Kinder stellen Fragen. Manche sind schwer, beispielsweise die Frage was es gab, bevor es die Erde gab. Urknall? Und davor? Manche sind auch einfach, scheinbar zumindest. Beispielsweise jener Klassiker: Ist Deutschland eigentlich ein großes Land? Und die Frage ist erstaunlicherweise weniger klar zu beantworten als zunächst erwartet. Ein schönes Beispiel dafür, wie man aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf eine Frage zu unterschiedlichen Antworten kommt und außerdem endlich mal wieder etwas aus der Kategorie unnützes Wissen.
Pädagogische oder statistische Antwort? Fläche oder Bevölkerung?
Meine Eltern haben mir immer erklärt, Deutschland sei ein ganz kleines und unbedeutendes Land. Aber das war eine pädagogisch motivierte und keine statistisch fundierte Antwort, auch wenn die BRD damals noch kleiner war als heute, es gab schließlich noch die DDR (vor fast genau einem Jahr habe ich auch einen Beitrag über die Statistik der DDR geschrieben).
Aus statistischer Sicht muss zunächst geklärt werden, ob man von der Fläche oder von der Bevölkerungszahl spricht. Bei der Bevölkerung darf Deutschland weiter vorne mitspielen als bei der Fläche.
In beiden Fällen gibt uns das World Factbook der US-amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) Auskunft. Bedenken muss man dabei aber, dass die CIA in ihrer Übersicht auch abhängige Gebiete aufnimmt, sofern sie weitgehende innere Selbständigkeit genießen. Darunter fallen zunächst einmal die noch verbliebenen Kolonien, aber auch die beiden chinesischen Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau, die ja sogar (jeweils) eine eigene Währung haben (wobei die Macau-Pataca im Verhältnis 1 : 1,03 an den Hongkongdollar gebunden ist). Um einen Durchschnitt oder wenigstens einen Median ausrechnen zu können, müssten wir also erst einmal bestimmen wie viele Staaten es gibt.
Wie viel Staaten gibt es eigentlich?
Leider ist das gar nicht klar. Mitglied der UN sind 193 Staaten, hinzu kommt die Vatikanstadt, die kein Mitglied der Vereinten Nationen ist, aber nicht umstritten ist. Hinzu kommen zwölf Staaten, die nur von wenigen Staaten oder gar nicht anerkannt werden und deren Territorium oft von anderen Ländern beansprucht wird. Bekannteste Beispiele sind Palästina und die Republik China, bekannt als Taiwan. Die Republik China war sogar lange Zeit Mitglied der UN und hat dort ganz China repräsentiert, wurde allerdings dann gegen die Volksrepublik ausgewechselt. Ohnehin dürften nur wenige Menschen in Deutschland wissen, dass Taiwan offiziell als Republik China fungiert. Auf den Produkten des Landes steht schließlich auch meistens „Made in Taiwan".
In beiden Staaten würden aber wohl die meisten Deutschen sagen, dass es sich hier um eigenständige Länder handelt. Aber wie sieht es mit Somaliland aus, jenem Teil Somalias, der vergleichsweise stabil ist, doch weltweit von keinem einzigen Staat anerkannt wird?
Noch schwieriger ist es bei Gebieten wie Transnistrien, Nordzypern oder Arzach, besser bekannt als Bergkarabach, wo Nachbarstaaten (hier Russland, die Türkei und Armenien) ihre Finger im Spiel haben und die Abspaltung beziehungsweise Besetzung teils als völkerrechtswidrig kritisiert wurde.
Deutschland auf Platz 64 und 19
Aber zum Glück müssen wir es so genau gar nicht wissen. Laut World Factbook liegt Deutschland bei der Fläche auf Platz 64, bei der Bevölkerungszahl sogar auf Platz 19. Allerdings liegen bei der Bevölkerungszahl die Antarktis (Platz 2) und Grönland (Platz 13) vor Deutschland, die beide keine Staaten sind. Sie gehören auch nicht zur Liste jener zwölf umstrittenen Staaten, weil die Antarktis ein Kontinent ist und kein Land (und außerdem weitgehend unbewohnt) und Grönland ist autonomer Bestandteil Dänemarks - dass die Insel auch gerne behalten möchte.
Ob wir jetzt mit 193 Ländern rechnen (UN-Mitglieder), mit 194, mit 206 oder mit einer Zahl dazwischen, Deutschland gehört in beiden Kategorien zu den größeren Ländern.
Auch über den Mittelwerten liegt Deutschland. Selbst wenn wir mit nur 193 Ländern rechnen liegt das arithmetische Mittel für die Bevölkerungszahl bei 40 Millionen, der Median sogar nur bei rund 8,8 Millionen (passenderweise liegt dort Österreich).
Für die Fläche ist nicht ganz so eindeutig, mit rund 3.577.000 qm liegt Deutschland aber sowohl über dem arithmetischen Mittel von 2.642.000 qm als auch über dem Median von 144.100.000 qm.
Eine andere Betrachtung
Allerdings kann man das Ganze noch auf eine weitere Art betrachten. Man kann fragen, ob ein zufällig ausgewählter Erdenbürger vermutlich in einem größeren Land wohnen würde als ein Deutscher oder in einem kleineren. Oder anders formuliert, ob es mehr Menschen gibt, die in Staaten leben, die größer sind als Deutschland oder weniger.
Fangen wir dabei mit der Größe gemessen in Einwohnern an, das ist einfacher. Alleine in China und Indien lebt jeweils rund ein Sechstel der Weltbevölkerung, jeder dritte Erdenbürger wohnt demnach in einem der beiden Länder. Kumuliert man die Einwohnerzahl mit dem größten Land beginnend auf, haben wir schon bei Nummer sieben, Brasilien, mehr als 50 Prozent. Es gibt also auf der Welt mehr Menschen, die in Ländern leben, die größer sind als Deutschland als solche, die in kleineren Staaten leben.
Deutlich mehr als 50 Prozent leben auch in Staaten, die von der Fläche her größer sind als Deutschland. Die sieben einwohnerstärksten Länder, die ja bereits mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung beheimaten, sind alle auch von der Fläche her größer als Deutschland. Überhaupt sind die 18 Länder, die mehr Einwohner haben als die BRD, mit Ausnahme von Bangladesch, den Philippinen und Vietnam auch alle von der Fläche her größer ( Japan liegt genau einen Rang vor Deutschland).
Was lernen wir daraus?
Ist das wichtig, so etwas zu wissen? Nicht unbedingt, deshalb steht es ja in der Kategorie „unnützes Wissen". Spannend ist aber, wie unterschiedlich man an eine Frage herangehen kann - und so zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt.