Wegner ist hier

Wie soll das gehen, erklärt Wegner seinem Arzt, der den Blick verzweifelt zum Himmel hebt, nur um festzustellen, dass da überhaupt kein Himmel ist, sondern nur die Deckenbeleuchtung, eine Röhre, die wie ein Lichtriss im Beton klafft, Sichtbeton, so hatte ihm der Architekt erklärt, sei der letzte Schrei, also entschied sich der Arzt für den letzten Schrei, der ihn nun aus allen Richtungen anbrüllt, wie trostlos letzte Schreie sein können, wie, wiederholt Wegner, können Sie mir das sagen, der Arzt horcht auf, leider hat er seinem Patienten die Aufmerksamkeit verweigert, die sich in den Wänden ringsum verloren hat, was, stammelt der Arzt daher, und dann, das wird schon, aber Wegner will sich so nicht abspeisen lassen, nicht auf diese Art, er verlangt Aufklärung bezüglich seines angeschlagenen psychischen Zustands, der sich merklich von Tag zu Tag verschlechtert, nein, Herr Doktor, ruft Wegner auf, von Verschlechterung kann man hier nicht sprechen, es ist eher eine Verschiebung meiner Wahrnehmung, denn immerhin findet nicht jeder ihrer sicherlich zahlreichen Patienten urplötzlich eines Morgens einen Fluss in seinem Schlafzimmer, ja, sagt der Arzt, da könnten Sie schon, da entdeckt der Herr Doktor den Wandkalender, um mit Entsetzen festzustellen, dass der kleine rote Rahmen, der den jeweiligen Tag anzuzeigen hat, nicht verschoben wurde, das darf nicht sein, das darf nicht vorkommen, denn immerhin befinden sich auch Zeitkranke in seiner Behandlung, die würde so etwas verwirren, allzu sehr verwirren, darum schleicht sich der Arzt unter Nicken und Lächeln Richtung Kalender, um, was machen Sie denn da, überbricht ihn Wegner, der nun auch den Kalender erblickt, der auf seine Uhr sieht, der die Datumsanzeige seiner Uhr mit dem Kalender abgleicht, um dann zu flüstern, ich habe es schon wieder getan, getan, fragt der Arzt scheinheilig, ich bin in die Zeit gereist, knurrt Wegner, der halb fasziniert, aber auch halb erschrocken von seinen Fähigkeiten nun direkt im Behandlungszimmer steht, ich habe das schon einige Male getan, sagt Wegner, ach, erwidert der Arzt, der sich rasch zum Wandkalender dreht und das Kästchen einen Tag weiter schiebt, Sie hatten doch heute einen Termin bei mir, oder, fragt der Arzt, er zeigt zum Wandkalender hin, Wegner weicht zurück, er sieht auf seine Uhr, auf den Kalender, Schweiß bricht aus all seinen Körperquellen und flutet in Sekunden den Körper, Hochwasser, denkt er, das also auch noch, er verabschiedet sich mit dem Zeichen der Tischicki-Indianer (die Tischicki-Indianer haben sich vor einigen Wochen in seinem Kleiderschrank häuslich nieder gelassen, und da sie ihn nicht weiter stören oder gar belästigen, belässt er sie dort) für Liebe, denn Wegner will einzig noch nach Hause und ins Bett, auch wenn sein Schlafzimmer an diesem Morgen von einem Fluss geteilt wurde, dessen Auftauchen er ja eigentlich mit Doktor Mühsam bereden wollte, aber wenn er erst mal auf Zeitreisen geht, da kennt Wegner sich aus, ist es besser, wenn er in seinem Bett liegt, denn man weiß nie recht, was geschieht, schon schreitet Wegner auf die Straße, verwirrt, weil er sich plötzlich in Saigon befindet, ich hätte nicht, flüstert Wegner, und dann wieder, ich hätte mir keinen Kriegsfilm ansehen sollen, das ging noch nie gut, Wegner schließt die Augen, Ausschlussverfahren, nennt Wegner das, er wird die Produkte seiner Fantasie schlicht und einfach aussperren, nein, hier kommt keiner mehr rein, wird er sagen, wenn es an seiner Stirnseite klopft, so steht Wegner da, einige Sekunden, es könnten aber auch Jahre und Jahrhunderte gewesen sein, bis er es wagt, die Augenlider ein wenig zu heben, Tageslicht strömt ein, er wird mutiger, er sieht sich um, er liegt in seinem Bett, er kann es nicht fassen, ja, Heureka, er war nie fort, er liegt in seinem Bett, er hat dies alles nur geträumt, er klappt den Oberkörper hoch, er sieht ins Schlafzimmer hinein, kein Fluss, nichts, er fällt erschöpft ins Kissen, da hört er von draußen eine Stimme, die Stimme kommt ihm bekannt vor, das könnte, nein, das ist doch, die Stimme ruft, hier ist Jacky, Wegner kann es nicht fassen, glauben will er es noch viel weniger, er wird sich doch nicht schon wieder in diesem Hotel mit diesem Irren befinden, er sollte sich keine Filme mehr ansehen, denn das hat er nun davon, jetzt wird er fliehen müssen, wieder einmal, denn er befindet sich in der deutschen Synchronisation eines Horrorfilms von Stanley Kubrik, der ihn nun lebensecht umgibt, er zittert am ganzen Leib, ja, Wegner atmet tief durch, denn gleich wird er sich retten müssen, raus aus diesem Hotel, aber bei einem wie ihm weiß man nie, wo er landet, vielleicht in seinem Zuhause, vielleicht aber auch wieder bei diesem widerlich transpirierenden Glatzkopf im Dschungel, der zu ihm sagen wird, you’re an errand boy, sent by grocery clerks, to collect a bill, nur um ihn daran zu erinnern, das er sich keine Filme im Original mehr ansehen sollte, egal wie es auch kommen mag, Wegner wird sich nicht entkommen, so sehr er es auch versucht, immer bleibt er im Lager seines Kopfes gefangen, also nimmt Wegner den Kampf an und auf, er wird es diesem Jack Torrance schon zeigen, dieses Mal wird er gewinnen, also flüstert Wegner zurück, Wegner ist hier, und gleitet wie eine Schlange in den Fluss vor seinem Bett, er ist bereit, diesen Fight wird er gewinnen, Zeit, denkt Wegner, einen Fight Club zu gründen, Zeit, der Welt mein wahres Gesicht zu zeigen.



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