Wer zu Fuß geht – Feministische Sprachmagie

Wer zu Fuß geht – Feministische Sprachmagie

Für Fussgänger verboten – oder besser “für die, die zu Fuß gehen, verboten”

Die Entgenderung der Sprache ist reine Symbolpolitik. Wer wirk­lich die Situation von Frauen ver­bes­sern möchte, sollte den Spielplatz der femi­nis­ti­schen Linguistik ver­las­sen und im wirk­li­chen Leben gegen die his­to­ri­schen und brand­ak­tu­el­len Ursachen der Frauenfeindlichkeit kämp­fen: die fort­dau­ernde Förderung und Finanzierung der mono­the­is­ti­schen Religionen.

In den letz­ten Tagen haben sich die Menschen in Deutschland sehr über eine neue Verordnung amü­siert. Wir haben gelernt, dass „der Fußgänger“ ein im Grunde sexis­ti­scher Ausdruck ist, denn sein Genus ist männ­lich. Damit Frauen ab jetzt von der ver­kehrs­po­li­ti­schen Amtssprache mit­ge­meint sind, heißt es jetzt nicht mehr „Fußgänger“, son­dern „wer zu Fuß geht“.

Die Theorie dahin­ter: Wer die Sprache ent­gen­dert, macht Sexismus unmög­lich. Das Problem mit die­ser Annahme ver­deut­licht sehr schön das fol­gende Video:

„Und hel­fen Sie beson­ders Tragenden von Röcken mit Brüsten, denn wer nichts von Technik ver­steht, ist beson­ders auf Hilfe ange­wie­sen.“

„Wer zu Fuß geht“. Wir scheuen Substantive, weil sie ein Genus haben. Lieber drü­cken wir ein­fa­che Substantive durch Relativsatzkonstruktionen aus. Aber wel­ches Genus hat das Pronomen „wer“? Ist „wer“ etwa geschlechts­neu­tral? Dazu ein paar Beispielsätze.

„Wer hat sei­nen Bleistift lie­gen gelas­sen?“

Wir könn­ten auch fra­gen: „Wer hat ihren Bleistift lie­gen gelas­sen?“ Aber damit deu­ten wir an, dass wir die Besitzerin des Bleistifts schon ken­nen und nach ihr nicht gefragt wird. Das heißt, „wer“ und „sei­nen“ bezie­hen sich auf die die­selbe (unbe­kannte) Person, „wer“ und „ihre“ bezie­hen sich auf ver­schie­dene Personen.

Daher sind auch fol­gende Sätze gram­ma­ti­ka­lisch kor­rekt:

„Wer hat sei­nen Lippenstift/BH/Tampon lie­gen gelas­sen?“

Das Genus von „wer“ ist klar mas­ku­lin. Daher kön­nen Gender-Änderer auch mit die­ser lebens­frem­den Verkomplizierung der Sprache den Genderteufel nicht aus­trei­ben. Trotzdem las­sen sich auch Frauen pro­blem­los von „wer“ mit­mei­nen. Der beste Beweis dafür ist diese Verordnung zur Ände­rung von „Fußgänger“ zu „wer zu Fuß geht“, deren Verantwortliche das Genus von „wer“ offen­bar über­se­hen haben.

Die Vorstellung, dass wir mit der Sprache eine effek­tive Stellschraube für gesell­schaft­li­che Prozesse hät­ten und eine Veränderung der Sprache allein einen sozia­len Wandel bewir­ken könnte, ist eine sprach­ma­gi­sche Vorstellung. Das gene­ri­sche Maskulinum ist Folge einer Jahrtausende alten patri­ar­cha­len Gesellschaftsstruktur. Wenn Frauen im Laufe der Evolution einer Sprache als Aktanten, als eigen­stän­dig han­delnde Individuen kaum vor­kom­men, so wirkt sich das auf die Struktur der Sprache aus. Aber diese Sprachstruktur deter­mi­niert nicht die soziale Realität von Frauen, wie die femi­nis­ti­sche Linguistik impli­zit behaup­tet. Könnte aber eine Ände­rung der Sprache per Verordnung einen sol­chen Wandel nicht zumin­dest unter­stüt­zen? Ich glaube nicht. Drei Argumente, warum die­ser Einfluss der Sprache maß­los über­schätzt wird:

1. Wenn die Über­zeu­gun­gen der femi­nis­ti­schen Linguistik von den Ministerien über­nom­men und nach und nach umge­setzt wer­den, sollte man davon aus­ge­hen kön­nen, dass sehr viele Frauen daran maß­geb­lich betei­ligt sind. Wenn also eine Ände­rung der Sprache per Verordnung von oben mög­lich ist, dann ist der all­ge­meine Bewusstseinswandel, der dadurch ange­sto­ßen wer­den soll, bereits fast voll­en­det.

2. Hier ist ein Rätsel, des­sen ent­schei­dende Stelle nur auf Englisch funk­tio­niert:

Ein Vater fährt mit sei­nem Sohn zu einem Fußballspiel, als auf ein­mal das Auto auf einem Schienenübergang ste­hen­bleibt. In der Ferne ertönt der Warnton eines Zuges. Voller Panik ver­sucht der Vater, den Motor zu star­ten, schafft es aber nicht, und das Auto wird von dem her­an­ra­sen­den Zug erfasst. Eine Ambulanz eilt her­bei und nimmt die bei­den auf. Auf dem Weg zum Krankenhaus stirbt der Vater. Der Sohn lebt noch, aber sein Zustand ist ernst, er muss sofort ope­riert wer­den. The sur­geon came in, expec­ting a rou­tine case. However, on see­ing the boy, the sur­geon blan­ched and mut­te­red, “I can’t ope­rate on this boy―he’s my son.”

Das Rätsel stammt von Douglas Hofstadter, der es 1982 in Scientific American und 1985 in dem Buch Metamagical Themas (Kap. 7, „Changes in Default Words and Images“) ver­öf­fent­licht hat. Warum ist das über­haupt ein Rätsel? Weil damals wohl höchst sel­ten Frauen Chirurgen waren. (Das war einige Jahre vor der Serie Emergency Room, in der viele doc­torsund sur­ge­ons Frauen waren.) Das innere Bild, das sich jeder von die­sem Chirurgen machte, war das Bild eines Mannes. Somit hat es bei den meis­ten sehr lange gedau­ert, bis sie auf die nächst­lie­gende Lösung kamen: Der Chirurg ist die Mutter des Jungen!

In unse­rem Zusammenhang ist die­ses Rätsel des­halb inter­es­sant, weil es (im Englischen) kei­ner­lei sprach­lich kodierte Hinweise auf das Geschlecht des Chirurgen ent­hält. Das bedeu­tet also, dass auch nach jeder magi­schen Gender-Änderung das Rätsel immer noch genauso bestünde. Denn die still­schwei­gende Annahme „Chirurg, Geschlecht männ­lich“ wird hier nicht sprach­lich kodiert. Wenn wir inzwi­schen leich­ter auf die Lösung kom­men, dann liegt das nicht an der Sprache, son­dern nur daran, dass inzwi­schen mehr Frauen Chirurgen sind. Die still­schwei­gen­den Annahmen, die Frauen aus­schlie­ßen, wer­den nicht durch das gene­ri­sche Maskulinum ver­ur­sacht. Solche Annahmen sind in einer patri­ar­cha­len Gesellschaft ein­fach erfolg­reich. Verändert sich aber die Gesellschaft, wer­den sie immer wie­der fal­si­fi­ziert und immer sel­te­ner bestä­tigt. Wenn also unser Ziel ist, dass mehr Frauen Chirurgen, Abgeordnete oder Firmenchefs wer­den, dann soll­ten wir die Strukturen von Ausbildung, Beruf und Leben ver­än­dern, aber nicht sprach­li­chen Hokuspokus trei­ben.

3. Wenn wir nicht einen immer grö­ße­ren Eiertanz voll­füh­ren wol­len, um mög­lichst alle genus­an­zei­gen­den Informationen aus unse­ren Äuße­run­gen zu ent­fer­nen, dann wäre viel­leicht eine radi­kale Ände­rung der Struktur unse­rer Sprache gebo­ten. Es könnte mit eini­gem Recht dafür argu­men­tiert wer­den, dass das Problem der femi­nis­ti­schen Linguistik nicht die eine oder andere gene­risch ver­wen­dete männ­li­che Form ist, son­dern das Genus selbst. Also weg mit dem Genus!

Weg mit dem Genus? Geht das denn über­haupt? Es wurde wahr­schein­lich noch nie ver­sucht, ein Genussystem ganz abzu­schaf­fen, aber grö­ßer als bei der letz­ten Rechtschreibreform kann der Aufstand kaum wer­den. Im Prinzip ist das aber kein Problem, denn es gibt Sprachen ohne Genus, nach Wikipedia ist das sogar die Hälfte aller Sprachen. Nach der Logik der Gender-Änderer sollte wohl gel­ten: Wenn eine Sprache kein Genussystem kennt, leben Frauen in den Ländern, in denen diese Sprachen gespro­chen wer­den, freier und eman­zi­pier­ter.

Schauen wir uns einige Beispiele für Sprachen ohne Genus an. In Klammern die Länder, in denen sie gespro­chen wer­den:

Armenisch (Armenien), Assamesisch (Bangladesch), Georgisch (Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Griechenland, Iran, Russland, Türkei), Persisch (Iran, Afghanistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Bahrain, Irak), Zentral- und Südkurdisch (Iran, Irak), Malaiisch (Indonesien)

Das sieht ernüch­ternd aus. Wenn die Sprache wirk­lich den Einfluss auf die soziale Realität von Frauen hätte, den die Gender-Änderer ver­mu­ten, sähe diese Realität in die­sen Ländern sicher anders aus.

Die soziale Realität der Frauen in den meis­ten die­ser Länder hat mit einer patri­ar­cha­len Struktur zu tun, die über­all außer­halb der auf­ge­klär­ten west­li­chen Welt noch offen reli­giös begrün­det wird. Aber auch wir haben immer noch mit die­sem Erbe zu kämp­fen. Anstatt sym­bo­li­sche Siege zu fei­ern, soll­ten Feministen also lie­ber vehe­ment gegen die fort­dau­ernde Förderung und Finanzierung der mono­the­is­ti­schen Religionen vor­ge­hen. Man sollte dage­gen pro­tes­tie­ren, dass unsere Medien tage­lang auf einen Schornstein star­ren und auf erschüt­ternd unkri­ti­sche Weise die viel­leicht stärkste reak­tio­näre Macht der Welt in Sondersendungen fei­ern, nur weil ein Reaktionär dem nächs­ten die Klinke in die Hand gibt. Was die katho­li­sche Hegemonie für Frauen bedeu­tet, hat nicht zuletzt die Affäre um die katho­li­schen Kölner Kliniken im Januar 2013 gezeigt. Man sollte lie­ber mutige Frauen wie Necla Kelek, Seyran Ates, Ayaan Hirsi Ali und andere unter­stüt­zen, die die offen­kun­dige Frauenverachtung des Islams anpran­gern. Und gerade die­je­ni­gen, die poli­ti­sche Verantwortung tra­gen, soll­ten mit aller Macht und Entschiedenheit vor­ge­hen gegen Ehrenmorde, Zwangsehen, Jungfrauenkult, Geschlechtersegregation (nehmt Euch ein Beispiel an Lawrence Krauss); die Liste der wirk­li­chen Probleme ist lang. Aber gerade die­je­ni­gen, die sich mit der immer wei­ter­ge­hen­den Entgenderung der Sprache immer lächer­li­cher machen, wün­schen sich hoff­nungs­los naiv einen „Reformpapst“ oder hei­ßen den Islam „zu sei­nen eige­nen Bedingungen am herz­lichs­ten will­kom­men.


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