Überall begegnen wir ihnen, den schönen Menschen unserer Zeit: in Zeitschriften, in der Werbung, in Film und Fernsehen. Wir sehen Frauen mit makelloser Haut und einer Figur ohne ein Gramm zu viel auf den Hüften (es sei denn, das Gramm ist bis zur Perfektion durchtrainiert). Und wir sehen Männer mit definierten Muskeln und gepflegten Dreitagebärten (wenn es sich nicht gerade um ein Model für Rasierklingen handelt). Wir sehen Wirklichkeit gewordene Schönheitsideale aus Fleisch und Blut. Aber was sind eigentlich Schönheitsideale? Warum haben wir sie und woher kommen sie?
Das Konzept der „Schönheit“ ist keine Erfindung der Moderne, Schönheitsideale hat es schon immer gegeben – sowohl für Frauen als auch für Männer. Die Ideale haben sich nur über die Zeit verändert. Dass Schlankheit mit Schönheit gleichgesetzt wird, ist ein Phänomen, das es in dieser Form erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt. Davor galt es als attraktiv, ein paar Pfunde mehr auf den Hüften zu haben, weil eine wohlgenährte Figur einen Hinweis auf (finanziellen) Wohlstand darstellte. Die Frauen mit den Rundungen, die Peter Paul Rubens im 17. Jahrhundert malte und die damals als Schönheiten galten, hätten es heute eher schwer. Denn in Zeiten, in denen wir jederzeit Zugriff auf Nahrung haben, in denen wir echtes Hungergefühl kaum mehr kennen, in denen ein Nahrungsüberangebot herrscht, gilt eine schlanke Figur als erstrebenswerter als wohlgenährte Körperfülle. Das erklärt auch, warum auch heute etwa in afrikanischen Ländern mitunter ein ganz anderes Verständnis von Schönheit vorherrscht als in der westlichen Welt.
Seit der Antike gibt es Schönheitsideale, und immer schon haben sie zwischen Extremen geschwankt: Für Männer das Ideal von Adonis auf der einen und Herkules auf der anderen Seite – dem athletischen Jüngling und dem starken, reifen Mann. Für Frauen ist es das Ideal des Vollweibs einerseits und des schmalen, jugendlichen Mädchens andererseits. Ganz nach dem Motto „Wer schön sein will, muss leiden“ wurde deshalb im 15. Jahrhundert der weibliche Haaransatz ausgerupft, um eine jugendlich hohe Stirn vorzutäuschen, während die Männer ein Korsett trugen, um den Eindruck einer schmalen Taille zu erwecken.
Schönheitsideale sind also keineswegs so neu, wie es manchmal den Anschein hat. Die gleichen Ideale zu teilen schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl, über das sich Kulturen, Gesellschaften und andere soziale Verbünde definieren – nicht nur in Bezug auf das Verständnis von Schönheit. Das hat aber auch zur Folge, dass es von Nachteil ist nicht der Norm zu entsprechen. Im Extremfall können gängige Schönheitsideale zu Diskriminierungen führen – ein Phänomen, das von Wissenschaftlern Lookism genannt wird. Es gründet sich auf der „Annahme, dass das Aussehen ein Indikator für den Wert einer Person ist.“ Nicht selten wird für eine offene Jobposition demjenigen Bewerber der Vorzug gegeben, der attraktiver erscheint. Ein attraktiveres Äußeres wird häufig eher mit Selbstsicherheit, Disziplin und Erfolg gleichgesetzt als ein weniger angenehm empfundenes Erscheinungsbild.
Auch wenn einige wenige physische Merkmale über alle Epochen und Kulturen hinweg als schön wahrgenommen zu werden scheinen (wie etwa eine möglichst makellose Haut), ist die Antwort auf die Frage, warum wir eine Person als attraktiv beurteilen, trotz allem sehr subjektiv: Das Urteil „Nicht mein Typ“ hat durchaus seine Berechtigung. Manchmal tun es einem gerade die Menschen an, die vielleicht nicht ins persönliche Beuteschema passen oder dem gängigen Schönheitsideal widersprechen. Vielleicht reizt uns in solchen Fällen die Selbstsicherheit von jemandem, der sich in seiner Haut wirklich wohlfühlt – egal wie diese Haut beschaffen ist.
Die Frage ist nun: Was nützt uns all dieses Wissen über Schönheitsideale, über deren Vor- und Nachteile, wenn wir morgens vor dem Spiegel stehen und darin so gar keine Übereinstimmung mit der allgemeinen Vorstellung von Schönheit finden? Die Antwort liegt eben nicht in der Ebenmäßigkeit der Haut, sondern darin, wie wir uns in dieser Haut fühlen. Ein gewisser Wohlfühlfaktor und eine gesunde Selbstsicherheit sind nur schwer zu erreichen, wenn wir allmorgendlich mit unserem Spiegelbild hadern oder davor resignieren. Ob nun das Ergebnis einer Diät oder eine neue Frisur zufällig mit Modeerscheinungen und Schönheitsidealen übereinstimmt oder nicht: Wer sich fit und in seiner Haut wohl fühlt, wird das auch ausstrahlen.
Am Ende liegt die Schönheit im Auge des Betrachters – auch beim Blick in den Spiegel.