Wie geschichtlich ist der christliche Glaube?

WEIMAR. (fgw) Die Religion des Christentums beruht auf Leben, Tod und Auferstehung eines beschnit­te­nen Juden namens Jesus aus Nazaret, der, so die Legende, im Jahre 30 oder 31 von den Römern gekreu­zigt wurde. Schriftliche Nachweise sei­tens der römi­schen Administration gibt es dafür keine. Die Kirchenväter beru­fen sich daher auf das soge­nannte Neue Testament der Bibel. Doch die Evangelien, die den Gläubigen als Beleg für die Existenz eines Jesus die­nen, wur­den mit gro­ßer Wahrscheinlichkeit erst 40 und deut­lich mehr Jahre nach dem beschrie­be­nen Ereignis abge­faßt. Selbst der als älteste schrift­li­che Quelle gel­tende Galater-Brief des Apostels Paulus wurde erst 25 Jahre nach dem o.g. Todesdatum abge­faßt. Wobei Paulus sei­nem Jesus nie begeg­net war. Um so mehr bemü­hen Theologen und christ­li­che Historiker außer­christ­li­che Quellen als Beweis dafür, daß Jesus wirk­lich gelebt habe.

detering falsche Zeugen Wie geschichtlich ist der christliche Glaube?

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Hermann Detering (Jg. 1953), pro­mo­vier­ter evan­ge­li­scher Theologe mit Forschungsschwerpunkt frü­hes Christentum, hat in sei­ner Schrift “Falsche Zeugen” eben jene außer­christ­li­chen Quellen unter die Lupe genom­men. Als Kronzeugen für die geschicht­li­che Existenz eines Jesus aus Nazaret gel­ten vor allem die anti­ken Historiker Josephus (37/38 – ca. 100) , Tacitus (ca. 58 – ca. 120), und Sueton (ca.70 – ca. 130/140 sowie der römi­sche Statthalter Plinius der Jüngere (61/62 – 113 o. 115).

Detering wen­det sich aber auch ande­ren angeb­li­chen Zeugen zu, so Mara bar Serapion (ver­mut­lich Ende des 2. Jhd.) und Thallus (ver­mut­lich 2. Jhd.).

Bereits auf den ers­ten Blick auf­fal­lend: Keiner die­ser ange­führ­ten Zeugen lebte bereits um das Jahr 30 herum und kein ein­zi­ger lebte in der römi­schen Provinz Palästina. Und eben­so­we­nig wie der christ­li­che Hauptzeuge Paulus sind auch diese nicht­christ­li­chen Zeugen jemals einem Menschen Jesus aus Nazaret per­sön­lich begeg­net.

In sei­nem ein­füh­ren­den Kapitel “Zur Bedeutung der außer­christ­li­chen Jesus-Zeugnisse” schreibt Detering: “Eine Religion, die sich auf Geschichte grün­det und in der das Heil der Gläubigen von einer geschicht­li­chen Person abhängt, kann, so scheint es, durch den Nachweis der Ungeschichtlichkeit eben die­ser Person leicht zu Fall gebracht wer­den, leich­ter als eine Religion, die auf einem Mythos oder einer Lehre basiert, da diese der Autorität eines (gott-menschlichen) Stifters in der Regel nicht bedür­fen.” (S. 11)

Daher wür­den sich für jeden Wissenschaftler auto­ma­tisch Fragen nach der Zuverlässigkeit der Urkunden erge­ben, die eben jene Geschichtlichkeit begrün­den sol­len. Detering schreibt wei­ter, daß heute selbst viele Theologen ein­ge­ste­hen müß­ten, daß weder die Evangelien noch die Paulus-Briefe “neu­trale wis­sen­schaft­li­che Geschichtsschreibung” sind. “Sie gel­ten viel­mehr als ‘enga­gierte Zeugnisse’, ver­fasst, um Jesus ‘als den Messias, Herrn und Gottessohn’ zu ver­kün­di­gen.” (S.12) Aus die­sem Grunde würde man seit der Aufklärung ver­stärkt außer­christ­li­che Zeugnisse bemü­hen, um doch noch eine Geschichtlichkeit nach­wei­sen zu kön­nen.

Im fol­gen­den wid­met der Autor jedem der oben erwähn­ten sechs “Kronzeugen” ein eige­nes Kapitel begin­nend mit “Christliche Interpolationen bei Flavius Josephus”. Im umfang­rei­chen Werk diese Historikers gibt es ledig­lich zwei Stellen, die angeb­lich auf Jesus oder das Christentum hin­deu­ten.

So ein Bericht über den Tod des Jakobus (Ant 20,200-203): “Er ver­sam­melte daher den hohen Rat zum Gericht und stellte vor das­selbe den Bruder des Jesus, des soge­nann­ten Christus, mit Namen Jakobus (…) und ernannte Jesus, den Sohn des Damnaeus, zum Hohenpriester.” (S. 22)

Allerdings wird diese Passage erst um das Jahr 300 vom Kirchenvater Origines erst­mals erwähnt.

Detering schluß­fol­gert, daß es sich bei dem Jesus im Werk von Flavius kei­nes­falls um den Jesus aus Nazaret gehan­delt haben kann. “Dennoch ergibt die ganze Stelle im Übri­gen auch einen kla­ren his­to­ri­schen Sinn: Sie weist offen­bar auf einen Machtkampf zweier hohe­pries­ter­li­cher Familien hin (…) an seine Stelle trat ein Mitglied der geg­ne­ri­schen Familie, der Damnaeus-Sohn Jesus. Mit dem Mann aus Nazaret und des­sen Familie hatte das alles ursprüng­lich gar nicht zu tun.” (S. 26/27)

Wie wahr und wie arm­se­lig zugleich: Da fin­det sich tat­säch­lich in einer anti­ken Schrift der Name “Jesus” und schon gilt das ohne wenn und aber als Beweis. Als ob es im Vorderen Orient all­zeit nur einen ein­zi­gen Menschen die­ses Namens gege­ben habe. Wobei die­ser Mensch, wenn es ein Jude war, sicher­lich kor­rekt in der Sprache sei­ner Zeit und sei­nes Volkes Jeschua oder Jeschu, auch Jehoschua, genannt wor­den wäre. Im übri­gen gibt es selbst in isla­mi­schen Herrscherfamilien der Jetzt-Zeit Personen, die Isa (also Jesus auf ara­bisch) hei­ßen.

Das Wirken eines christ­li­chen Interpolators in antike Urkunden, die als außer­christ­li­che his­to­ri­sche Belege gel­ten sol­len, stellt Detering nicht nur bei die­sem Text fest. [Interpolation, von latei­nisch inter­po­la­tio zu inter­po­lare „umge­stal­ten, ver­fäl­schen, ent­stel­len", ist ein Fachbegriff der phi­lo­lo­gi­schen Textkritik und bezeich­net die Erweiterung eines Textes durch Wörter, Sätze oder Abschnitte von frem­der Hand, die nicht zum ori­gi­na­len Textbestand gehö­ren. - Man könnte dazu auch ganz pro­fan nach­träg­li­che Fälschung sagen; SRK].

Die Feststellung zum Bericht über den Tod des Jakobus trifft Detering auch bei kri­ti­scher Über­prü­fung der ande­ren Josephus-Stelle, dem Testimonium Flavianum (Ant 18,63f).

Seine These zu Interpolationen in sämt­li­chen unter­such­ten außer­christ­li­chen Quellen stützt Detering nicht zuletzt auf diverse sprach­li­che Besonderheiten. Kurz gesagt, es tau­chen latei­ni­sche Wendungen in die­sen Texten auf, die zur Zeit der ange­führ­ten Autoren unbe­kannt waren und erst im Mittelalter gebräuch­lich wur­den.

Im zwei­ten Kapitel “Tacitus: Der Brand Brand Roms und die ‘nero­ni­sche Christenverfolgung’” kommt der Autor bezüg­lich der Quelle (Annalen des Tacitus 15,44, Testimonium Taciteum/TT) zu kei­nem ande­ren Schluß: “Doch lohnt sich auch hier, näher hin­zu­bli­cken. Auch das TT ist, wie wir noch sehen wer­den, in Wahrheit nur ein Beleg dafür, dass die from­men Kopisten der christ­li­chen Ära wenig Bedenken tru­gen, wenn es darum ging, die Geschichtsbücher nicht­christ­li­cher Autoren durch ten­den­ziöse Einfügungen in ihrem Sinne umzu­schrei­ben. Warum auch hät­ten sie sich mit Skrupeln pla­gen sol­len, da sie doch nach eige­nem Selbstverständis nichts ande­res taten, als Ergänzungen anzu­brin­gen, die ihnen not­wen­dig und gerecht­fer­tigt erschie­nen?” (S. 44)

Nach gründ­li­cher Textanalyse kon­sta­tiert Detering, daß hier kein ursprüng­li­cher Zusammenhang von Rom-Brand und Christenverfolgung fest­zu­stel­len sei. Selbst das Negativbild des Kaisers Nero in Bezug des Brandes sei anzu­zwei­feln. Die Behauptungen über den Brandstifter Nero und seine im Zusammenhang damit ver­fügte Christenverfolgung seien nur “eine der vie­len Fälschungen, die Christen im Laufe der Jahrhunderte vor­nah­men.” (S. 74)

Das gelte auch im Falle von “Plinius d.J. – Christenverfolgung in Bithynien”. Die Echtheitskritik macht Detering vor allem an sti­lis­ti­schen, for­ma­len und sprach­li­chen Besonderheiten fest. Dazu schreibt er: “Alles in allem: Man kann sich des Eindrucks nicht erweh­ren, dass über die Christenverfolgungen in Bithynien und Pontus in Wendungen gespro­chen wird, wie sie spä­ter von Klerikern zur Beschreibung der Verfolgung christ­li­cher Häretiker ver­wen­det wur­den.” (S.117) Über­all wür­den in dem Text kirch­li­che Denkweisen zum Vorschein kom­men, nicht jedoch antike römi­sche!

Das vierte Kapitel ist über­schrie­ben mit “Sueton: Christus in Rom?” – Eine span­nende Frage, denn unter Berufung auf Sueton soll Christus sogar in Rom geweilt haben und sei­ner­zeit soll es da bereits eine früh­christ­li­che Gemeinde gege­ben haben.

Hierzu schreibt Detering: “Tatsächlich emp­fiehlt sich (…) als ein­fachste und nächst­lie­gende Lösung des Problems die Annahme, dass Sueton den Sachverhalt voll­kom­men kor­rekt wie­der­gibt und die Unruhen in der Regierungszeit des Kaisers Claudius unter der römi­schen Judenschaft durch einen Insurgenten mit dem Namen Christus/Chrestos aus­ge­löst wur­den. Chrestus war war ein häu­fi­ger Name, der vor allem bei römi­schen Sklaven begeg­nete.” (S. 129)

Auch hier wird von christ­li­chen Apologeten also so getan, als seien Namen wie Jesus oder Christus abso­lut ein­ma­lig…

Als ähnlich unglaub­wür­dig erwei­sen sich lt. Detering bei wis­sen­schaft­li­chem Quellenstudium die angeb­li­chen Zeugen “Mara bar Serapion: der ‘weise König’” (Kapitel 5) und “Thallus: ein Hinweis auf die Passionsgeschichte?” (Kapitel 6).

Zu letz­te­rem schreibt Detering: “…frag­lich ist es, ob er – selbst vor­aus­ge­setzt, es läge wirk­lich eine Anspielung auf die Kreuzigung Jesu vor – über­haupt als Zeuge betrach­tet wer­den dürfte, da die von ihm mit­ge­teilte Tradition nur aus christ­li­chen Kreisen stam­men könnte, also gar kein unab­hän­gi­ges Zeugnis wäre. Alles in allem: Ein Fragment, das uns nur aus ‘drit­ter Hand’ über­lie­fert wurde (…) zeigt nur eines: wie schlecht es um den his­to­ri­schen Wert der außer­christ­li­chen Jesus-Zeugnisse im Allgemeinen bestellt ist.” (S. 172)

Danach geht Detering unmit­tel­bar auf “Das Schweigen nicht­christ­li­cher Quellen” ein. Dieses Schweigen müsse doch einen Grund haben, was auch für wirk­lich zeit­ge­nös­si­sche christ­li­che Quellen gelte. Denn “die Wirkung die Jesus als ‘Wandercharismatiker wäh­rend sei­ner kur­zen Tätigkeit in Galiläa und Jerusalem ent­fal­tete, muss ja (…) so über­wäl­ti­gend gewe­sen sein, dass Zeitgenossen sie schwer­lich über­se­hen konn­ten. In den Evangelien ist fort­wäh­rend von der ‘gro­ßen Volksmenge’ die Rede, die Jesus wäh­rend sei­ner Tätigkeit beglei­tet und Zeuge sei­ner Wunder und Heilungen ist, deren Ruhm im gan­zen gali­lä­i­schen und dar­über hin­aus erscholl.” (S. 178) So zumin­dest laut der Evangelisten Markus und Matthäus… Der Autor merkt an, daß es auch um archä­lo­gi­sche Nachweise “äußerst schlecht” bestellt sei. Nicht nur in Bezug auf einen Menschen Jesus aus Nazaret, son­dern auch hin­sicht­lich der Existenz eines Christentums im 1. Jahrhundert. Der christ­li­che Glaube, so Forschungsergebnisse, sei erst ab dem Jahre 180 als kul­tur­his­to­ri­sches Phänomen in den Blick der Archäologen gekom­men. Selbst die immer wie­der ange­führ­ten römi­schen Katakomben-Inschriften von Christen kön­nen erst auf das 3. Jahrhundert datiert wer­den.

“Fazit und Ausblick” – nennt der Theologe und Historiker Hermann Detering seine abschlie­ßen­den Betrachtungen. Zu den vom Klerus prä­sen­tier­ten “nicht­christ­li­chen Jesuszeugnissen” stellt er fest, daß sie im höchs­ten Maße der christ­li­chen Manipulation ver­däch­tig sind. Sie sind für ihn nichts ande­res als “Beispiele für die seit dem 2./3. Jahrhundert um sich grei­fende Tendenz, dem Inhalt des christ­li­chen Glaubens eine kon­krete his­to­ri­sche Gestalt zu geben.” (S. 185)

Und warum dies alles? Was macht den Glauben bis heute oft stär­ker als den Verstand? Hier kon­sta­tiert er mit dem katho­li­schen Theologen Küng, “dass das Erfolgsprinzip des Christentums in sei­ner geschicht­li­chen Begründung bestand. Die argu­men­ta­tive Kraft geschicht­li­cher Fakten ist auch und gerade bei der mis­sio­na­ri­schen Verbreitung des Glaubens nicht zu unter­schät­zen, selbst wenn sich spä­ter her­aus­stel­len sollte, dass es sich hier­bei nur um eine schein­bare Faktizität han­delte und die Tatsachen his­to­risch nicht stimm­ten. Einer Religion, die auf his­to­ri­sche Fakten baute, musste die Zukunft gehö­ren. Das haben auch die Kirche und ihre Vertreter früh erkannt.” (S.185)

Denn worum geht es im Grunde 2000 Jahre nach der behaup­te­ten Existenz eines Jesus aus Nazaret? Und seit dem Siegeszug der Wissenschaft über Aberglauben und Glauben? Um nichts ande­res als um die Frage von Sein oder Nichtsein des christ­li­chen Glaubens!

Und, das soll hin­zu­ge­fügt wer­den, das prak­ti­ziert der Klerus bei­der gro­ßen Konfessionen bis heute mit unge­bro­che­nem Elan und mit unbe­schreib­li­cher Dreistigkeit. So indem sie sich und ihre Religion zu den Grundlagen von Aufklärung, Kultur, Wissenschaft, Demokratie und Menschenrechten erklä­ren. Man denke doch nur daran, daß sie flugs das in die­sem Jahr erst­mals phy­si­ka­lisch nach­ge­wie­sene Hoggs-Boson – mit Hilfe kir­chen­hö­ri­ger Journalisten – als “Gottesteilchen” für sich und die Existenz von “Gott” rekla­miert haben.

Auch wenn diese Schrift für Nicht-Philologen und Nichttheologen nicht unbe­dingt ein­fach zu lesen ist, so soll sie doch wärms­tens all jenen emp­foh­len wer­den, denen es mit Kirchen- und Religionskritik ernst ist. Am bes­ten im Zusammenhang mit der Lektüre des eben­falls pro­mo­vier­ten Theologen Hans-Werner Kubitza “Der Jesuswahn – Wie die Christen sich ihren Gott erschu­fen” (Tectum 2011).

Hermann Detering: Falsche Zeugen. Außerchristliche Jesuszeugnisse auf dem Prüfstand. 244 S. brosch. Alibri-Verlag Aschaffenburg 2011.19,00 Euro. ISBN 978-86569-070-8

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]

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