Wie ich mit Frau Abedi nach gefühlten Ewigkeiten "Die längste Nacht" in Viagello verbrachte

Frau Abedi nach gefühlten Ewigkeiten
Es soll ein freundschaftlicher Trip durch Europa werden. Weg von der Schule, weg von den Eltern, einfach mal jung sein und die Welt sehen. Doch selbst der Leser bemerkt schon sehr früh, dass die Reise für die 17Jährige Vita nicht lange andauern wird, denn bereits in einem ihrer ersten Zwischenziele, dem kleinen italienischen Dorf Viagello, wartet eine vertraute Atmosphäre auf sie, der sie sich nicht entziehen kann. Hier liegen lang gehütete Geheimnisse begraben. Geheimnisse, die viel mehr mit ihr zu tun haben, als sie vorher zu glauben wagt, und so begibt sie sich, gemeinsam mit dem anziehenden Seiltänzer Luca, auf die Suche nach Antworten. 
Es passiert sehr selten, dass mich Roadtrips in Büchern dermaßen in den Bann ziehen, dass mich selbst die Reiselust packt; doch als Vita und ihre beiden Freunde Trixie und Danilo in den orangen Bulli stiegen, wollte ich auch gern auf der Rückbank sitzen und mit ihnen gemeinsam die Route planen. Allgemein war die beschriebene Stimmung - Italien, Sommer, Sonne, Flusswasser - eine sehr einnehmende und ließ die Sonnenstrahlen buchstäblich meine Haut kitzeln. Ähnlich erging es mir auch mit den auftretenden Figuren, die so voller Seele steckten, dass ich mir alle sehr gut bildlich vorstellen konnte. Nur mit einem Charakter hatte ich so meine Probleme: Vita.
Das Buch besteht hauptsächlich aus Erinnerungen und Geheimnissen der Vergangenheit und so hält sich der Anteil der Gegenwart in Grenzen. Zwar versucht die Autorin durch das Anbandeln von Vita und Luca noch ein wenig Handlung hineinzubringen, aber ehrlich gesagt interessierte mich irgendwann nur noch eins: was geschah damals in der längsten Nacht. Und während wir des Rätsels Lösung etappenweise immer näher kommen - sich bereits die skurrilsten Ideen in meinem Kopf gebildet haben - verblasst die Protagonistin immer mehr und scheint nur noch Mittel zum Zweck zu sein. Im Nachhinein scheint es einen guten Grund für dieses eigenschaftslose Verhalten zu geben, doch hielt es mich stets auf Distanz und ließ nicht zu, dass ich wirkliche Sympathien für Viate entwickeln konnte.
Die endgültige Auflösung konnte mich leider nur teilweise überzeugen, was allerdings auch daran lag, dass man schon sehr früh dazu angehalten wird, mitzurätseln, wer denn hinter all dem steckt. Die Sache ist nur die, je mehr Zeit ich bekomme, um Theorien aufzustellen, umso abgedrehter werden meine Ideen, sodass ich schlussendlich von dem eher einfachen Ende nur enttäuscht werden kann. Was ich Frau Abedi jedoch zugutehalten muss, ist, dass sie sich zwar mancher alter Muster bedient, aber auch für Überraschungen sorgen konnte und am Ende sehr emotionale Szenen einbaut, die mal nichts mit einer Jugendliebelei zu tun haben.
Um es kurz zu sagen...
Frau Abedis neuer Roman besticht mit einem überwältigenden, sommerlichen Italien, in dem man sein Essen und den Tisch gern mit ihren Nebenfiguren teilen mag. Auf spannende Art und Weise erzählt sie dabei eine tragische Geschichte, derem (teilweise überraschendem) Ende man ungeduldig entgegenfiebert. Selbst die Liebesgeschichte war für mich eine erträgliche Angelegenheit. -Vita bleibt neben all den leidenschaftlichen Figuren eher ein blasses Wesen, als ob man ihr, gemeinsam mit dem rätselhaften Teil ihrer Vergangenheit, auch die Seele geraubt hätte. Das verbessert sich zwar am Ende, ändert aber nichts daran, dass weniger ihr, als vielmehr das Schicksal einer anderen Person erzählt wird und sie somit zum "Überbringer" der Geschichte degradiert wird.
Frau Abedi nach gefühlten Ewigkeiten

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