Wenn ich König der SPD wär...

Liebe SPD, Wenn es stimmt, dass es in Deutschland etwa 40 Millionen Bundestrainer gibt, dann gibt es mit Sicherheit ein oder zwei Millionen SPD-Vorsitzende. Ihr seid auch ein spannender Gegenstand: euer Wähleranteil sank seit 2005 um gut ein Drittel, und seither scheint nichts wirken, um euch aus dem Jammertal zurückzubringen. Martin Schulz, der mit seinem Neuheitseffekt kurz für Aufwind sorgte, ist nun da, wo sich vor ihm bereits Steinmeier und Steinbrück fanden. Da bietet es sich doch an, meine ungebetenen Ratschläge ebenfalls an die Partei zu bringen¹. Ich habe das in eine 8-Punkte-Liste gefasst. Leute lieben Listen².
1) Die Extremisten sind ein dankbarer Gegner
Ihr seid eine Mitte-Links-Partei. Ihr könnt kübelweise politischen Unrat über die AfD kippen, ohne dass es der Kernwählerschaft zu sehr schadet. Und ihr braucht einen Feind. Martin Schulz ist super geeignet, um sich bei den anderen europäischen Ländern, vor allem aber Frankreich, einzuhaken und eine gemeinsame Front gegen den Rechtspopulismus aufzubauen. Das sollte DAS Thema der SPD sein. Die Versuche der AfD, ihre reaktionäre Ader als Gerechtigkeit für's Volk zu verkaufen sind ein idealer Anlass, um ständig selbst über soziale Gerechtigkeit zu sprechen - und nicht in dem langweiligen Singsang mit leeren Formeln, sondern konkret in Opposition zur AfD. Was ist Gerechtigkeit wirklich? Was ist fair? Was ist modern? Was ist offen? Was ist gut? Die Antwort muss in allen Fällen wenn nicht schon "SPD" heißen, so doch wenigstens auf roten Plakaten stehen. Schwingt euch zum Verteidiger von Demokratie und Freiheit gegen den Extremismus von rechts. Da kann man auch gerne ein bisschen Folklore aus Weimar drauf packen, oder wenn man es konfrontativer mag aus den Auseinandersetzungen mit der CDU/CSU bis einschließlich Strauß. Und keine Angst, das Profil der AfD damit zu heben oder sonst so was, das hat der LINKEn auch nie geholfen.
2) Euer Problem ist Merkel
Das Hauptproblem der SPD ist Angela Merkel. Irgendein verknöcherter CDU-Reaktionär wäre ein ordentlicher Gegner, der eine schöne Folie abgibt an der man sich reiben kann. Angela Merkel dagegen ist die Meisterin des Teflon. Sie neutralisiert Themen und Aufreger, noch bevor im Willy-Brandt-Haus das Design der Plakate fertig ist. Da Merkel persönlich ziemlich beliebt bei den Leuten ist (außer bei der "Volksverräterin Merkel"-AfD, aber da sollte die SPD lieber die Finger von weg lassen), machen direkte Angriffe wenig Sinn. Glücklicherweise hat die CDU selbst die Anleitung geliefert, was man in so einem Fall machen kann: assoziiere deinen todlangweiligen Gegner mit einem aufregenden Gegner. Für die CDU und FDP war es immer das dankbare Schreckgespenst der LINKEn: stellt euch mal vor, die machen eine Koalition mit denen! MIT DENEN! Das ist ja quasi DDR!
Da konnte die SPD noch so oft beteuern, dass sie nie, nie, niemals mit DENEN eine Koalition eingehen würde. Also, hängt der CDU die AfD um den Hals. Zieht die sächsischen Quislinge vor die Kamera und zitiert jeden noch so obskuren CDU-Gemeinderat, der gerne mit der AfD punktuell zusammenarbeiten würde als sei der nächste Generalsekretär. Keiner wird euch glauben dass Merkel das machen will, also baut den rechten Flügel der CDU (der eh dauernd öffentlich über Merkels viel zu flüchtlingsfreundlichen Kurs grummelt) als den Feind auf, der jeden Moment die arme Kanzlerin entmachten will. Das lässt gleichzeitig Merkel als schwach und angreifbar erscheinen, während Gottkanzler Martin Schulz mit 100% Zustimmung im Rücken (ja, macht damit Werbung) den Rechten die Stirn bietet. Die Story schreibt sich doch von selbst.
3) Ignoriert die BILD
Seit 2005 war die BILD ein konstanter Gegner der SPD. Erinnert sich noch jemand an "Lügilanti"? Oder "Beck muss weg"? Keine noch so enge Anbiederung an die CDU und ihre Positionen wird die Leute bei Axel Springer auf eure Seite ziehen. Die BILD ist ein Medium im Niedergang. Ihre Leser sind alt und reaktionär. Die wählen euch nicht und werden euch nicht wählen. Scheißt auf die BILD. Ihre Feindschaft ist ein Ehrenabzeichen. Erwähnte ich schon, dass eure Feinde auf der Rechten stehen? Assoziiert das Schmierblatt mit dem Gegner aus 1) und 2). Keine Bange, eure Leute machen die Verbindung ohnehin instinktiv. Das läuft.
4) Scheiß auf Zahlen und Programme
Wisst ihr was eure schlimmste Obsession ist? Wunderbar ausgefeilte Programme, mit 150 Seiten, voller detaillierter policy-Vorschläge und Bezahlbarkeitsrechnungen. Und warum? Weil's keinen interessiert. Niemand liest Parteiprogramme, außer beim politischen Gegner. Die suchen irgendeinen obskuren Mist von Seite 134 und führen eine Kampagne damit. Remember Veggie-Day! Eine Zehn-Punkte-Liste tut's auch. True Story: ich habe versucht auf eurer Homepage eine Zusammenfassung in einem Absatz zu finden, wofür die SPD findet. Das gibt es nicht. Dafür 21 verschiedene Seiten, die eure Kernthemen erklären. Einundzwanzig! Die. liest. keine. Sau. Wisst ihr, was im CDU-Wahlprogramm steht? Ich auch nicht. Und auch sonst niemand. Weil's keinen interessiert. Und das gilt für euer Programm auch. Stattdessen braucht ihr Narrative, aber dazu kommen wir gleich.
Vorher gibt es nämlich noch was Wichtigeres: Vergesst Zahlen. Ihr habt diese echt süße Idee, dass die Vorschläge aus eurem Wahlprogramm bezahlbar sein müssen. Das ist völliger Blödsinn. Niemand interessiert, ob etwas aufkommensneutral finanziert wird oder nicht, die tun alle nur so. Habt ihr jemals erlebt, dass in der BILD die Frage thematisiert wird, wie die Steuerkürzungen der FDP eigentlich gegenfinanziert werden? Da steht dann ein Hokuspokus vom sich selbst tragenden Aufschwung, mit ein paar erfundenen Zahlen. Das könnt ihr auch. Wer kriegt was? Die 99%. Wer zahlt? Die Bonzen. Fertig. Eure Vorschläge sind so oder so hinfällig, weil ihr einen Partner braucht. Rechnen kann man immer noch in den Koalitionsverhandlungen. Schaut euch Schäuble an: der verspricht Hilfspakete für Griechenland, Steuerkürzungen für alle, aber besonders für die Mittelschicht, und die Renten bleiben stabil. Und das kostet keinen Cent! Und niemand zieht auch nur eine Augenbraue hoch, denn die CDU ist bekanntlich die Partei wirtschaftspolitischer Seriosität. Egal wie sehr ihr euch bemüht, das Handelsblatt wird euch nie liebhaben. Die Leute nehmen immer an, dass ihr Geld ausgebt. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert. Das klingt zynisch. Aber die anderen machen es auch, ihr merkt das nur nicht, und ihr schießt euch selbst in den Fuß.
5) Nicht jeder versteht unter seriös das Gleiche
Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Leitmedien nur eine Form von Wirtschaftspolitik anerkennen: die ordoliberale Form. Nicht alle von ihnen haben das gleiche erotische Verhältnis zu ökonomischen Schmerzen wie es Wolfgang Schäuble und das Handelsblatt haben (ernsthaft, die Leute sind wesentlich zu glücklich dabei, Phrasen wie "Gürtel enger schnallen", "über Verhältnisse leben", "Anpassungen" und "Wahlgeschenke" durch die Gegend zu werfen, wenn es um den Lebensstandard der kleinen Leute geht), aber die wenigsten sehen in höheren Investitionsausgaben nicht sofort die Hand des Teufels. Kennt euer Publikum. Wenn man die Leute fragt, ob sie einen ausgeglichenen Haushalt wollen, sagen sie alle ja, aber wenn man sie fragt ob sie bereit sind dafür Rentenkürzungen hinzunehmen eher nicht.
Verbindet euer cleveres Narrativ aus 4) unf 5) damit und definiert eine eigene Seriosität. Ihr seid für Fortschritt, ihr seid für ein ordentliches Leben. Wen interessieren die finanzpolitischen Vorlesungen der Elitenschwätzer bei der CDU und FDP? Die Leute werden euch nie abnehmen, dass ihr den Haushalt besser kontrolliert als Schwarz-Gelb, und dafür wählen sie euch auch nicht (schon mal vom Mommy-Daddy-Divide gehört?). Hört auf euch als das zu inszenieren als das ihr gerne gesehen werden wollt und konzentriert euch darauf wie euch die Leute sehen wollen, auf deren Stimmen ihr angewiesen seid.
6) Ihr braucht Narrative
Statt der 21 Kernprogrammpunkte braucht ihr eine Story. Eine, die ihr ständig wiederholt. Per-ma-nent. Zwei oder drei knackige Slogans, die man bei jeder Gelegenheit raushauen kann. Und zwar welche, die auch irgendeine Bedeutung transportieren. "Mehr Soziale Gerechtigkeit" ist kein Slogan. Das wollen wenn man sie fragt alle. Die SPD kommt nur dann an die Regierung, wenn sie es schafft einen Aufbruch zu vermitteln. Für die Verwaltung des Niedergangs war schon immer die CDU zuständig. Ob das der "Machtwechsel" von 1969 und das anschließende Motto der "Lebensqualität" ist oder die "Innovation und Gerechtigkeit" von 1998, ihr müsst eine glorreiche Zukunft prophezeien und euch nicht als Wahrer von Besitzständen gegen die anonyme Macht der Globalisierung inszenieren. Das ist der Job der LINKEn. Schaut auf Macron, schaut auf Obama, schaut (*schauder*) auf Tony Blair. Die haben das alle so gemacht. Und auch hier: Mut zur Lücke. Die konkreten Maßnahmen sind viel weniger wichtig als die Vision. Helmut Schmidt war anderer Meinung, aber der wurde auch abgewählt.
7) Ihr braucht eine Führungsfigur
Eure zweitschlimmste Obsession ist zu glauben, dass die ganze Republik vor dem Wahljahr voller knisternder Spannung an den Fingernägeln kaut um endlich zu erfahren, wer euch in den Wahlkampf führt. Aber ein Dreivierteljahr ist ein Witz. Ihr habt 2009 den Steinmeier hingestellt, weil niemand anderes verfügbar war, und 2013 Steinbrück hervorgezogen, weil es dem wahrlich nicht an Selbstbewusstsein mangelte. Die Kandidaten aber, die jemals Kanzler wurden, kannte man ordentlich vorher. Gerhard Schröder war schon 1994 ein Top-Tier in der SPD, und Lafontaine war schon mal Kanzlerkandidat. Willy Brandt habt ihr dreimal aufgestellt bis es endlich geklappt hat, und Schmidt war wahrlich auch nicht unbekannt.
Man hört es jetzt schon raunen, dass ihr nach der Wahl Manuela Schwesig hochpuschen wollt. Kann man schon machen, aber wenn, dann dankt Martin Schulz artig für seine Dienste, macht ihn zum Oppositionsführer im Bundestag und haltet Schwesig raus, so dass sie von außen kritisieren kann. Und dann pusht sie. Vier Jahre lang. Oder macht das gleiche mit Schulz. Hat beides Vor- und Nachteile. Aber glaubt bitte nicht irgendjemand fände es spannend, wenn ihr die Entscheidung bis 2021 rausschiebt. Ihr braucht eine Figur, die das in 5) beschlossene Narrativ a) glaubwürdig und b) permanent in die Welt hinausposaunen kann. Für Europa und gegen AfD? Nehmt Schulz. Für Fortschritt, Innovation, Zukunft? Schwesig.
8) Konzentrierter Wahlkampf
Ihr habt 2013 Peer Steinbrück aufgestellt. Der wollte einen Wahlkampf à la 2009 machen. Das war eine doofe Idee, aber das war die einzige Art Wahlkampf, die er vernünftig vertreten konnte. Stattdessen habt ihr mit dem Programm von 1987 seinen Wahlkampf organisiert, und weil der Mann keine institutionelle Bindung hatte und keine eigene Machtbasis (ein dickes Warnsignal übrigens) konnte er dem nichts entgegensetzen. Wenn ihr euch für eine Führungsfigur entschlossen habt, um Gottes Willen, dann macht nicht Wahlkampf gegen sie. Das Willy-Brandt-Haus scheint eigentlich dauerhaft im Schadensbegrenzungsmodus. Werft diese institutionelle Vorsicht über Bord. Bringt eure externen Berater von BUTTER (und Jim Messina und wen auch immer ihr von außerhalb einkauft) alle zusammen und setzt sie auf das Narrativ an, und nur auf das. Sonst wird das nichts.
Puh.
Also, liebe SPD, das wären meine ungebetenen Ratschläge. Euch wird aufgefallen sein, dass sie reichlich unkonkret sind. Das ist wahr. Aber ich bin auch kein Politikberater. Das ist eine billige Position, ja. Aber die wenigsten potenziellen Bundestrainer müssen den Job je ernsthaft machen, also hoffe ich, ihr verzeiht mir. Ich hab euch lieb.
Liebe Grüße
Stefan
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¹ Ich weiß, da besteht kein kausaler Zusammenhang. Seht's mir nach, der Artikel brauchte einen Einstieg ;)
² Citation needed.
 

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