Wer hat was von wem? (Blogparade #Dubistich)

Das Thema der aktuellen Blogparade "Was wir unseren Kindern vererben" von Mama on the Rocks ist eines meiner Lieblingsthemen, über das ich stundenlang philosophieren könnte. Deshalb mache ich natürlich gern mit und verschriftliche mal einige Gedanken. Achtung: es wird lang!
Zuerst kurz zur Optik:
Auf dem Ultraschallbild der Feindiagnostik sah der Große ziemlich zerknautscht aus und hatte einige Ähnlichkeiten mit meiner mittlerweile verstorbenen Schwiegermutter (volle Lippen, Knollennase). Zum Glück veränderte er sich rechtzeitig bis zur Geburt noch und sah dann ganz anders aus. Im Vergleich zwischen uns Eltern wurde meist eher eine Ähnlichkeit mit mir festgestellt, aber es war eigentlich eher eine Tendenz als eine fundierte Aussage. Jetzt mit 4 Jahren ist er ein unheimlich niedlicher Junge mit ebenmäßigen, weichen Gesichtszügen und ähnelt keinem von uns beiden so wirklich deutlich. Die Mund-Kinn-Partie sieht meinem Mann und dessen Vater ähnlicher, aber das Gesamtpaket ist völlig originell. Bis ca. vor 2 Jahren waren seine Haare mehr oder weniger rotblond, was väterlicherseits aus der Familie meines Mannes stammt. Davon ist im Moment nichts mehr zu erkennen. Er bekommt aber schnell Sommersprossen und ich bin gespannt, ob er später mal einen rötlichen Bart haben wird. Aktuell ist er dunkelblond und ein wunderhübscher Junge.
Die Kleine hatte auf dem Feindiagnostik-Bild die schmalen Lippen meines Mannes und kam dann mit vollen Lippen auf die Welt;). Als ich sie das erste Mal sah, hatte sie pechschwarze Haare und ich dachte wortwörtlich: "Oh Gott, meine Schwiegermutter!", da diese die Einzige in unseren beiden Familien war, die richtig schwarze Haare hatte. Die Haare der Kleinen wurden aber im Laufe der ersten Wochen immer heller und sind jetzt aktuell dunkelblond. Sie hat wunderschönes, halblanges, glattes, volles und glänzendes Haar und ist ebenfalls optisch ein total niedliches Kind. Bei ihr war es von Geburt bis heute viel deutlicher, dass sie mir sehr ähnlich sieht. Wie sie als Baby manchmal auf ihrer Krabbeldecke lag, sah genauso aus wie die Fotos von mir als Baby. Meine Eltern fühlten sich teilweise 38 Jahre zurückversetzt, so stark war die Ähnlichkeit. Sie ist im Gesicht etwas rundlicher als der Große, aber das kann auch noch am "Babyspeck" liegen.
Keines meiner Kinder hat übrigens meine braunen Augen geerbt. Der Große hat grün-graublaue hellere Augen und die Kleine dunklere blau-graue Augen wie mein Vater. Dafür haben sie beide meine hohe "Denkerstirn" (hihi) geerbt. Beide haben wunderschöne Haut und tolle Proportionen. Also, wie man merkt, finde ich meine Kinder wirklich sehr hübsch und komme ins Schwärmen.
Nun zum Wesen:
Leider gibt es in beiden Herkunftsfamilien keine zuverlässige Quelle, was die Charaktereinschätzung von uns Eltern als Babys und Kleinkinder betrifft. Meine Schwiegermutter lebt nicht mehr, meinen betagten Schwiegervater kann man für solche Informationen nicht heranziehen, und meine eigenen Eltern leiden unter ausgeprägter selektiver Erinnerung, d.h. können (oder wollen) sich nicht an die schwierigen/ anstrengenden Aspekte des Kinderhabens erinnern, ebensowenig an bestimmte Charaktereigenschaften, die schon als Kleinkinder bei mir und meinem Bruder erkennbar gewesen sein müssen. Schade, dass man sich also nicht mit den einzigen Personen, die das vielleicht wirklich beurteilen könnten, über die Wesensunterschiede und -Ähnlichkeiten meiner Kinder zu uns Eltern austauschen kann.
Dass ich meine beiden Kinder als von Grund auf unterschiedlich empfinde, und zwar von Geburt an, wird den treuen Lesern bekannt sein. Ich habe schon mehrfach über dieses Thema geschrieben, z.B. in den Artikeln Verschiedenheit, Defizite, Ode an die Kleine und Schönes und Anstrengendes am Mehrfach-Elterndasein. Ich kann einige Aspekte nochmal aus einer anderen Perspektive beleuchten.
Vielleicht zuerst mal etwas zur Kleinen: sie ist ein fast durchweg fröhliches, witziges, positives, anschmiegsames, einfühlsames, kuscheliges Wesen, dabei sehr bewusst und willensstark, aber trotzdem kooperativ, hat eine unglaublich schnelle Auffassungsgabe und Umsetzungsfähigkeit, ist kombinationsstark, deutlich in ihren Äußerungen von Behagen und Missfallen, sehr empathisch, sehr zugewandt und sich nach außen öffnend. Dabei trotzdem vorsichtig/ zurückhaltend bei Fremden oder in unbekannten Situationen, aber schnell Sicherheit gewinnend durch rasantes Abchecken der Umstände. In den Aspekten, die die Fröhlichkeit und Extrovertiertheit betreffen, ähnelt sie keinem von uns. Wir sind beide zurückhaltend, ruhig und eindeutig introvertiert. Ich kann fröhlich und gesellig sein in angenehmen Situationen und mit Menschen, mit denen ich mich wohlfühle, würde mich aber nicht grundsätzlich als fröhlichen Menschen bezeichnen. Dafür grüble und hadere ich zuviel. Mein Mann braucht sehr lange, bis er sich Menschen öffnet. Er sagt übrigens selbst, dass er so gut wie nichts von sich in der Kleinen wiedererkennt. Sie sei für ihn wie ein "Wesen von einem anderen Stern", und das meint er ganz und gar positiv.
Die schnelle Auffassungs- und Kombinationsgabe dagegen hat sie definitiv von mir, ebenso ihr Bestreben nach Effizienz und Umsetzung. Sie ist eine Macherin. Auch die Empathie und die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können (sie tröstet von sich aus, was der Große bis heute nicht macht), stammt, glaube ich, von mir. Ich denke und fühle immer für andere mit, was oft eine große Gabe, manchmal auch eine Belastung ist. Für die Kleine scheint es bis jetzt nicht belastend zu sein und wir werden schauen, wie sich das weiter entwickelt.
Ganz wunderbar ist ihre Musikalität und Bücherliebe. Die Musikalität an sich hat sie von uns beiden, ihr tolles Rhythmusgefühl und ihre Textsicherheit wohl von mir;), ebenso wie die Bücherliebe. Ich habe viele Jahre als Buchhändlerin gearbeitet und liebe Bücher über alles. Ansonsten ist noch nicht wirklich erkennbar, womit sie sich in Zukunft vielleicht intensiver beschäftigen wird. Sie interessiert sich eindeutig mehr für Tiere als ihr Bruder, hat ein super Namensgedächtnis wie ich und ist ein kleines waghalsiges, umtriebiges, forsches, neugieriges und freundliches Menschlein.
Was ich ganz toll an ihr finde und was außer ihr keiner in unserer Familie, auch in unseren Herkunftsfamilien nicht, so gut beherrscht, ist, dass sie ganz deutlich äußert, nicht nur dass ihr etwas nicht passt (darin ist vor allem der Große überragend), sondern auch anzeigt, was ihr nicht passt. Sie machte sich schon als Baby so gut verständlich, dass es im Vergleich zum Großen meist ein Leichtes war, ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Wie wertvoll dies im Zusammenleben gerade mit so mit willensstarken Kindern ist, merken wir täglich im Vergleich zum Großen. Und wenn dann das Ärgernis aus der Welt geschafft ist, kooperiert sie sofort und problemlos und ist glücklich. Sie ist also überhaupt nicht nachtragend und kann schnell wieder zum Alltagsgeschäft übergehen. Das kann beispielsweise mein Mann nur sehr schwer, ich schon eher, wenn kleinere Ärgernisse schnell aus der Welt geschafft werden. Aber sie übertrifft uns alle darin und ich hoffe sehr, dass der Große sukzessive von ihr lernt, dass man Bedürfnisse deutlich äußern muss, um etwas zu erreichen, und dann nach Erreichen auch ganz normal weitermachen kann.
Zusammenfassend würde ich über die Kleine sagen, dass sie zwar in ihrer Fröhlichkeit, Unbeschwertheit und Extrovertiertheit keinem von uns beiden ähnelt, aber in "alltagspraktischen" Dingen vieles von mir hat. Sie ist motorisch, sprachlich und emotional wunderbar entwickelt und erreicht vieles "mit links". Zumindest wirkt es so. (Das hat mich bei mir oft geärgert, dass es für Außenstehende immer so wirkte, als würde ich alles "mit links" schaffen. Das war nicht der Fall.) Aber sie und ich sind Kämpferinnen und wir strengen uns an, unsere Ziele zu erreichen. Mal sehen, ob uns diese Ähnlichkeiten später durch die Pubertät retten werden;)
Der Große ist bekanntlich ein schwierigerer Fall und eine ganz merkwürdige Mischung aus verschiedenen zusammengewürfelten Wesenseigenheiten, die es weder ihm selbst noch uns als Eltern einfach macht, mit ihm klarzukommen. Er war ein Schreibaby, was wohl weder mein Mann noch ich waren. Sowas hätten die Eltern nicht vergessen, sowas kann man nicht vergessen! In meiner Familie gibt es allerdings 2 bekannte Fälle von männlichen Babys, die sehr viel geschrien und schlecht geschlafen haben. Dass wir den Großen auch jetzt als Kleinkind trotz seiner immensen positiven Entwicklung weiterhin als sehr anstrengend empfinden, hängt mit verschiedenen Komponenten zusammen: seiner wahrscheinlichen Hochsensibilität und dass er gleichzeitig ein autonomes Kind ist, seiner grundlegenden Unzufriedenheit, seinem Jammermodus, seiner Empfindlichkeit und Kritikunfähigkeit, seiner mangelnden Empathie, seinem enormen Ehrgeiz und Perfektionismus, ohne jedoch den Biss zu haben, Dinge erreichen zu wollen, und der in ihm schlummernden extremen Wut, die zum Glück nicht mehr ganz so heftig explodiert wie in den letzten 2,5 Jahren, aber dennoch immer schwelt.
Zur Wut hat Mama on the Rocks in ihrem Beitrag etwas über sich und ihre Tochter geschrieben, was exakt auf mich und den Großen zutrifft. Ich habe auch viel Wut in mir, und wenn etwas nicht so funktioniert, wie ich es mir vorstelle, kann ich schnell explodieren. Auch ich habe das früher als Kind nicht gezeigt, weil ich extrem brav und angepasst war. Ich weiß aber noch, dass ich oft innerlich sehr wütend war. Als Teenager und später bin ich manchmal so überraschend ausgetickt, dass mich keiner als das liebe, vernünftige Mädchen wiedererkannt hat. Die Wut und mangelnde Frustbewältigung hat der Große eindeutig von mir, auch wenn ich es früher mehr unterdrückt habe und jetzt anders kompensiere. Deshalb kann ich ihn darin auch am besten verstehen und versuche oft, ihm weitestgehend entgegenzukommen und vor allem, ihn ernstzunehmen, was ich als Kind leider vermisst habe.
Vermutlich ebenfalls von mir hat er die Hochsensibilität geerbt, jedoch in einer etwas anderen Ausprägung. Gemeinsam ist uns die schnelle Überreizung und Überforderung, die Schwierigkeiten beim Abschalten und Runterkommen, das daraus resultierende enorme Ruhebedürfnis, unser Perfektionismus sowie die damit verbundene Unzufriedenheit (vor allem mit anderen Menschen), das lange Nachhallen und langsame Verarbeiten. Wir unterscheiden uns komplett in Empathie und Einfühlungsvermögen, ja, seine mangelnde Empathie ist sogar ehrlich gesagt das Hauptkriterium, was mich manchmal an seiner Hochsensibilität zweifeln lässt. Seine Kritikunfähigkeit und das Unvermögen, sich in andere hineinzusetzen, kann zwar ein Merkmal von Hochsensibilität sein, aber auch einfach ein "normaler" Charakterzug oder noch nicht ausgereift. Sein Gerechtigkeitssinn und meiner sind enorm ausgeprägt. Er möchte unbedingt gleichwürdig behandelt und ernst genommen werden, und dieser Wunsch zieht sich ebenfalls durch meine gesamte Kindheit. Ich habe genau das gefühlt, was er fühlt, und deshalb ist ein gleichwürdiges Umgehen mit ihm eine meiner obersten Maximen.
In seiner Vorsichtigkeit und Zurückhaltung erkennen wir uns beide wieder, nur dass ich das mittlerweile viel besser "vertusche" und vor allem, trotzdem schnell in meinen Reaktionen und Handlungen bin, also nicht in Passivität verharre, wie es der Große oft macht. Diese Langsamkeit in Verarbeitung und Reaktion bringt mich wiederum regelmäßig auf die Palme, obwohl ich inzwischen auch darin viel gelassener geworden bin, weil der Große unter Druck noch schlechter "funktioniert" und ich sein Wesen eben nicht ändern kann. Außerdem bringt seine Vorsichtigkeit viel Positives mit sich, zum Beispiel dass er so gut wie keine der typischen Kinderdummheiten macht, kaum Unfälle hat etc. Dass er sich im äußeren Leben (Kita, Freunde) sehr stark anpasst und nichts von seinen problematischen Seiten zeigt, kennen wir ebenfalls beide von uns. Er schwankt immer sehr stark zwischen himmelhoch jauchzend (selten) und zu Tode betrübt. Die Grundessenz meines eigenen Charakters ist genauso, auch wenn ich dies mittlerweile nicht mehr so extrem empfinde wie früher. Mein Mann dagegen ist relativ ausgeglichen und kann deshalb mit den Stimmungsschwankungen des Großen schlecht umgehen.
Er ist leider überhaupt kein Kind, das sich selbst beschäftigt, sondern braucht immer ein Gegenüber, was weder mein Mann noch ich von sich kennen. Wir können beide stundenlang glücklich allein vor uns hinwurschteln und waren als Kinder auch schon Meister der Selbstbeschäftigung. Der Große kann allerdings, wenn ihn eine Sache fesselt und sich jemand mit ihm beschäftigt, tief in diese hinein versinken. Beispielsweise puzzelt er sehr gern (stammt von mir) und wir fördern solche Beschäftigungen auch immer wieder, um seine Konzentrationsfähigkeit zu stärken, weil er bis ca. 2 Jahre unglaublich hibbelig und unruhig war. Er ist ein toller Maler, was eindeutig aus der Familie meines Mannes stammt. Mein Mann selbst hat davon zwar nichts abbekommen, aber seine Eltern waren beide privat sehr mit Kunst in allen Ausprägungen beschäftigt. Wobei, und das hat er wiederum von mir: er malt am liebsten nach Vorgaben, also aus und nach, weniger selbstständig-kreativ. Ich war zum Beispiel in Kunst eine Niete, aber im Technischen Zeichnen top.
Insgesamt muss ich sagen, dass der Große mir und meinem Mann deutlich ähnlicher ist als die Kleine und wir uns in vielen, auch in den problematischen, Wesenszügen wiedererkennen. Ich sehe auch Aspekte meines Vaters und meiner Schwiegermutter in ihm. Man sollte meinen, dass es uns dadurch leichter fallen müsste, mit ihm klarzukommen. Das ist aber nicht der Fall. Bei mir ist es so, dass ich ihn in den Aspekten, in denen er mir ähnlich ist, sehr gut verstehe und diese deshalb als etwas weniger problematisch empfinde. Ich finde die Unterschiede schwieriger. Mein Mann dagegen findet genau die Ähnlichkeiten zwischen sich und dem Großen schwierig zu händeln. Der Charakter unseres Sohnes ist einfach durch große Extreme geprägt, die ihn zu einem anstrengenden Kind machen. Er ist und bleibt eben kein einfaches, leicht zufriedenzustellendes Kind. Das ist nur für uns Eltern schwer zu akzeptieren, weil man ja immer gern sein Kind glücklich machen will. Für mich ist vor allem der Spagat zwischen seiner Hochsensibilität und seiner gleichzeitig in vielem zu mir komplett gegensätzlichen Denkstruktur eine Herausforderung.
Mein Großer ist dasjenige meiner beiden Kinder, durch das ich am meisten über mich gelernt habe und jeden Tag dazulerne. Ich denke, das geht meinem Mann genauso. Er fordert einen großen Teil meiner emotionalen Kraft, was mich bis zur Geburt der Kleinen enorm ausgebrannt hat. Die Kleine wiederum schenkt mir durch ihr liebevolles, positives Wesen diese Kraft und Bestätigung, die ich brauche, um den Großen weiterhin liebe- und verständnisvoll zu begleiten. Also eigentlich ein wunderbarer, fruchtbarer Kreislauf. Und generell finde ich es einfach wahnsinnig schön, beruhigend und entlastend, dass aus identischen Voraussetzungen zwei so unterschiedliche Kinder entstanden sind und man für jedes Kind einen eigenen Umgangsmodus finden muss.
Das war lang, aber ich könnte tatsächlich noch mehr schreiben;). Danke für's Lesen und die Blogparade von Mama on the Rocks!

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