Sätze benötigt.
Nach dem heute üblichen System gilt an den Hochschulen im Bereich Wirtschaftswissenschaften, daß es ein (vermeintlich) einzig selig machendes Ziel gibt: Die Maximierung der Profite von Unternehmen. Alle anderen Lehrinhalte sind nachrangig bzw. nichts als ein Mittel, um genau dieses Ziel zu erreichen. Gegen Profit als Ziel ist zwar grundsätzlich nichts einzuwenden, aber der Weg dorthin ist eine Frage für sich, die über Wohl und Wehe unserer zukünftigen Gesellschaft entscheidet.
Zur Profitmaximierung gibt es 2 Möglichkeiten: Erstens möglichst hohe Umsätze/Preise (Maximalprinzip). Die lassen sich gegen den Wettbewerb nur selten durchsetzen. Zweitens möglichst niedrige Kosten (Minimalprinzip). Hauptansatzpunkt der Kostensenker sind die Personalkosten
Das Dogma der BWL-Professoren, das sie ihren Studenten einpauken, lautet sinngemäss: Personalkosten senken und so wenig Menschen wie möglich beschäftigen. Automation nutzen und die Produktionsprozesse optimieren. Menschen durch Computer, Software, Roboter, Maschinen und sonstige Technologien ersetzen. Das betriebswirtschaftlich optimale Unternehmen ist voll automatisiert und hat Null Mitarbeiter (das ist die heutige betriebswirtschaftliche Logik). Angestellte, die noch nicht wegrationalisiert werden können, so gering wie möglich bezahlen. Ansonsten sind die Kosten im globalen Kostenwettbewerb zu hoch. Den Unternehmenseigentümern so viel Gewinn wie möglich. Wer das nicht tut, wird selbst ersetzt.
Im Widerspruch dazu (!) erklären alle VWL-Professoren gleichzeitig (!) , worum es in der VWL geht: Um die Funktion der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Damit Wirtschaft, Gesellschaft, Sozialsysteme und der Staat funktionieren, braucht man so viele Arbeitnehmer, so hohe Gehälter und so wenig Arbeitslose wie möglich.
Also: Alle BWL-Professoren lehren als Ziel für einzelne Unternehmen eine Beschäftigungsquote von 0%, und alle VWL-Professoren lehren als Ziel für die gesamte Wirtschaft eine Beschäftigungsquote von 100%. BWL- und VWL-Professoren erklären ihren Studenten somit das genaue Gegenteil, und das auch noch als alternativlos.
Erstaunlicherweise wundert sich niemand über die Nicht-Funktionalität und die daraus entstehenden Probleme unserer Wirtschaft. Und auch nicht darüber, daß es eigentlich die Aufgabe der zigtausenden Ökonomen ist, die Probleme des Handlungsdrucks zu lösen. Bei diesem Problem haben sie nicht nur alle versagt – sie sind auch ganz offensichtlich Teil des Problems und nicht der Lösung. Noch schlimmer, sie sind sind offenbar auch nicht in der Lage – vielleicht auch aus ideologischen Gründen nicht willens – diese Widersprüche zu erkennen. Lieber halten sie an ihrem Dogma fest, die Realität hat sich gefälligst danach zu richten – wenn sie das nicht tut, dann hat die Realität aber ein Problem.
Jetzt stehen wir vor der Frage, wie kann man die gegensätzlichen Interessen von BWL und VWL in Einklang bringen?
In dem man zum einen das Steuersystem ändert: Idealerweise wird unternehmerisches Gewinnstreben mit Beschäftigungsmaximierung verknüpft und Einkommen, egal ob selb- oder unselbständig, verschont und die Staatseinnahmen über eine klug differenzierte für jeden geltende Umsatzsteuer sicherstellt – und zwar so, daß es keine Verlierer gibt. Besser, jeder zahlt ein bißchen als einige wenige viel.
Die Umsatz-Steuer alleine kann diesen Konflikt nicht auflösen, dazu braucht es das sogenannte Bandbreitenmodell(.de)
Vereinfacht gesagt, werden Unternehmen steuerlich belohnt, die Arbeitsplätze im Inland aufbauen. Dies funktioniert über den Satz der auf den Produktverkauf aufzuschlagenden Umsatzsteuer (ist heute kein Problem, da Unternehmen eine Umsatzsteuernummer haben und daher kaum Möglichkeiten zur “Steuerverkürzung” haben). Ein Unternehmen, das nach einer definierten Quote (die flexibel handhabbar ist, je nach wirtschaftlicher Situation) Personal beschäftigt, kann/darf einen niedrigeren Umsatzsteuersatz auf seine Produkte aufschlagen als ein Unternehmen, das “Personalminimiert” arbeitet. Dies wird so gestaltet sein, daß der Anreiz für mehr Beschäftigung gegeben ist. Zum Nutzen des Unternehmens, das seine Produkte über niedrigere Umsatzsteuersätze preisgünstiger verkaufen kann und zum Nutzen der Allgemeinheit, da weitaus mehr Beschäftigung erzielt werden kann.
Wie es genau realisiert werden kann, sehen Sie unter www.bandbreitenmodell.de
Sie finden dort Kapitel zum Handlungsdruck, wie dieses Konzept funktioniert, die Vision, Ziele und Daten/Fakten, also auch knallharte Zahlen wieviel z. B. Steuereinnahmen über die Umsatzsteuern erzeugt werden können. Wobei das Bandbreitenmodell nach wirtschaftlich/sozialen Erfordernissen geregelt werden kann, es ist nichts statisches, sondern hochflexibel. Das Bandbreitenmodell würde bereits mit einem Umsatzsteuersatz von 15% funktionieren, das ist eine Steuerbelastung die wirklich sehr niedrig ist.
Man darf nicht vergessen: Gewinne, Boni, Gehälter, Löhne und sonstige Einkommen werden im Bandbreitenmodell NICHT besteuert! Volle Kaufkraft sorgt für starken Binnenmarkt, den wir angesichts unserer Exportabhängigkeit so dringend benötigen.
Ich finde das ist 10 Minuten Lektüre wert, weil es (endlich!) mal ein Konzept mit einem Lösungsansatz ist und kein Versuch das althergebrachte, auf das äußerste gescheiterte System zu reparieren. Die Dinge müssen endlich mal vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Wir sind es der Zukunft unserer Gesellschaft schuldig, wir sind es uns selbst schuldig (wollen wir eine Verbesserung der Zustände oder an dieser deprimierenden Situation in der Arbeitswelt festhalten?). Vor allem unseren Nachkommen, unseren Kindern. Und ich bin es meiner Tochter schuldig, denn sie wird mir womöglich in wenigen Jahren sagen: „Du hast mich auf die Schule geschickt und ich habe fleissig gelernt, meinen Abschluss gemacht. Und ich war gut. Und trotzdem reichte es nicht, eine gute Ausbildungsstelle zu bekommen. Was habe ich falsch gemacht?“
Damit sind wir abschließend beim eigentlichen Thema: Wir haben es in der Hand, Mehrheiten zu schaffen, wir haben es in der Hand, umzudenken, Umdenken zu bewirken und auf die Leute zu wirken, die sich mit dem Umdenken schwer tun. Wir haben es in der Hand unseren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ich möchte keinesfalls, dass die Zukunft unserer Kinder auf dem Altar der neoliberal-marktradikalen Götzenanbeter geopfert wird, die wie verblendet der Ersatzreligion des gegenwärtigen Kapitalismus huldigen. Die Priester (Banker, von Lobbyisten beeinflusste oder gekaufte Politiker, Manager etc..) der „Systemreligion“ haben völlig vergessen, dass es der Mensch und seine Bedürfnisse sind, die Wirtschaft und Markt überhaupt erst erzeugt und ermöglicht haben. Ohne Menschen ist der Markt gar nichts. Noch sind wir nicht so weit, dass Produkte Produkte kaufen. Und das wird hoffentlich nie der Fall sein.