Wie aus Freddy Alfred wurde

Wie aus Freddy Alfred wurde

Freddy war als Kind ein Träumer, ein Grenzgänger zwischen Wirklichkeit und einem Irgendwo, zu dem nur er Zugang fand. Nicht nur nachts, auch am hellichten Tag. Das ging solange gut, bis er die Schule besuchen musste. Anstelle der Kreide auf Wandtafel sah er, was sich dahinter verbarg. Eine jenseitige Welt voller Wunder und Fantasie, aber auch voller Abgründe.

Nachdem er zweimal erfolglos die achte Klasse besucht hatte und seine Lehrer herausgefunden hatten, dass ihn auch Ohrfeigen nicht von seinen Träumereien abhalten konnten, entliessen sie ihn als „Unbelehrbaren“ aus der Schule. Manchmal begegnet er ihnen heute noch im Traum. Er hört sie dann sagen:

„Du bist nicht der Hellste“, „Du bist halt nicht besonders intelligent“, Du bist nicht normal“, und „Aus dir wird nichts.“

Trotzdem ist aus ihm etwas geworden.

Jahrzehnte sind vergangen, die Träume sind geblieben.

Und eines Tages holt ihn die Vergangenheit ein:

Er sitzt am Stammtisch seines Vereins und sieht sich plötzlich wieder einem Oberlehrer gegenüber. Ein älterer, verbissener Herr, der das Lächeln von anderen abgeguckt hat. Dieser lässt durchblicken: dieser Verein hier, das sind meine Schüler. Ohne mich wären sie nichts. Doch was sie ihr Hobby nennen ist nichts, bloss Blabla. Ich stehe darüber.

Freddy erzählt ihm, wer er ist, offenherzig wie das seine Art ist. Er berichtet auch von seinen Träumen, denen er immer noch nachhängt. Doch das hätte er besser bleiben lassen.

„Ich kenne deinen Chef“, sagt der strenge Oberlehrer, und markiert damit seine Position.

Aha, denkt Freddy, diesen Typus kenne ich, und schaltet seinen Schutzschirm ein, den er sich im Laufe des Lebens zugelegt hat. Höflich nickend bezeugt er dem Oberlehrer den Respekt, den dieser von ihm erwartet. Er will ja keine Ohrfeigen kassieren, auch keine virtuellen.

Doch die weiteren Begegnungen werden immer schwieriger. Sein Schutzschirm bröckelt und da er nie ein gelehriger und folgsamer Schüler war, wagt er zu widersprechen.

„Du bist halt nicht der Hellste“, sagte da der Oberlehrer, noch halb im Scherz. Doch Freddy weiss: Oberlehrer scherzen nicht. „Du begreifst nicht, worum es geht“, stellt der Oberlehrer fest und er lässt durchblicken: Wer bist du eigentlich, dass du dich erdreistest, mir zu widersprechen, einem der alles weiss und alles kann und alles schon gemacht hat? Weisst du denn nicht, dass ich nur das Beste für dich und deine undankbaren Kameraden will?

Und schwups sitzt Freddy wieder in der Schulklasse von damals. Es ist wie eine der Ohrfeigen, die er oft kassierte. Sein Schutzschirm ist kaputt.

Von diesem Augenblick an weiss er: Es würde früher oder später zum Eklat kommen und er würde den Stammtisch seines Vereins, der für ihn in diesem Augenblick zum Klassenzimmer geworden war, wieder verlassen müssen.

An einem Freitag, es war nicht der Dreizehnte, war es dann soweit. „Du bist nicht normal“, sagte der Oberlehrer nach einer Auseinandersetzung über ein technisches Thema. „Du begreifst nicht, um was es geht.“

Doch er begriff sehr wohl, um was es ging. Und er wusste, dass er jetzt auch diese „Schule“ verlassen musste. Seine Hände zitterten, als er das Glas zum Mund führte und er musste es mit beiden Händen halten. Die anderen Stammtischler studierten derweil betreten die Menukarte.

Freddy trat aus dem Verein aus, er wollte nicht mehr mit dem Oberlehrer zusammentreffen.

Am Tag darauf erhielt er eine Email des Oberlehrers: Er brummte ihm „Strafaufgaben“ auf und forderte, er solle sich entschuldigen. Da wusste Freddy: er hatte richtig gehandelt. Seine Erfahrungen mit toxischen Menschen hatten ihm gezeigt, dass er sich nur eine Zeit lang mit ihnen arrangieren konnte. Sie entzogen ihm Energie und Lebensmut und er musste sie meiden, wo er nur konnte. Mit den Toxischen war es nämlich wie mit den giftigen Pilzen. Ein einziger konnte das ganze Gericht verderben.

Dann kam wieder eine Mail vom Oberlehrer: Er habe die Auseinandersetzung analysiert, es müsse sich um ein Informationsdefizit handeln. Natürlich nicht um seines, sondern um das des „Schülers“. Darauf schrieb ihm Freddy höflich aber bestimmt zurück, dass er keine weiteren Mails wünsche.

Er kehrte nie mehr an den Stammtisch zurück und nannte sich von diesem Tag an Alfred.

Traumperlentaucher



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