wenn die stille zur qual wird.

was die einen als akustische vergewaltigung des gehörorgans bezeichnen, ist für die anderen wortwörtlich musik in den ohren. egal ob vom hardcore-liebhaber, dessen klingelton scooters hit “hyper hyper” ist, oder dem zwangsneurotischen nachbarn, der am sonntagmorgen in der früh seinen rasen mäht (und ja, ich hatte solche nachbarn!) – wir werden tagtäglich mit unendlich vielen geräuschen konfrontiert.

wer kennt das nicht: montagmorgen.
das wochenende war mal wieder viel zu schnell vorbei, der kopf ist noch nicht ganz bei der sache und in den ohren dominiert noch immer das pfeifen vom letzten rave. 
man verlässt noch ein wenig schlaftrunken das haus, schlendert zur gewohnten haltestelle und wartet. insgeheim wird gehofft, dass man einen sitzplatz ergattert und in aller ruhe die zeitung überfliegen oder noch ein kurzes schläfchen halten kann. doch vielfach sieht die realität (leider) ganz anders aus: der zug hält mit einem ohrenbetäubenden quietschen an, die türen öffnen sich. man tritt ein, schaut sich um und setzt sich, wenn möglich, hin.

und dann beginnt die akustische penetration: das laute geschäpper aus den kopfhörern des sitznachbarn, der sich noch nicht von seiner letzten techno-party erholt hat und dessen körper sich erst etappenweise von sämtlichem drogenkonsum rehabilitieren konnte, rasselt direkt durch den gehörgang und hämmert schonungslos am eigenen trommelfell, gegenüber die hysterische mutter mit ihrem weinenden kind, hinter ihr die erkältete frau die ständig hustet und ihre bazillen beinahe hörbar in der luft zerstreut, neben ihr der alte mann, der sich ununterbrochen im sekundentakt räuspert und als wäre all das noch nicht genug lärm, steht dort noch eine junge frau am fenster und telefoniert so laut es ihre stimmbänder nur irgendwie möglich machen. all die geräusche prasseln wie heisser sommernachtsregen auf uns ein und wir nehmen jedes einzelne, bewusst oder unbewusst, wahr.

man sitzt da und möchte doch eigentlich nichts anderes, als selber musik zu hören oder einfach mal 50 shades of grey zu lesen, ohne von den erzählten wochenend-erlebnissen eines mitreisenden abgelenkt zu werden. mal abgesehen von den von menschenorganen verursachten geräuschen, sind wir auch den unzähligen nicht-menschlichen ausgesetzt:

die unverständlichen zugdurchsagen,
dieses sympathische kleine “ping” nach einer erfolgreich versendeten e-mail,
die eigentlich beruhigende und konsumfördernde musik in den kaufhäusern,
(vor allem diese lästige weihnachtsmusik! hier, ein kleiner ohrwurm: last christmas, i gave you my heart but the very next day, you gave it away. thank me later.)
dieses “piep-piep” an der kasse, das einem beim anstehen schonmal durch mark und bein gehen kann,
das klingeln des telefons und des faxgerätes im büro oder
das nervige hämmern der neuen kollegin mit den billigen plastikfingernägeln auf der tastatur.

auch solche geräusche können durchaus als lärmverschmutzung oder lärmbelästigung wahrgenommen werden und es ist tatsächlich so, dass es die absolute stille nicht mehr gibt. doch was, wenn genau dieses schweigen zur qual wird und wir die ruhe nicht mehr ertragen? was würde passieren, wenn die welt für einen tag mal komplett still sein würde, wenn wir kein einziges geräusch mehr hören könnten, ausser unserer kopfstimme und unseren gedanken?

nicht, weil wir physisch bedingt nicht mehr in der lage wären zu hören, sondern weil das, was eigentlich ein geräusch verursacht oder eines von sich gibt, das einfach nicht mehr tut. der wecker am morgen würde nur noch vibrieren und niemand könnte dieses typische surren hören, sondern nur die vibration spüren. das feuerzeug würde beim betätigen nicht mehr diesen gewohnten “zipp”-laut von sich geben sondern absolut still und unbemerkt eine kleine flamme werfen. wir müssten uns somit neu orientieren und uns auf unsere restlichen sinne verlassen, von denen ich sowieso glaube, dass sie teilweise ziemlich vernachlässigt werden.

ich bin der meinung, dass das unserer gesellschaft eigentlich ganz gut tun würde. jeder wäre mit sich selber beschäftigt und mit den dingen, die umgehend um ihn herum passieren. der fokus jedes einzelnen würde neue horizonte erreichen, man würde vieles ganz anders sehen und das eine oder andere mehr zu schätzen wissen.

andererseits würde ich persönlich wahrscheinlich zu den ersten gehören, die durchdrehen würden. ich mag absolute stille nicht. das erste, was ich am morgen betätige ist der kleine knopf, der die playlist mit meinen lieblingsliedern abspielt.
auch wenn ich nicht fern sehe, ist der TV vielfach eingeschaltet und dient als hintergrundgeräusch.
und die frage aller fragen: was bitte schön, würde ich ohne das morgendliche rumgebrülle meiner nachbarn tun? wären meine gedanken laut genug, um mich zu wecken? ich bezweifle es.

namasté.


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