Wider die Politikerverachtung

Von Stefan Sasse
Mit schöner Regelmäßigkeit kann man davon ausgehen, dass irgendjemand das Thema anschneidet, das Zustimmung aus allen Richtungen quasi garantiert: wie schlecht, böse, inkompetent, faul und überbezahlt Politiker doch sind. Auf keinen Fall fehlen darf der Verweis darauf, dass sie Diäten selbst festlegen. Unbedingt verwiesen werden muss auf die Alterssicherung, die ihnen garantiert wird, wenn sie lange genug im Parlament saßen. Geradezu Pflicht der Verweis auf die Kostenpauschalen, die sie erhalten. Bezahlt wird das alles von "unseren Steuern". Abgerundet wird mit der Bestandsaufnahme, dass nicht immer alle Politiker im Plenarsaal anwesend sind. Wer es gerne substantieller hat, verweist auf den hohen Anteil von Akademikern und Lehrern und erklärt, dass die Politik keinen Bezug zum "wirklichen" Leben hat, abgehoben ist und ohnehin nichts von der Sache versteht. Wenn dazu die Forderung kommt, das Wahlrecht zu ändern und sich eine generelle Parteienverachtung Bahn bricht, ist der gesamte Cocktail beisammen. Man kann noch nachschauen, ob Hans Herbert von Arnim den fraglichen Artikel geschrieben hat, aber das ist zu diesem Zeitpunkt schon Makulatur, denn der Mann sagt zwar seit 30 Jahren das Gleiche und wird immer noch zitiert, aber die beschriebene Politikerverachtung findet sich ja bereits viel früher und geht so weit zurück wie es Politiker gibt. Ich will an dieser Stelle gar nicht so sehr darauf eingehen, ob die Politikerverachtung die Demokratie schädigt (das tut sie) oder ob nicht manche Politiker diese Kritik mehr als verdient haben (das tun sie sicherlich). Mir geht es darum, die Pauschalität dieser Urteile zurückzuweisen.
Da wäre einmal die Frage nach dem Geld. Ein Bundestagsabgeordneter verdient nicht schlecht - rund 8000 Euro monatlich, brutto. Da er keine Rentenversicherungsbeiträge zahlt, bleibt eine ordentliche Summe übrig. Mit vielen Leitungspositionen in der freien Wirtschaft ist das aber nicht zu vergleichen, und die Führung eines Landes ist sicherlich kein Job, der schlecht bezahlt sein sollte. Auch die Erhöhungen der Diäten, die die Abgeordneten selbst vornehmen, sind keinesfalls übermäßig - bevor 1977 ein Grunsatzurteil erfolgte, das den Bundestag zur Eigenanpassung zwingt, waren sie an die Bezüge von obersten Richtern gebunden, die mittlerweile rund 950€ mehr verdienen. Der öffentliche Druck, der bei jeder Diätenerhöhung erneut entsteht, hat den Bundestag schon öfter von einer Erhöhung abgehalten und ist in Wahrheit ein Nachteil für die Abgeordneten, kein Vorteil. Auch die Kostenpauschalen kann man nicht einfach aufs Gehalt rechnen. Während es durchaus sein mag, dass die Reste einbehalten werden (es ist schließlich eine Pauschale) bleibt nicht dermaßen viel übrig, denn so üppig bemessen sind sie nicht. Die kleinen Skandale um schlecht oder nicht bezahlte Praktika machen das deutlich. Dazu kommt, dass die oft geforderte Abschaffung der Pauschale zugunsten einer Abrechnung den Steuerzahler teurer kommen würde, müsste man doch Leute einstellen, die diese Abrechnungen machen. Auch die Alterssicherung liegt durchaus im Rahmen von normalen Pensionsbezügen.
Aber letztlich ist dieses Verrennen in Details nur mäßig zielführend. Es geht den Kritikern ja nicht wirklich um 200€ hin oder her. Die wahre Zielrichtung ist, das Geld als Angriffswaffe zu benutzen - schau her, das sind solche Nieten und die kriegen so viel! Es ist keine Neiddebatte, so wie die Debatten um Managergehälter auch keine Neiddebatten sind; die Kritiker sind ja nicht neidisch in dem Sinne, dass sie das Geld gerne selbst hätten, sondern sie gönnen es demjenigen, der es bekommt, nicht, weil das Gefühl besteht, er/sie habe es nicht verdient. Würden Politiker die Hälfte bekommen, so wüde dies die Kritik nicht wesentlich entschärfen.
Einer der ambivalentesten wie nutzlosesten Kritikpunkte aber ist der fehlende "Lebensbezug" der Politiker, die klassische Kreissaal-Hörsaal-Plenarsaal-Kritik. Sie entspringt einem Anti-Intellektualismus auf der einen und einer Verachtung des Lebensentwurfs auf der anderen Seite. Die Trennung von "richtigem" und politischem Leben und Beruf ist völlig arbiträr. Eine vorherige Beschäftigung in einem anderen Bereich sagt nicht das Geringste über die Fähigkeiten der jeweiligen Person aus. Dieser Fehlachluss findet besonders häufig statt, wenn angenommen wird, ein adeliger Wirtschafts- und Verteidigungsminister müsse ehrlich sein, ein Politiker aus der Arbeiterschicht würde diese besonders engagiert vertreten oder eine weibliche Kanzlerin mache feministische Politik. Nichts davon bietet einen Automatismus. Es zeigt sich auch häufig die Ablehnung der geistigen Berufe, die keine "richtigen" Berufe seien. Dahinter steckt das Idealbild eines wirtschaftlich unabhängigen, weltgewandten, gleichzeitig "volksnahen" Politikers, der sich unparteeisch in den Dienst der Sahe stellt - ein unerreichbares, aber penetrantes Ideal.
Das zweite Standbein der Politikerverachtung stellt ein völlig missgeleitetes Ideal von Politik dar, das sich ebenfalls nicht ausrotten lässt: die Verherrlichung des scheinbar unpolitischen, die Verachtung des demokratischen Prozesses und des Kompromisses. Die Vorstellung, es gäbe eine richtige Politik, und dass die Politiker sie aus Eigennutz nicht finden würde, ist eben so langlebig wie falsch. Wer diese Vorstellung hat, kann Politiker nur als notorische Lügner, Schleimer und Wendehälse wahrnehmen. Es ist ein Grundprobpem der Demokratie, dass ihr Souverän den Streit um die beste Lösung und den Kompromiss ablehnt. Diese Ablehnung erstreckt sich durch den Trieb zur Personalisierung hauptsächlich auf die Exponenten, die Aushängeschilder, dieses ungeliebten Systems. Und hier liegt das Problem, denn jeder, der verspricht sich über die Parteien zu erheben und "sachliche" Politik zu betreiben, täuscht sein Publikum und kann kein demokratischer Politiker sein. Diese Sehnsucht ist gefährlich, und sie ist ungeheuer persistent.

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