Unter dem Titel „Bündnis der Weggucker“ hat der Spiegel der letzten Woche (37/2010, S. 21ff) konservative Integrationsverhinderer und linke Multikulti-Vertreter gleichermaßen für die (angeblich) gescheiterte Integration haftbar gemacht:
Ausgerechnet in der Ausländerpolitik hat eine große Koalition aus links und rechts jahrzehntelang die Wirklichkeit ignoriert.
Das linke Lager habe mit Multikulti den Traum von der heilen Welt gepflegt und die Entstehung von Parallelgesellschaften ignoriert (da zitiert man Beckstein), im rechten Lager hat sich etwa Helmut Kohl nicht um das Thema gekümmert, außer, dass er demonstrativ die Vorstellung von sich gewiesen hat, Deutschland sei ein Einwanderungsland – mit der Konsequenz, dass in den vielen Jahren seiner Kanzlerschaft keine Integrationspolitik betrieben wurde.
Man hätte sich an die schon 1979 vom Sozialdemokraten Heinz Kühn vorgelegten Vorschläge (Kühn-Memorandum) halten sollen, etwa zur schulischen Integration.
Aber die Linke habe sich gegen die Integration gewandt und für ein Nebeneinander der Kulturen plädiert.Als einzigen Beleg bringt der Spiegel ein Zitat des SPD-Abgeordneten Conradi, der „ethnische Wohnbezirke“ als einen möglicherweise besseren Weg gesehen habe.
Einspruch!
- Wer hat 1982 bis 1998 Deutschland regiert? Conradi? Wer in der SPD oder bei den Grünen hatte zum einen diese Vorstellung von Integration (als ein Nebeneinanderher und nicht als ein Miteinander), zum andern Macht und Einfluss genug, um etwas davon in Politik umzusetzen?
Die SPD und die Grünen haben immer angeknüpft an die pragmatischen Vorstellungen von Heinz Kühn und sie weiterentwickelt. Immer ging es um schulische Integration, Sprachlernen, rechtliche Integration, Anerkennung als Teil unserer Gesellschaft – und immer ging es den Konservativen darum, genau das zu verhindern, aus dem verständlichen Grund, dass Integrationspolitik Einwanderung bedeuten würde, man aber Rückkehrpolitik betreiben wollte.
Ein Fall von Geschichtsklitterung also.
Mit etwas common sense lässt sie sich leicht erkennen: Wer hatte all die Zeit die Macht, Integrationspolitik zu entwickeln – oder zu verhindern? Und wenn man schon, wie die Spiegel-Autoren, richtigerweise den Kühn-Bericht als zukunftsträchtiges Muster erkennt, dann wird man zustehen müssen, dass Kühn zum linken Lager gehört und das linke Lager im großen und ganzen seinem Konzept folgen wollte.
Erst nach 2000 haben die Konservativen umgesteuert, haben sie Deutschland als das erkannt, was es ist, als Einwanderungsland (zumindest auf Zeit), und sie haben konstruktive Integrationspolitik als die richtige Antwort erkannt und angefangen, sie auch zu machen.
Heiner Geißler
spricht dazu Klartext. In der SZ vom Wochenende (der Text ist nicht online) geißelt er die CDU-Konservativen. „Gedankenfaul und frustriert“ hätten sie einen unheilvollen Einfluss auf die Unionspolitik gehabt – zum Beispiel in Sachen Integrationspolitik:
Die verspätete Integration der ausländischen Mitbürger hatte ihre Ursache gerade darin, dass die Konservativen in der CDU mit ihren ausländerkritischen Thesen und Parolen jede vernünftige Integrationspolitik verhinderten. Wenn sie heute den sozialdarwinistischen Thesen von Thilo Sarrazin zustimmen, verdecken sie die eigenen Sünden der Vergangenheit. Helmut Kohl wollte auf dem Dresdner Parteitag 1992 über den Satz abstimmen lassen: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, was Volker Rühe, damals Generalsekretär, nur mit Mühe verhindern konnte.
Zugabe: Hier manipuliert der Spiegel – bewusst:
Selbst wenn es nur 10 bis 15 Prozent sein sollten, die sich in einer Parallelwelt verstecken, sind das bei 15 Millionen Einwohnern mit ausländischen Wurzeln im die 2 Millionen Totalverweigerer. (S. 25)
Es ist den Autoren sicherlich bewusst, dass Migranten, die die Prozedur der Einbürgerung hinter sich haben, kaum Totalverweigerer sein können. De Maizière hat seine Schätzung von 10 bis 15 Prozent Integrationsverweigerern kaum belegt, aber eindeutig auf Migranten ohne deutschen Pass bezogen, und das sind zurzeit ca. 6,5 Millionen.
Im übrigen befinden sich unter denen, die hier als Verweigerer bezeichnet werden, hunderttausende alter Leute, die in der ersten und zweiten Welle nach Deutschland gekommen sind und um deren Integration sich Deutschland mit Absicht nicht bemüht hat – weil sie ja doch bitte zurück in ihre Heimat gehen sollten. Integrationsmaßnahmen hätten die Rückkehrbereitschaft abgeschwächt.
Das war einmal ausdrücklich deutsche „Ausländerpolitik“. Man möchte es heute nicht glauben. Aber ich bin 60 Jahre alt, seit den frühen 70er Jahren für Integration aktiv und habe mich jahrzehntelang an dieser perversen Anti-Integrationspolitik der Konservativen (in den 70ern auch noch der Sozialdemokraten) gerieben.