„Was ist Liebe?“ fragte der sechsjährige Kevin seinen Vater.
„Ach, mein Sohn, seitdem deine Mama und ich uns getrennt haben, kann ich Dir auf deine Frage keine Antwort mehr geben. Ich dachte, DAS sei Liebe, aber da habe ich mich wohl getäuscht.“
Doch Kevin wollte unbedingt wissen, was Liebe ist und fragte auch noch seine Mutter. Diese gab ihm nur ein schnippiges „Frag’ deinen Vater“ zur Antwort und so blieb Kevin traurig zurück.
Als er dann in den Kindergarten kam, fragte er seine liebe Kindergärtnerin, ob sie wüßte, was Liebe ist. Sie verstand seine Frage erst nicht, da sie aus Russland kam und sagte „Kevin, kannst Du Frage nochmal wiederholen bitte“
Er wiederholte die Frage nach Liebe und sie antwortete etwas verunsichert: „Weißt Du Kevin, Liebe ist wie Geschenk, aber wenn Du wartest, bis du groß bist, dann wirst Du automatisch hoffentlich irgendwann erfahren.“
Kevin fragte nur noch „Kann man Liebe auch kaufen?“. Die Kindergärtnerin bekam Tränen in die Augen und meinte „Ja, manche denken auch, dass sie sei käuflich“.
Egal wann Kevin auch immer die Frage stellte, er bekam keine Antwort, die ihn zufriedenstellte. Verdammt, irgendjemand muss doch wissen, was Liebe ist…
Dann kam er in die Schule. Er war wirklich ein braver Schüler. Nachmittags machte er seine Hausaufgaben immer zusammen mit Hanna, seiner Tagesmutter, denn Papa musste ja arbeiten. Als er Hanna eines Tages fragte, ob sie wüsste, was Liebe sei, sagte sie „Ja, ich weiß, was Liebe ist.“
Kevin wurde hellhörig .“Liebe kannst Du nur bekommen, wenn Du auch Liebe gibst.“ Kevin fragte sichtlich irritiert: „D. h. um Liebe zu erfahren, brauche ich immer jemand Anderen?“ Hanna antwortete „Ja, so ist das leider“. „Wie fühlt sich das denn an?“ wollte Kevin weiter wissen. Hanna antwortete: „Wenn Du Liebe bekommst, ist das toll, Dein Herz wird dann ganz rot und warm.“. „Und was passiert, wenn ich dann alleine bin?“ fragte Kevin weiter. „Na, dann wird das Herz leider wieder farblos und kalt“.
Und so beschloss Kevin, sich auf die Suche zu machen. Er wollte Liebe finden. Damit auch sein Herz so schön rot und warm sein konnte.
Als er in die Pubertät kam, wurde sein Gesicht mit Pickel übersät. Er hatte mit Akne zu kämpfen und immer wenn er in den Spiegel schaute, so dachte er sich ‚so wird dich nie jemand lieben, auch Papa sagte schon, dass die Pickel schrecklich aussehen’ und so blieb er auch lange Zeit alleine. Alleine – ohne Liebe.
Nach seiner Lehre als Schreiner arbeitete er dann als Geselle. Er zog von zu Hause aus und konnte so eigene Erfahrungen sammeln. Wie es ist, eine eigene Wohnung zu haben. Auf eigenen Beinen stehen. Er besuchte auch Seminare zur Persönlichkeits-entwicklung und entfaltete sich immer mehr.
So lernte er mit 36 Jahren auch dann Maike kennen. Maike war eine bildhübsche junge Frau, die auf ihre Art schon sehr reif wirkte, obwohl sie erst Anfang 30 war. Von Anfang an war da eine besondere Chemie zwischen den beiden. Kevin durfte für sie einen extravaganten braunen Holz-Tisch schreineren und so trafen sie sich natürlich öfter. Erst beruflich, dann privat. Die Treffen wurden immer schöner, das Herz hüpfte, wenn er sie sah und Kevin merkte irgendwann, dass er sich in Maike verliebt hatte.
Als sie dann eines Abends auf der Veranda saßen, fragte er Maike „Du Maike, darf ich dich mal was fragen?“ „Aber klar doch“ entgegnete Maike und küsste ihn sanft auf den Mund. „Bisher konnte mir niemand die Frage so richtig beantworten, aber ich glaube, bei Dir ist die Frage in guten Händen. Weißt Du, was Liebe ist?“
Maike guckte ihn ganz verliebt an und sagte „Kevin, warte mal kurz, ich werde dir etwas holen gehen“ und so stand sie auf, verschwand für kurze Zeit in ihr Schlafzimmer und kam dann mit einer braunen Holzkiste wieder. Es war eine Art Schatztruhe. Sie musste erstmal den Staub abwischen und gab sie dann Kevin, der die Kiste auf seinen Schoß stellte. „Diese Kiste hat mir mein Opa geschenkt, als ich 6 Jahre alt war. Er sagte mir, dass sich darin ein Schatz befinden würde. Und zwar den Schatz der Liebe.“
Kevin wurde schon ganz nervös. Denn er ahnte, dass er nun die Antwort bekommen würde, nach der er schon Jahre lang suchte. Er durfte die Kiste nun öffnen. Sie knirschte etwas an den Scharnieren, weil sie so alt war. Es kam zuerst nur silbernes Papier zum Vorschein. Er kramte etwas, bis er auf etwas stieß. Es fühlte sich an wie eine ovale Platte. Als er sie rausnahm, sah er sehr schnell, was es war.
Ein ovaler Spiegel in Stein gefasst.
Und als er rein schaute, meinte Maike dann: „Mein Opa sagte mir damals:
„Kind, Du hast die Liebe in dir. Dein Herz strahlt in den schönsten Farben und Du darfst Dich selbst lieben – genauso wie Du bist, denn Du bist etwas Besonderes.
Und Du wirst sehen, wenn Du Dich selbst liebst, dann lieben dich auch die Anderen. Jeder, der sich selbst liebt, strahlt. Du wirst zu einem Menschenmagnet, weil Du auch Deinen Mitmenschen mit Liebe begegnest, denn die Liebe ist in Dir - denk immer daran, mein Kind“
Kerstin Werner
Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt.