Was ein kritischer Journalist fragen könnte

Müssen kritische Journalisten nicht ungeduldig mit den Füßen scharren, wenn man sie mit unausgegorenen Geschichten abspeist? Ist es nicht ein Affront gegen den Journalismus, wenn ein Geheimdienstchef vor die Presse tritt und verkündet, man hätte den Terrorpapst ja festgenommen, wenn er sich nur nicht gewehrt hätte? Und das, obwohl gleichzeitig betont wird, dass dieser gar nicht bewaffnet war, als man ihn in seinem Versteck aufstöberte? Wird die ganze Fadenscheinigkeit der Story nicht unerträglich, wenn man den Berichten folgt, die jahrelang gestreut wurden - und das unter anderem vom besagten Geheimdienst selbst?

Es sollen 79 - in Worten: neunundsiebzig! - Soldaten eines Spezialkommandos gewesen sein, die Usama Bin Ladin hochgehen ließen. Dieser habe sich, ohne bewaffnet zu sein nochmals angemerkt, nicht anstandslos gefangen nehmen lassen und habe sich, dreist wie eh und je, dagegen gewehrt. Daraufhin wurde ein Kopfschuss nötig. Die ersten beiden Fragen eines kritischen Journalisten müssten lauten: Warum in den Kopf? Warum nicht, wie beispielsweise in der polizeilichen Praxis üblich, ein Schuss in den Oberschenkel oder in die Wade, um den Delinquenten ruhig zu stellen? Danach könnte man als Journalist, der gerade gut in Fahrt ist, nachlegen und fragen: Wieso schaffen es 79 Soldaten einer Spezialeinheit eigentlich durch bloße "Handarbeit" nicht, einen einzigen Mann in Gefangenschaft zu nehmen? Werden denn Soldaten aus Spezialeinheiten nicht in allerlei Kampftechniken geschult?

Man könnte die Fragenstellung auch noch etwas verfeinern und zum Beispiel vor eine Frage einige Vermutungen setzen, die dann ein neues Licht auf die am Ende gesetzte Frage würfen: Bin Ladin war höchstwahrscheinlich ein verbrauchter Mann, denn er wurde zehn Jahre lang verfolgt und musste sich stets versteckt halten. Zudem mussten sich die ersten Zipperlein des Alters bemerkbar machen bei diesem Mittfünfziger, der kein geordnetes Leben fristen konnte. Frage also: Warum bändigen 79 Soldaten diesen gebrechlichen Mann nicht, der fast schon eher ein Greis war, denn ein Mann im besten Alter? Und kramte ein kritischer Journalist in den Berichten der letzten Dekade, so würde er immer wieder auf Artikel stoßen, in denen von einer Krankheit Bin Ladins erzählt wurde. Selbst das CIA glaubte schon zu Anfangszeiten der Jagd, dass Bin Ladin ein Dialysegerät mit sich führe, weil er unter chronischem Nierenversagen leide. Außerdem habe er womöglich noch andere Gebrechen aufzuweisen, las man quer durch den internationalen Blätterwald. Man sah Videoaufzeichnungen, in denen uns ein Mensch als Usama Bin Ladin präsentiert wurde, der humpelnd am Stock lief und nicht gerade den Eindruck bester Gesundheit machte. Müsste die logische Konsequenz daraus nicht als Frage daherkommen? Nämlich: Kann man einen schwer kranken Mann nicht mit einigen Fausthieben außer Gefecht setzen? Sind Dialysepatienten denn so kraftvoll, dass es eines Kopfschusses bedarf, um sie zu zähmen?

Und wenn genug kritische Fragen gestellt wurden, dann könnte ein Journalist, der etwas auf sich hielte und dem die Wahrheit wichtiger ist als die political correctness - und sein Job -, ein Fazit ziehen. Vielleicht so: Die Ergreifung Usama Bin Ladins war nie als Ergreifung gedacht - sie war eine gezielte Tötungsaktion. Usama Bin Ladin war ein Verbrecher, aber der Umstand, dass man ihn schwächlich und unbewaffnet auffand, hätte dazu führen müssen, ihn einem internationalen Gericht zu übergeben. Die militärische und politische Administration der Vereinigten Staaten hat jene Menschenwürde mit Füßen getreten, von der Usama Bin Ladin nichts hielt und weswegen man ihn gejagt hatte - sie hat sich mit dem Täter gemein gemacht und dessen Spielregeln aufgegriffen; sie hat verbrecherische Rachegelüste zur politischen Maxime erkoren, um einen Verbrecher auszuschalten. Für einen Terroristen sind solche Mittel normal - für eine Demokratie, die die Vereinigten Staaten sein wollen, ist es ein Akt, der eigentlich in eine Staatskrise münden müsste.

Das könnte ein kritischer Journalist kurz vor seiner Entlassung noch schreiben - ob es aber gedruckt würde? Stattdessen schreiben es Weblogs und erledigen das, was der Journalismus immer mehr verpasst, als Hure der (Welt-)Politik der er ist, mit laienhafter Wahrheitsliebe...


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