Weggeblasen von der zweiten Luft

Weggeblasen von der zweiten LuftGeht ganz gut los in der ersten Minute. Anstoß im ehemaligen Kurt-Wabbel-Stadion und sofort Torgefahr: Ein Hannoveraner Spieler schlägt nach 15 Sekunden am Ball vorbei, der rollt Richtung eigenes Tor, Torwart Klonz schaut hilflos hinterher. Fast das 1:0, aber nur fast, denn letztlich kullert das Leder doch ein paar Zentimeter am Pfosten vorbei, und zwar auf der falschen Seite.
Die zweite Mannschaft des Bundesligavereins aus der Heimatstadt des jüngsten Altbundespräsidenten wirkt trotzdem konsterniert. Halle, nach der aktuellen Tabellenlage gezwungen, jedes Spiel zu gewinnen, soll der Traum von Spielen gegen Offenbach und Heidenheim im kommenden Jahr nicht vorzeitig enden, marschiert nach vorn, die Gäste stehen tief und warten auf eine Konterchance. Ab Minute zehn aber tut sich auch der HFC schwer im Spiel nach vorn. Andis Shala, letzte Woche noch Matchwinner gegen Wolfsburg, ist wieder in seine alte rolle als Satiker geschlüpft. Er steht vorn und lässt die Bälle prallen, ohne Torgefahr auszustrahlen. Michael Preuß, erneut für den wegen Inaktivität in der Kritik stehenden Dennis Wegner in der Startelf, dribbelt sich dafür ein ums andere mal auf Außen fest, als glaube er immer noch, dass er in der Regionalliga wie letztes Jahr in der Oberliga nicht nur einen, sondern auch drei Gegenspieler ausspielen kann.
Das Tor fällt trotzdem. Ausnahmsweise gelingt nach einem Abwehrfehler der Hannoveraner mal ein Flankenlauf von Telmo Texeira. Weil der aber nicht sofort hineinflankt, sondern weiterläuft, steht Preuß am langen Pfosten schon im Abseits, als er den Pass hinter die Linie drückt.
Wenigstens ist nun mal ein bisschen Aufregung unter den 4000 Zuschauern, deren Zorn den schon vorher in mehreren Situationen unglücklich agierenden Assistenten von Schiedsrichter Karl Valentin trifft. Der Mann in der Hannoveraner Hälfte winkt fortwährend abseits, er gibt Einwürfe verkehrt herum und zeigt Fouls an, wo selbst der Schiri mit dem klassischen Spaßmachernamen keine sieht.
Über das Spiel entscheidet das nicht. Vielmehr ist es Halles Trainer Sven Köhler, der die Weichen in einer schon unheimlich nach 0:0 riechenden Begegnung auf Neustart stellt. Erstmals in dieser Saison noch vor der 70. Minute hat der HFC-Trainer ein Einsehen mit Preuß und Shala. Gerade hat Letzterer ein Angriff mit einem wuchtigen Schuss an die Latte beendet, statt den vier Meter links frei stehenden Preuß zu bedienen, da holt sie Köhler beide runter. Es kommen Denis Wegner und der in er Winterpause aus Regensburg zurückgekehrte Angelo Hauck. und sofort geht was. Für Hannover. Nach einem Angriff über links mit einer schönen Hackenablage in die Mitte trifft Christian Merkens mit einer schönen Neuauflage von Telmo Texeiras Tor gegen Wolfsburg eine Woche zuvor.
Hängende Köpfe bei Halle. Aber auf einmal ist der Wille da, der vorher nur bei Maik Wagefeld zu spüren war. Wegner dribbelt sich durch, wo Preuß hängenblieb. Hauk geht drauf, wo Shala nur zuschaute. Der HFC hat die zweite Luft, die den schon nur noch auf Zeit spielenden Hannoveranern fehlt. Jetzt sieht das Offensivspiel der Gastgeber nach Fußball aus. Marco Kartmann misslingt der Ausgleich noch, als er nach einem Wagefeld-Freistoß neben das Tor köpft. Doch fünf Minuten später hat Wegner, den Eismann aus der eigenen Hälfte genial bedient hat, die Nerven, auf Linksaußen nicht durchzulaufen, sondern auf den parallel gehenden Wagefeld zu warten. Der nimmt den Ball, flankt nach innen - dort hüpft der kleine Hauk hoch und bugsiert das Leder mit einer unhaltbaren Bogenlampe über Klonz ins Netz.
Und nun geht hier auch noch mehr. Halle lässt Hannover jetzt kaum noch aus der eigenen Hälfte kommen, immer wieder stören Hartmann, Kanitz, Hauk, Wegner und Wagefeld erfolgreich. Als Valentin auf Rechtsaußen einen Freistoß gibt, bringt Wagefeld den Ball aufs kurze Ecke, Hartmann steigt hoch und köpft zum 2:1 in die Maschen (Bild oben, ganz oben).
Spiel gedreht, Punkte gesichert. Weil Hannover - in der Formtabelle der letzten sechs Spiele mit fünf Siegen und einer Niederlage eigentlich sogar vor Halle platziert - auch aus sechs, sieben Freistößen in der Nähe des halleschen Strafraumes nicht mehr macht als harmlose Rückgaben, reißen die Rotweißen nach 92. Minuten die Arme hoch. Stehende Ovationen in der Fankurve. "So spielt ein Aufsteiger", kommentieren die langedienten Zuschauer, die sich noch an Zeiten erinnern, in denen Spiele, die gewonnen werden mussten, mit schöner Regelmäßigkeit verloren gingen. Auch Trainer Köhler sieht zufrieden aus: Shala, der trotz bescheidener Leistungen in der Hinrunde nach seinen beiden Wolfsburg-Toren Ansprüche auf einen Platz in der Startelf angemeldet hatte, dürfte nach dieser ersten und dieser zweiten Halbzeit erstmal einen Stammplatz auf der Bank sicher haben. Und auch Michael Preuß wird sich beim nächsten Spiel in Meppen vermutlich lautlos hinter Dennis Wegner anstellen.

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