Hamburg – Warum fangen Investmentbanker plötzlich an, Zinssätze zu manipulieren? Warum glaubt der Jahrhundertbetrüger Bernard Madoff auch im Gefängnis noch, er sei “ein guter Mensch”? Und warum juckt es so viele von uns in den Fingern, wegen ein paar Euro Ersparnis das Finanzamt anzulügen?
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Ariely wendet sich gegen die klassische ökonomische Sicht auf Verbrechen, die der Nobelpreisträger Gary Becker entwickelte. Für Becker sind selbst Kapitalverbrecher rationale Menschen. Sie vergleichen die mögliche Beute mit der Höhe der Strafe und der Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. Kurz: Wer durch eine Strafe ruiniert würde oder die Polizei auf seinen Fersen wähnt, der bleibt lieber sauber. Ganz falsch ist das nicht: Immerhin häufen sich die Selbstanzeigen von deutschen Steuerhinterziehern erst, seit deutschen Finanzämtern in schöner Regelmäßigkeit Steuer-CDs aus Schweizer Banken zugespielt werden.
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Wie werden dann aus kleinen Börsenhändlern Milliardenbetrüger und aus sonst honorigen Unternehmern Steuerhinterzieher? “Der Grund ist soziale Ansteckung”, sagt Ariely, und verweist auf das in der Psychologie bereits bekannte Phänomen des einen “faulen Apfels”, der eine ganze Apfelkiste ruiniert.
Ariely zeigt diesen Effekt in einem weiteren Experiment: Diesmal saß unter den Studenten ein Schauspieler, der nach einer Minute aufstand und lautstark verkündete, er habe alle Aufgaben gelöst. Vor den Augen der anderen Probanden stolzierte der Betrüger aus dem Labor – mit der maximalen Beute. Die anderen Studenten, die betrügen konnten, taten das nun viel fleißiger: Sie gaben an, fast doppelt so viele Aufgaben gelöst zu haben wie der Rest. Nach dem Motto: “Warum soll ICH der einzige ehrliche Dumme sein?” Darauf beruft sich schließlich auch Finanzbetrüger Madoff, wenn er sein eigenes Verhalten mit “Alle waren gierig” rechtfertigt.
Denn auch kleine Betrügereien können große Konsequenzen haben: Steuern hinterziehen nicht nur einige Superreiche, sondern auch zehntausende Gut- und Normalverdiener. Und bei den Manipulationen des Libor-Zinssatzes hatten schon Verschiebungen von Zehntelprozentpunkten Folgen in Milliardenhöhe.
Arielys Rezept, um (nahezu) ehrliche Menschen wieder auf den rechten Pfad zurückzuführen, ist erstaunlich einfach: Man muss sie bei ihrer Ehre packen. Um das zu beweisen, arbeitete Ariely mit einer Versicherungsfirma zusammen. Auf den Formularen ihrer Autoversicherung mussten die Versicherten die im Jahr gefahrenen Kilometer angeben, je mehr Kilometer, desto teurer die Versicherungspolice.
Am Ende des Formulars mussten die Versicherten unterschreiben, dass sie bei der Kilometerangabe nicht untertrieben hatten. Kein Schwindler, so vermutete Ariely, würde sich davon abschrecken lassen und das schon ausgefüllte Formular zerreißen. Also rückten die Forscher die Bitte um ehrliche Angaben an den Anfang der Formulare. Prompt lag die durchschnittliche Kilometerzahl 15 Prozent oder 2400 Meilen höher als bei der
Ariely glaubt, dass Finanzämter daraus lernen können: Wenn eine kleine Änderung auf einem Formular Menschen dazu bringt, ihrer Versicherung Geld zu schenken, könnte es mit Steuererklärungen genauso klappen. “Menschen hassen ihr Versicherungsunternehmen mindestens genauso wie das Finanzamt. Wenn nicht mehr.” Wenn er recht hat, könnte ein einfacher Trick das Steueraufkommen in Deutschland deutlich steigern.
Quelle und gesamter Text: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/dan-ariely-wie-man-menschen-das-luegen-austreibt-a-860787.html