Das mit dem Geld ist so eine Sache. Manche haben zu viel davon, viele haben zu wenig. Wer mit Geld umgehen kann, hat mehr davon, keine Frage. Aber wenn Menschen sich verschulden, liegt das nicht zwangsläufig daran, dass sie nicht mit Geld umgehen können. Es kann auch daran liegen, dass sie einfach zu wenig Geld haben.
Jetzt las ich in der Berliner Zeitung, dass jeder 8. erwachsene Berliner überschuldet ist – wobei Schulden machen in Berlin ja im Trend liegt, da muss man sich nur die Regierung ansehen. Sowohl die Berliner Regierung als die Regierung von Berlin. So sindse, die Berliner, immer den dicken Mann makieren, obwohl man jar nüscht inne Tasche hat. Aber einen Doofen findet man ja immer, der am Ende blechen muss. Ich erinnere an dieser Stelle einmal mehr an den Berliner Bankenskandal – den kann man den Hungerleidern der Stadt nun wirklich nicht anhängen, das haben die Besserverdiener verbockt. Wobei die ihre Schäfchen ja im Trockenen haben, blechen müssen hier natürlich auch wieder die, die ohnehin wenig haben. Etwa die Berliner Schulkinder, die ihre Schulbücher seit dem Schuljahr 2003/2004 von den Eltern kaufen lassen müssen. Sofern die Eltern nicht auf Hartz IV sind. Aber nicht nur Schulbücher sind knapp, Kopierpapier, Klopapier, es gibt nichts, wofür es nicht irgendwann einen Zettel mit einem entsprechenden Aufruf an die Eltern gibt, doch bitte dafür zu spenden. Sachspenden sind auch willkommen.
Aber zurück zum Geld und zum richtigen Umgang damit. Jener Kommentar zum großen Verschuldungsbericht war überschrieben mit „Verschuldung ist ein Erziehungsproblem“. Der Kommentator behauptete, dass viele Menschen in der Hauptstadt einfach nicht mit ihrer Armut umgehen könnten: „Trotz Mini-Einkommen glauben sie, nicht auf Designer-Klamotten verzichten zu können oder auf das schicke Smartphone.“ Zu recht werde gefordert, dass in der Schule der Umgang mit Geld gelehrt werden müsse, aber zuständig seien doch zuvörderst die Eltern. Sie müssten ihren Kindern vorleben, dass im Leben nicht nur Konsum Spaß mache. Sie müssten den Kindern klar machen, dass jeder Euro, der ausgegeben wird, auch verdient werden müsse.
So weit, so klar. Die Eltern sollen ihre Euros gefälligst selbst verdienen, die sie dann für die Smartphones und Designerjeans ihrer verzogenen Plagen rauswerfen. Wer wüsste das besser als ich – ich muss meine schwer verdienten Euros mit zwei anspruchsvollen Teenies teilen, die natürlich artgemäß auch neue Smartphones und teure Klamotten wünschen. Da kann ich ihnen hundertmal ein bescheidenes Leben vorleben voll mit wunderbaren Werten außerhalb des üblichen Konsumkatalogs. Aber heutzutage kommt es halt nicht nur auf die gute Gesinnung an – das war in meiner Kindheit durchaus noch anders. In den 70er und frühen 80er Jahren gehörte es zumindest in meinem Umfeld zum guten Ton, nicht alles haben zu wollen, Fernsehen blöd zu finden und mit Stolz selbst gestrickte Pullis zu tragen. Wer sein Kind heute mit selbst gestrickten Klamotten in die Schule schickt, riskiert dessen Gesundheit. Denn so laufen nur Opfer rum.
Konsum ist alles, denn der Laden brummt nur, wenn die Leute den ganzen Scheiß kaufen, der zwar nicht für sie produziert wird, sondern für die Kohle, die man den Leute dafür aus der Tasche zieht. Ich würde ja gern mehr konsumieren, aber ich muss doch schon sonst alles bezahlen, von der Miete über die Kühlschrankfüllung bis zu den Schulbüchern, Extra-Wünsche sind meistens nicht drin. Und wenn, dann möchte erst mal ich ein Smartphone für mich, wobei ich mich auch mit einem günstigen Gebrauchtgerät zufrieden gebe. Nein, Schulden machen lernen meine Kinder nicht. Jedenfalls nicht von mir.
Und trotzdem regt mich diese Haltung auf: Wenn die Leute nur vernünftig mit dem Geld umgehen, dann machen sie auch keine Schulden. Wie soll das denn gehen, wenn man tatsächlich nur die kläglichen Überlebensleistungen nach Hartz IV bekommt?! Oder nur einen Niedriglohnjob hat, von dem man eben auch nicht leben kann?
Ja, ich weiß, es gibt Leute, bei denen geht das. Und ich will das ganz ausdrücklich nicht kritisieren. Als Erwachsener kann man sich so weit herunterleveln, dass man auch damit ganz gut leben kann. Je nach Definition von „gut“. Ich habe nichts gegen Bescheidenheit, wobei ich auch nicht finde, dass man immer bescheiden sein sollte. Damit kommt man nicht weiter.
Ich kaufe auch mal was Second-Hand. Ich bin passionierte Schnäppchen-Jägerin. Theoretisch lebe ich deutlich über Hartz-IV-Niveau – und das ist noch lange kein Zustand, der wirklich angenehm ist, so teuer wie das Leben inzwischen geworden ist. Dauernd muss ich rechnen, planen, sparen – obwohl ich deutlich mehr als Mindestlohn verdiene. Aber ein Hauptstadt-Intellektuellen-Teilzeit-Gehalt durch drei Personen, da bleibt auch nichts übrig. Ich bin ja Leistungsträger, wenn auch nur ein kleiner, muss meine Kohle voll versteuern – ohne Ehegattensplitting, da ist unser System gnadenlos. Und ich bekomme auch sonst keinerlei Vergünstigungen. Da beneide ich manchmal die Leute mit Sozialpass, die für drei Euro ins Konzert dürfen. Wenn ich den vollen Preis für mich und meine Kinder zahle (die auch schon wieder zu groß für die meisten Kindervergünstigungen sind) kann ich mir die Karten schon wieder nicht leisten. Dann lege ich das Geld lieber zurück für die nächste Klassenfahrt. Oder für den nächsten Notfall – irgendwas ist immer, mal geht der Kühlschrank kaputt, das Fahrrad wird geklaut, ein Zahn bricht ab. Kostet alles. Für mich ist das nur ärgerlich – aber für jemanden, der monatlich mit dem ultimativen Existenzminimum abgespeist wird, sind solche Notfälle existenzbedrohende Katastrophen – es hat ja nicht jeder Eltern, die einem mal bei der Zahnarzt-Rechnungs aushelfen können, oder Freunde, die einem ihren alten Kühlschrank überlassen, weil sie ohnehin einen neuen kaufen wollten oder noch ein Rad im Keller haben, das sie gerade nicht brauchen. Oder ein altes Handy mit einer Prepaid-Karte, weil das Telefon gesperrt ist, wenn das Geld für die Telefon-Rechnung nicht mehr gereicht hat. Klar ist es dumm, überhaupt eine hohe Telefonrechnung zu produzieren, wenn man sie nicht bezahlen kann. Klar ist es bescheuert, auf den freundlichen Kreditheini hereinzufallen, der einem ganz easy das Geld für einen neuen Fernseher oder irgendein Möbel leiht, und dann jeden Monat total unfreundlich die Raten einfordert. Aber wenn man in der Situation ist, dass man sich ohnehin nie etwas leisten kann, ist das irgendwann auch egal.
Es ist keineswegs so, dass ich es okay finde, wenn Jugendliche los gehen und sich dann einfach das neue Handy, das sie niemals bekommen würden, entweder auf Pump oder mit Gewalt holen, in dem sie es einem Schwächeren wegnehmen. Aber wenn man an jeder Ecke daran erinnert wird, dass man ohne dieses Ding eigentlich kein richtiger Mensch ist, muss man sich auch nicht darüber wundern, dass es so ausgeht.
Das Problem ist doch nicht, dass Eltern „den Kindern einfach jeden Konsumwunsch erfüllen“, sondern dass genau das den meisten Eltern gar nicht möglich ist. Das Problem ist doch viel mehr, dass sich viele Eltern nicht mal die wirklich notwendigen Dinge leisten können, die ihre Kinder brauchen. Das fängt beim vernünftigen Essen an und hört bei den ganzen, in der Summe ziemlich teuren Kleinigkeiten, die es für die Schule braucht, längst nicht auf. Markenklamotten sind tatsächlich ein Luxusproblem. Es reicht schon, dass Kinder überhaupt ständig neue Klamotten brauchen. Das ist schon Problem genug, und im Second-Hand-Laden gibt es nicht immer alles in den gerade benötigten Größen. Und wenn es dann nur noch im normalen Laden die vergleichsweise teure Jeans gibt, die dem Kind aber gerade gut passt – dann hat eine Hartz-IV-Mama ein verdammtes Problem, das durchaus schon Richtung Verschuldung geht, ohne dass hier unverhältnismäßige Konsumwünsche im Spiel wären. Leben ohne Konsum ist definitiv kein Spaß. Wenn man nicht genug Geld zum Leben hat, dann bleibt einem ja nichts anderes übrig, als sich zu verschulden. Die Behauptung, dass die Leute halt selbst schuld sind, wenn sie Schulden haben, ist ziemlich frech. Für Massenarbeitslosigkeit, Niedriglohn und Sparmaßnahmen können die Leute schließlich auch nichts.