Vielen Dank, liebes “Nieselpriemchen”, für diese interessante und neue Idee! Die Blogparade #derTagmeinerGeburt hat mich sofort angesprochen. Ich freue mich schon darauf, die Geburtsberichte aus den “guten, alten Zeiten” zu lesen, die mich während dieser Blogparade erwarten könnten.
Da meine Mutter mir öfter von meiner Geburt erzählte, kann ich jenen erstaunlich warmen, letzten Novembertag des Jahres 1976 vielleicht recht gut skizzieren:
Es war ein Dienstag, ein Tag nach dem errechneten Termin und meine Mutter trug ihren Frühlingsmantel, weil es eben recht unwinterlich warm war. Als die Wehen sie etwas zu pieken begannen, brachten meine Eltern meinen sechs Jahre älteren Bruder zu einer sehr lieben, mütterlichen Freundin meiner Mutter.
Dann kurvten sie in ihrem hübschen roten Ascona (oder war es noch der ockerfarbene Manta, ihr erstes Auto?) mit dem Klinikkoffer im Gepäck in das acht Kilometer entfernte Krankenhaus der westdeutschen Kleinstadt, in der ich zur Welt kommen sollte. Ich weiß sogar noch den Namen meiner Hebamme, aber es soll ja hier alles hübsch anonym bleiben.
Der Start ins Leben gestaltete sich geradezu metaphorisch und exemplarisch für mich, ein bisschen Max-Black-mäßig:.
Meine Mutter wurde nach ihrer Ankunft im Krankenhaus von den freundlichen energischen (Ordens-) Schwestern auf den Gang der Geburtsstation komplimentiert. Sie “junges Huhn” (26 Jahre alt aber zehn Jahre jünger aussehend, wie immer) solle sich gedulden.Meinem Vater hätten sie das wohl besser sagen sollen, denn dieser hatte nach einer knappen Stunde des Neben-der-Wehenden-Sitzens keine Lust mehr und fuhr nach Hause.
Nicht, dass dort ein Telefon gewesen wäre, mit dem sie ihn hätte erreichen können. Meine Eltern vertrauten diesem teuren, unnötigen Teufelsapparat noch nicht einmal zehn Jahre nach meiner Geburt.
Er war jedenfalls weg. Muttern saß auf dem Plastikstuhl und wippte vor und zurück. Irgendwie kamen ihr die Wehen wohl recht wehenmäßig vor, denn sie hatte ganz schönes Ziepen.
Die Hebamme lief mehrere Mal geschäftig an ihre vorbei, doch meine Mutter – zwischen erlernter Anpassungsfähigkeit und Selbstlosigkeit verunsichert – lächelte immer nur diszipliniert-tapfer, statt um Hilfe zu bitten.
“Ach, bei ihnen dauert es ja noch. Ich komme nachher noch mal rum,” sagte die Fachfrau und meine Mutter lächelte mit zusammengepressten Lippen.
Irgendwann, so nach zwei Stunden, wuselte die Dame wieder über den Gang. Währenddessen war meine Mutter in den entspannenden Genuss mehrerer schreiender Gebärender gekommen, deren Stimmen durch diverse Türen drangen und leicht eingeschüchtert. Sie saß da immer noch alleine, während ihr Mann sich zuhause mit dem Fernseher von seiner großen Bürde des Nichtstuns ablenkte.
“Na, kommen sie mal mit, wir wollen doch mal nachgucken,” kam es von der Hebamme, die meine Mutter in ein Zimmer brachte. Meine Mutter sah sich um und die Hebamme räusperte sich sichtlich verlegen:
“Äh, ja, tut mir leid. Der Kreißsaal wird gerade renoviert. Das hier ist unsere Teeküche.”
Aber ein Kreißbett hatte man reingeschoben.
Meine Mutter schluckte kloßig beim Anblick der Beinstützen mit den Ledergurten. Verschwörerisch neigte sich die Hebamme zu ihr und beruhigte sie:
“Na, Kindchen, wo wir ihnen heute keinen richtigen Kreißsaal bieten können, da kann ich den Doktor bestimmt überzeugen, die Beingurte wegzulassen.”
“Mh-hm,” kam es wohl von meiner Mutter, die mit Tränen in den Augen auf das Kreißbett kletterte. Die Hebamme untersuchte sie kurz und meinte dann ganz entgeistert:
“Ja, aber! Es ist ja schon so weit! Warum haben sie denn nichts gesagt, mein Gott? Und da lässt man sie auf dem Gang sitzen, also nein! Ich rufe den Arzt!”
Der Arzt kam wehenden Kittels in die Szene und drückte meiner Mutter zur Begrüßung die Lachgasmaske auf das Gesicht. Meine Mutter dusselte wohlig weg und träumte, sie hielte ihr Kind bereits in den Armen. Sie hörte nicht, wie der Schlagbohrer des Handwerkers nebenan im Kreißsaal seinen Höllenlärm begann und nicht, wie die Kollegen des Schlagbohrerhandwerkers mit den Hämmern loslegten.
Sie träumte, sie habe alles hinter sich.
Dann weckte sie die Hebamme.
“So, nun ist es soweit. Pressen sie! Pressen sie!”
Irgendwie hatte meine Mutter wieder Tränen in den Augen, als sie aus ihrem Wunschtraum erwachte und im Lärm sowie der grellen Deckenbeleuchtung und den Kommandos landete. Eine Hand des Arztes lag schwer auf ihrem nackten Oberschenkel. Aber gnädiger Weise ersparte er ihr tatsächlich, sie breitbeinig anzubinden, wie sie es bei ihrer ersten Geburt erlebt hatte.
Da ging die Tür links auf und einer der Arbeiter steckte seinen Kopf herein. Er glotzte meiner Mutter kurz zwischen die Beine und meinte dann:
“Wollte nur mal fragen, ob der Krach von uns irgendwie hier stört, oder so?”
Dann sah er meiner Mutter ins Gesicht und sprach lauter, als sei sie wegen eines Hörsturzes und nicht wegen einer Geburt auf dem Horrorbett mit den Beinfesseln:
“Stören wir sie, gute Frau?”
Tja, und was machte meine Mutter? Mit Tränen in den Augen – sowie Schmerzen ganz woanders – tapfer lächelnd den Kopf schütteln.
Daraufhin legte der Schlagbohrermann wieder los. Nun sprach die Hebamme auch lauter. Gezwungener Maßen.
“Gleich haben wir’s geschafft! Pressen! Pressen!”
Und in der Tat durfte ich kurz darauf auch das gleißend helle Licht genießen.
Zack – abgenabelt.
Zack – kopfüber gehalten.
und zack – unzärtlicher Klaps als unnötige Atemhilfe. War mal groß in Mode.
“Danke für die schöne Begrüßung auf diesem Planeten, ihr Hirnis!” sollen meine ersten Worte gewesen sein.
Ich machte wohl einen fitten Eindruck, wurde gemessen und war mit 55 Zentimetern und 3.300 Gramm ganz angemessen präsent. Ich wurde nicht gebadet, sondern gelobt, weil ich ein so sauberes Mädchen war und in einen Krankenhausstrampler gesteckt.
Meine Mutter wurde versorgt, die Nachgeburt kam, sie wurde untersucht und ins Zimmer geschoben. Da lag sie dann zusammen mit einer 16-jährigen Mutter, die auf einem Schwimmring saß. Das tat sie, weil sie einen Dammriss jenseits des IV. Grades hatte. Vermutlich XVI. Grad, so wie meine Mutter das beschrieb. Die Schwimmring-Mama hatte auch ein Mädchen geboren.
Und da lag auch die frisch gebackene Mutter eines Sohnes, dessen Vor- und Zunamen ich auch noch weiß. Ich sollte den mal ausfindig machen und fragen, ob er auch heute noch einen Schweißausbruch bekommt, wenn jemand einen Bohrer anwirft, so wie ich …
Die Mit-Mutter ohne Schwimmring sagte:
“Und wenn sie dich gleich fragen, ob du stillen willst, dann sagst du besser nein. Weil die Schwestern werden ordentlich bräsig, wenn sie dir dauernd das Kind bringen müssen. Darauf haben die keine Lust. Also nimm die Abstillpillen, sonst machen die dir hier das Leben zur Hölle. Die wecken dich nachts zum Fiebermessen und so was.”
Als dann die Oberschwester wegen des Stillens kam – angemessen korpulent und mit kräftig Dominanz in jedem Gramm – bekam meine Mutter die Pillen schon direkt wortlos hingehalten und ich wurde eins von den puffelwangingen Milupa-Kindern. Obwohl meine Mutter gern gestillt hätte.
Nach drei Tagen durfte meine Mutter gehen. Mein Vater war am Tag nach der Geburt zu Besuch gewesen und hatte in der Tat ein paar Tränchen verdrückt, als er mich hat liegen sehen. Später schwor er stets frech grinsend, es seien Tränen des Grams gewesen. Fand ich nie wirklich witzig.
Seit der Nacht meines Lebensstarts war es plötzlich doch Winter geworden. Meine Mutter hatte ganz naiv morgens am Entlassungstag versucht, in ihre Vor-Schwangerschaftskleidung zu schlüpfen, die sie im Koffer mitgenommen hatte. Aber leider hatte sie sich da fehleingeschätzt und nun nahm sie einen Bus in Richtung der nächstgrößeren Kleinstadt, um dort warme Kleidung zu kaufen. Ihren Frühlingsmantel hatte sie bibbernd um sich gewickelt.
Als sie dann später am Tag nach Hause kam, war da niemand.
Außer einem Berg Spül, auf den mein Vater keinen Bock gehabt hatte.
Kein Willkommen, keine Blumen, keine Babyschühchen. Nur dreckiges Geschirr.
“Danke für gar nichts, du Herzgemahl!” hat meine Mutter da in die leere Wohnung gebrüllt und ihrer Enttäuschung Luft gemacht.
Ganz sicher nicht. Aber sie hatte sicher mal wieder nasses Zeugs in den Augen.
Sie legte mich in meinen Stubenwagen, der mit einem richtig schönen Stoff in rotem Schottenkaro bezogen war. Und ich schlief.
In den folgenden Wochen entwickelte ich mich allerdings zu einem Schreikind.
Irgendwie war ich wohl nicht ganz zufrieden.
Mein Bruder konstatierte, er wolle in den Hühnerstall der Oma ziehen, weil ich so ein schreckliches Schwesterchen war. Ich war ihm einfach zu laut.
Wenn meine Mutter mich spazieren fuhr, dann blickten die Nachbarinnen in den Wagen und sagten nicht viel. Sie waren meinen schönen Bruder gewohnt, der mit seinen dunklen Augen und samtigem Haar bestochen hatte. Ich trug eine Art Fussel-Tonsur auf dem Kopf und brüllte die Leute an, wenn sie mir zu nahe kamen.
Ich wette, meine Mutter hatte da auch öfter mal Tränen in den Augen.
Das waren nun eher die ersten 21 Tage meines Lebens, als nur der #TagmeinerGeburt. Aber für einen richtigen Geburtsbericht hätte ich meine Mutter wohl schreiben lassen müssen und dies ist nun einmal nicht möglich. Daher beschrieb ich alles, das ich noch aus ihren Erzählung im Kopf habe.
Es ging ja auch um einen Einblick in die Geburten der vergangenen Jahrzehnte und dafür ist meine Beschreibung ja vielleicht doch ganz brauchbar.
Ach, als meine Mutter übrigens die Wöchnerinnen-Station eine Weile darauf besuchte, um der Hebamme zu danken, zeigte diese ihr stolz und immer noch etwas verschämt den neuen Kreißsaal: Er blitzte wunderbar in schneeweißen Kacheln von oben bis unten.
“Sieht aus wie ein Schlachthof mit leicht abzuspritzenden Wänden, ” äußerte meine Mutter mutig ihren ersten Gedanken. Nicht.