Wie beeinflusst die Temperatur den Geschmack?

Temperatur

    Ein Klassiker: man sitzt entspannt im Restaurant, bestellt ohne größere Erwartungen ein Gläschen Weißwein und wundert sich, dass das Glas frost-beschlagen serviert wird.

    Ein erster Schluck stellt klar: nicht doll aber trinkbar.

    Einige Minuten später offenbart sich dann das Elend: der Wein legt um ein paar Grad Celsius zu und entpuppt sich als fieser Säuerling.

    Spätestens dann wird klar:

    Temperatur hat einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung von Geschmack.

    Denn…

    • Aromen verändern sich in Abhängigkeit der Temperatur
    • Temperatur beeinflusst die Geschmacksintensität

    Beispiele:

    • Ein Apfel schmeckt bei Zimmertemperatur völlig anders als ein Bratapfel
    • Frischer Sellerie riecht und schmeckt anders als gekochter Sellerie
    • Eine Bloody Mary zieht einen Großteil ihres Charakters aus der kühlen Serviertemperatur. Würde man den Tomatensaft erhitzen, wäre der Drink viel zu intensiv.
    • Andersherum: serviert man eine klassische Tomatensuppe kalt als Gazpacho, so wird sie im Zweifelsfall deutlich zu laff schmecken (vgl. Vilgis, 2007, S. 45)

    Die Fakten

    Wie für viele Themen im Rahmen der Sonntagsfragen gilt auch hier: der allgemeine Erkenntnisstand ist erstaunlich dünn. Viele Fragen sind offen, alles ist im Fluss.

    Einigermaßen sicher scheint zu sein: Essen schmeckt zwischen 20 und 35 Grad am intensivsten. Unterhalb von 20 Grad und oberhalb von 30 bzw. 35 Grad nimmt die Geschmacksintensität ab. Ob die Obergrenze dabei 30 oder 35 Grad liegt und wie sich die Geschmacksintensität bei höheren Temperaturen entwickelt, ist unklar (vgl. Shakuntala, N. Manay, O., 2001, S. 108; http://www.theguardian.com/lifeandstyle/wordofmouth/2013/sep/17/serving-temperature-affects-taste-food). Um die Sache noch etwas komplizierter zu machen, müsste man korrekterweise auch unterscheiden nach der Geschmacksintensität und der Länge des Geschmacks, beim Wein etwas unrühmlich Abgang genannt.

    Eine relativ neue Erkenntnis ist, dass sich die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen in Abhängigkeit der Temperatur unterschiedlich verhalten:

    Temperatur 3

    Schematische Darstellung der Temperaturabhängigkeit einiger Basis-Geschmacksqualitäten (Vilgis, T., 2015, S. 38)

    Bitter wird in kalten Umgebungen intensiver wahrgenommen als warmen. Allerdings schmeckt bitter in kalten Umgebungen weniger lange nach.

    Nach meiner persönlichen, wissenschaftlich natürlich völlig ungestützten Erfahrung, nimmt „bitter“ auch bei noch niedrigeren Temperaturen, insbesondere um und unter dem Gefrierpunkt, weiter an Intensität zu.

    Ich kann mich an ein absolut ekelhaftes, selbstgemachtes Grapefruit-Sorbet erinnern.

    Was war passiert?

    Zum einen hatte sich im frischen Grapefruit-Saft durch den Luftkontakt das bittere Limonin gebildet, das in vielen Zitrusfrüchten vorkommt und bei Sauerstoff-Kontakt einen auffälligen Bitterton entwickelt. Zum anderen hatte die niedrige Temperatur des Sorbets den bitteren Geschmack verstärkt

    Sauer wird in warmen Umgebungen um die 20 Grad intensiver und länger wahrgenommen. Darüber und darunter ist die Wahrnehmung weniger intensiv.

    Zum Thema Süß finden sich in der Literatur unterschiedliche Angaben: eine Studie legt nahe, dass es bei „süß“ keinen Unterschied in der Geschmacksintensität gebe. Allerdings dauere es bei kalten Lebensmitteln länger, bis die maximale Geschmacksintensität erreicht ist (vgl. http://www.springer.com/about+springer/media/springer+select?SGWID=1-11001-6-1378530-0).

    Die sehr aktuelle Kurve von Prof. Thomas Vilgis deutet dagegen an, dass die Geschmacksintensität mit steigender Temperatur zunimmt. Dieser Zusammenhang kommt mir aus meiner persönlichen Erfahrung nachvolziehbar vor: denn während Supermarkt-Eis sehr kalt häufig noch erträglich süß schmeckt, wird die Süße in der Regel mit steigender Temperatur deutlich unangenehmer.

    Und was bedeutet das konkret:…

    • Man sollte kalt serviertes Essen stärker würzen als warmes.
    • Es ist günstig, sehr kaltem Essen vor dem Servieren – wenn möglich – einen Temperatur-Kick zu verpassen. Ein gutes Beispiel dafür ist Eis: wenn Eis direkt aus einem Haushalts-Tiefkühler kommt, hat es Minus 18 Grad und schmeckt mehr oder weniger nach nichts. Es macht also Sinn, selbst gemachtes Eis eine halbe Stunde vor dem Servieren aus dem Tiefkühler zu nehmen und ihm so die Möglichkeit zu geben, bei Zimmertemperatur ein paar Grad zuzulegen.
    • Es ist ein interessanter Ansatz, im Rahmen eines Tellers das gleiche Lebensmittel in verschiedenen Temperaturen zu servieren, z.B. eine Mango sowohl als Eis als auch bei Raumtemperatur. Aus dem Temperaturunterschied ergeben sich spannende aromatische Abweichungen.

     Weiterführende Links

    The Guardian: Hot or not? How serving temperature affects the way food tastes

    Aktuelle Studie bei Springer Online

    Alle Sonntagsfragen im Überblick


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