Wesentliche Entscheidungsprozesse, ausschlaggebende Richtungsweisungen sind kaum noch von öffentlichen Interesse, werden so gut wie nicht mehr publiziert. Die Vierte Gewalt gestaltet sich mehr und mehr als ein Ausgabenkontrollzentrum, das über die Kosten des Sozial- und Gesundheitwesens, über die Finanzen notleidender Volkswirtschaften oder die Gehälter des öffentlichen Dienstes wacht und die Menschen der Mittelschicht darüber in Kenntnis setzt, was mit den Geldern, die man ihnen abknöpft, geschieht. Die Ausgabenkontrolle vermittelt den falschen Eindruck, die vermeintlichen Leistungsträger und Steuerzahler hätten einen Anspruch darauf, diejenigen genau unter die Lupe zu nehmen, die von ihren Geldern leben. Das Leben von Menschen, die Gelder aus öffentlichen Kassen beziehen oder in Krisenstaaten leben, erklärt man zum Allgemeingut. Alles folgt der Devise: Wer zahlt, schafft an! Das ist jedoch ein eklatanter Irrtum.
Ein Dieb kann keine Brücke sein
Wie die Haushaltführung der schwäbischen Hausfrau, die heute zur finanzpolitischen Agenda taugt, weil die krassierende Ahnungslosigkeit sie dazu machte, so ist das Prinzip des Wer zahlt, schafft an! ebenfalls zu einer profunden gesellschaftlichen Einsicht geworden. Der Mittelschicht, die immer dann angesprochen wird, wenn neue Zahlen zu Hartz IV oder Krankenkassen vorliegt, gesteht man medial nicht nur den Anspruch zu, erfahren zu dürfen, was mit ihren Steuerzahlungen geschieht, man vermittelt den falschen Eindruck, es gäbe etwas wie Mitsprachekompetenz und ein natürliches Recht darüber, die steuerlich angegebenen Gelder mitverwalten zu dürfen. Was bei Brücken- und Straßenbau, bei infrastrukturellen Maßnahmen akzeptiert werden kann, ist aber spätestens dann inakzeptabel, wenn der Mittelstandsbürger glaubt, auch bei Transferleistungen hätte er die Berechtigung, mitvotieren zu dürfen, ob er die Kosten tragen möchte oder nicht.
Die moralische Agenda, die ökonomische Problematiken und gewollte politische Entscheidungen umfunktioniert, sie zum moralischen Versagen von Arbeitslosen macht, erlaubt diesen Hang dazu, unbedingt mitreden zu wollen. Der Tagedieb hat schließlich kein Recht darauf, Gelder zur Gewährleistung des Lebensunterhaltes zu erhalten - erhält er sie doch, sieht es die Mittelschicht als Gnadenakt, der einem quasi die Möglichkeit gibt, die öffentlichen Ausgaben mittels Presse zu verwalten. Wie bei einer Brücke, die niemand braucht, die aber von öffentlichen Geldern gebaut wird. Da kann man ja auch Einstellung der Kosten fordern. Nur ist ein solcher vermeintlicher Tagedieb keine Brücke.
Dahinter witterte man die Majoritätsgläubigkeit postdemokratischen Zuschnitts. Nicht jede Mehrheit ist demokratisch. Nicht jede Transparenz bedeutet, ein theoretisches Mitspracherecht zu erhalten. Wenn es um Menschenrechte geht, um von der Verfassung garantierte Ansprüche, wenn es sich um die ethische Konzeption einer Gesellschaft handelt, dann gilt Wer zahlt, schafft an! gar nichts. Die Steuer ist ja auch kein Gnadenakt, die verpflichtende Abgabe keine kulante Leistung, sie ist der Preis dafür, seinen mittelständischen oder wohlständischen Lebensstil erhalten zu dürfen; sie sichert Einfamilienhäuser und Luxusschlitten.
Bund der Steuerzahler-Mentalität
Fairerweise muss man sagen, dass es nicht alle Vertreter der Mittelschicht persönlich sind, die sich ein moralisches Recht auf Mitsprache ausmalen. Es sind jene Medien, die in ihrem Namen sprechen und schreiben. Die berichten, um das mittelständische Glück zu mehren, ihr Pech zu unterstreichen, ihre ungerechte Behandlung zur Empörung zu wandeln. Es sind Medien, die lauthals aufschreien vor Glück, wenn es wieder heißt, es habe im letzten halben Jahr mehr Sanktionen für Hartz IV-Empfänger gegeben und jene Medien, die noch lauter plärren, wenn es mal wieder heißt, die Kosten für Hartz IV explodierten. Es sind jene vor Gesundheit strotzenden Medien, die böse werden, wenn die Kosten für das Gesundheitswesen aufgedeckt werden. Zum Ausdruck kommt hier das mittelständische Lebensgefühl der postdemokratischen Gesellschaft, das zwischen Konsumismus und Genußsucht mit seiner eigenen Ausbeutung hadert und meint, alle lebten auf Kosten dieser anständigen und fleißigen Schicht.
Diese Gesinnung macht populistische Phrasen wie Die Griechen nehmen unser Geld! oder Die Arbeitslosen leben von meinem Geld! Sie ist keine Gesinnung, die das Allgemeinwohl im Blick hat, wenn sie über das Sozialwesen spricht, sondern die Ungerechtigkeit meint, dieses Sozialwesen finanzieren zu müssen. Die Medien fungieren als Kontrollinstanz, legen Rechenschaft über die Ausgaben ab, halten kaum Distanz, weil sie sich selbst aus der Mittelschicht für die Mittelschicht rekrutieren.
Mit Parolen und einschlägigen Überschriften organisieren die Medienorgane die Entrüstung dergestalt, dass dem Leser oder Zuseher plötzlich in den Sinn kommt, er hätte hier Mitspracherecht, er könnte das Leben anderer Menschen, da er es pekuniär ausstattet, auch materiell mitgestalten. Die Bund der Steuerzahler-Mentalität, wonach jede erhobene Steuer zugleich zu viel ist, ist mediale Normalität. Um Mitsprache und Mitgestaltung buhlende Artikel zu zentralen Fragen, die nicht in erster Linie mit Steueraufkommen zu tun haben, sucht man schon wesentlich zeitaufwändiger. Transparenz- und Anti-Korruptionsgesetze haben keine nachhaltigen populistischen Lobbyisten; bei der EU-Verfassung oder -Vertrag war Mitsprache unerwünscht; Bologna-Prozess und bildungsrelevante Themen polarisieren so gut wie nicht - das sind ja auch alles keine Fragen direkter Steueraufkommen, dafür bezahlt die Gesellschaft versteckt und meist erst viel später. Nur bei dem, was unmittelbar Geld benötigt, vorzugsweise wenn Menschen im Spiel sind, die Hilfe benötigen, suggerieren die Medien Mitbestimmung.
Diktatur der Bessergestellten und Glücklichen
Wer zahlt, schafft an! klingt erstmal ganz vernünftig. Wie die schwäbische Haushaltung zunächst auch vernünftig klingt. Geld ausgeben, das man hat - so macht es jeder mehr oder weniger. Macht er es weniger, bezahlt er später mit Aufschlägen und mittels unangenehmer Zwangsmaßnahmen. Das auf den Staat projiziert scheint die Erleuchtung, pars pro toto muss doch stimmen, denn was für einen Menschen gut und richtig ist, muss für alle Menschen, ordinär Gesellschaft genannt, auch richtig sein. Das Gegenteil stimmte: Spare in der Not! ist eine individuelle Tugend, aber eine kollektive Sünde, ein betriebswirtschaftlich begründbares Motiv, aber eine volkswirtschaftliche Sackgasse.
Ähnlich verhält es sich mit dem Wer zahlt, schafft an! Im Privaten zählt das. Wer Geld in ein Geschäft trägt, einerlei, um dort Pizza zu essen oder ein Fahrrad zu kaufen, der gibt an, wie sich das Objekt der Begierde zu gestalten hat. Wer zahlt, der bestimmt den Pizzabelag und die Farbe des Fahrrades. Im öffentlichen Raum gibt es einen Anspruch darauf, dass der Steuerzahler erfahren soll, was mit den Geldern, die er abgibt, wirklich geschieht. Dass man davon ableitet, beispielsweise den Weiterbau einer Einrichtung, die man für unvernünftig hält, zu unterbinden, so wie in Stuttgart geschehen, ist auch noch nachvollziehbar und gar nicht zu beanstanden. Dieses Mantra aber radikal auszulegen und auf Sektoren zu lenken, bei denen es um Menschen geht, hat mit Transparenz nichts mehr zu tun. Dass man erfahren darf, wohin die Gelder fließen, das ist hier noch ordnungsgemäß - dass man sich aus einem mittelschichtigen Lebensgefühl heraus allerdings anmaßt, die Kosten minimieren zu wollen, Leistungsberechtigte für zu teuer zu erachten, Sparzwänge zu empfehlen, das ist nicht zu dulden, dafür gibt es auch keinen Anspruch. Hier gilt der Würdebegriff und die Menschenrechte - und die können nur teuer verteidigt werden.
Wer zahlt, schafft an!, so wie es heute im öffentlichen Raum verstanden wird, ist nicht demokratisch, es ist eine faschistoide Ausformung von Demokratie, eine Diktatur der Mittelschicht, eine Diktatur derer, die bessergestellt sind und das Glück haben, einen (vielleicht ordentlichen) Arbeitsplatz haben zu dürfen, eine Diktatur die gnadenlos gegen jene ihr Regime durchzusetzen trachtet, die ihr nicht zugehörig sind.