WEIMAR. (fgw) Am 31. März hat mich eine eMail aus Wien erreicht. Nicht anonym, sondern amentlich gezeichnet. Verfaßt von einem südosteuropäischen Katholiken. Dieses Schreiben trieft nur so von Haß auf alles Anders- und Nichtgläubige, auf alle Muslime und Atheisten. Letztere werden von diesem bekennenden Katholiken sogar gleichgesetzt!
Der selbstgefällig-besserwisserisch erhobene Zeigefinger - Symbol für weiße, christliche Herrenmenschen
Irgendwie paßte das aber zu meiner jüngsten Lektüre: Vor wenigen Tagen habe ich das Buch “Korea” (gemeinsam geschrieben mit Rainer Werning – erschienen heuer im Wiener Promedia-Verlag; ISBN 978-3-85371-340-29) eines südkoreanischen Professors namens Song Du-Yul, der seit über 40 Jahren im bundesdeutschen Exil lebt, gelesen. Trotz des Titels schreibt er zwar vorwiegend über den Süden seines geteilten Heimatlandes, doch in Bezug auf Nordkorea, die einstige Sowjetunion und die Volksrepublik China führt er für mich etwas sehr wichtiges aus:
“…stellte ich die gängigen Forschungsansätze – wie die “Totalitarismus”-Theorie – in Frage und schlug stattdessen den immanent-kritischen Ansatz vor. Dieser geht davon aus, real existierende Sozialismen vorrangig auf der Basis ihrer eigenen propagierten Ziele zu untersuchen und zu kritisieren, um sodann zu erkunden, ob und inwieweit diese realisiert werden bzw. wurden.” (S. 188)
Zum nördlichen Teil seines Heimatlandes schreibt er dann weiter:
“Mein Ansatz ging von folgenden Fragen aus: Ist die nordkoreanische Gesellschaft doch nicht verschieden von der Gesellschaft, in der wir leben? Wie erhalten wir unser Wissen darüber, was die Nordkoreaner denken und fühlen und wie sie die Welt wahrnehmen? Solche fragen, die sich im Kern um das Verständnis des Andersseins der nordkoreanischen Gesellschaft bemühen, erfordern, sich von Selbstgefälligkeit zu lösen und selbstkritische Distanz zu üben. Häufig entwickeln wir eigene Vorstellungen über die Volksrepublik und projizieren diese dann als ‘die Tatsachen’ des Landes. Diese werden meist nicht ge-funden, sondern er-funden (oder fabriziert).” (ebda.)
Bereits auf S. 187 heißt es: “Es ist lediglich der Beginn, nicht das Ende von Nordkorea-Forschungen, sich der eigenen Blindheit bewußt zu werden und zu erfahren, daß es in der Volksrepublik mehr gibt als nur ‘das Böse’, das der Zivilisierung harrt. Natürlich gibt es in dem Land einen anderen Alltag, den wir uns aufgrund unserer eigenen Lebensweise kaum oder gar nicht vorstellen können.”
Naja, eigentlich müßte man mit Blick auf “den abendländisch-christlichen Westen” besser sagen: “…den wir gar nicht vorstellen wollen.”
Was Professor Song speziell zur Außensicht auf Nordkorea sagt, das gilt eigentlich für die Sicht “des Westens” generell. Übersetzen wir doch mal das “wir” mit USA, NATO-Europa, Bundes-deutschland, amtschristlicher Klerus….
… und dann “Nordkorea” auch mit DDR, Hoxha-Albanien, Atheismus, Islam, Iran oder Syrien.
Dann erkennen wir eine Grundhaltung “des Westens”, einschließlich der christlichen Priesterkasten, gegenüber dem “Rest der Welt”. Was seit über 1500 Jahren zu Kreuzzügen und Kolonialkriegen unter dem Motto “Taufe oder Tod” führte. Heute nennt man das Durchsetzung der Menschenrechte, Schutz der Zivilbevölkerung, humanitäre Interventionen. Damals wie heute aber geht es um politische und ökonomische Macht von “abendländischem” Feudaladel, Monopolkapital und Priesterfürsten über alle Völker unserer Erde. Damit aber Ruhe im eigenen Land herrscht, muß man über die anderen Unwissen und Vorurteile verbreiten, muß man “westliche” Selbstgefälligkeit und Besserwisserei pflegen.
Abschließend noch dies: Unter Berufung auf amtliche südkoreanische Quellen heißt es im oben erwähnten Buch, daß im kapitalistischen, US-hörigen Südkorea 46,9 Prozent der Menschen keiner Religion angehören. Bundesdeutsche Nachschlagewerke dagegen schreiben dagegen auch jedem Süd-Koreaner eine religiöse Identität zu, so wie sie es ignorant mit den Menschen in anderen Ländern ebenfalls tun.
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]