Der Titel dieser neuen Arbeit ist gleichzeitig das Programm und er bestimmt ihre Mission: Die Position halten, den Standort halten, nie den Standort ‚aufgeben‘, nie die Position verlassen, nie die Position ändern. „Never Give Up The Spot“ heisst auch: Vor Ort sein und am Ort durchhalten. Die Frage stellt sich: Warum seine Position verlassen? Warum seine Sichtweise anpassen? Warum seine Überzeugnung aufgeben? Weil es ökonomische, politische, kulturelle Argumente dagegen gibt? Weil es der ‚Zeitgeist‘ will?
Gilt nicht – im Gegenteil – durch das Einhalten der Position eine Behauptung zu wagen, damit zu insistieren und schlussendlich mit dieser Behauptung, mit diesem Standpunkt den Durchbruch zu schaffen? Es geht um die zeitliche Verortung einer Behauptung. Die Aufforderung „Never Give Up The Spot“ habe ich – mit grossen Buchstaben hingemalt – unter einer Autobahnbrücke gesehen. Ihre Einfachheit, ihre zwingende Örtlichkeit und die Tragweite ihrer Behauptung ergeben eine klare Form, es ist eine universelle Form
In meiner Arbeit ist der Ort – das Museum Villa Stuck – die ‚Brücke‘. Das Museum bietet sich an, es als eine Art ‚Unterstand‘ zu sehen, als einen hierarchiefreien Ort, einen zeitlosen Platz, einen universellen Raum. Was ist ohne Hierarchie, was ist zeitlos, was ist universell, wenn nicht eine Ruine? In der Arbeit „Never Give Up The Spot“ ist das Museum Villa Stuck eine Ruine. Die zur Verfügung stehenden Ausstellungssäle werden in eine Ruinenlandschaft verwandelt, denn – das ist meine Form-Behauptung – eine Ruine ist ein hierarchiefreier Ort, ein zeitloser Platz, ein universeller Raum. Dabei ist wichtig, dass alle Ruinen ‚fake‘ Ruinen sind, aus Karton, Papier, Holz, Plastik, Styropor. Die Aesthetik der Ruine im Museum Villa Stuck ist die eines ‚Potemkinschen Dorfes‘. Es ist ein umgedrehtes Potemkinsches Dorf. Die Räume werden demnach nicht besser dargestellt als sie sind, sondern der Zustand der Räume wird ’schlechter‘ dargestellt als er in Wirklichkeit ist. Diese Form der Ruine wird die beiden Stockwerke, das obere und das untere Stockwerk – über die Wendeltreppe – zu einem Raum verbinden.
In dieser zerstörten Ruinenlandschaft gibt es zwei Unterstände (je einen im unteren Stockwerk und einen im oberen Stockwerk). In diesen beiden Unterständen gibt es die Möglichkeit der ‚Produktion‘. Hier kann etwas produziert werden, es sind deshalb zwei Unterstände der ‚Kreation‘. In der Arbeit „Never Give Up The Spot“ trifft ‚Zerstörung‘ (die ‚fake‘ Ruine) auf ‚Kreation‘ (die Unterstände als Werkstätten der ‚Kreation‘). Dem gleichzeitigen Kontakt oder Konflikt von ‚Zerstörung‘ und ‚Kreation‘ soll hier Form gegeben werden. Also nicht Zerstörung und dann nachfolgende Konstruktion oder Wiederaufbau, sondern ‚Zerstörung‘ und gleichzeitig ‚Schöpfung‘. In der Ruine wird etwas konstruiert, im Chaos findet ‚Kreation‘ statt. In den beiden Unterständen gibt es die Möglichkeit, auch ‚Unsinn‘ zu produzieren. Nicht ‚Unsinn‘ gegen oder im Gegensatz zu ‚Sinn‘, sondern ‚Unsinn‘, der die Fragen des Sinns stellt und ‚Unsinn‘, der die Problematik ‚Sinn‘ neu beleuchtet.
In den beiden Unterständen gibt es Material – das gleiche Material, das für den Bau der Ruinenlandschaft benötigt wurde, Styropor, Karton, Holz, Plastik, Papier. Weiterhin gibt es Computer mit Internetverbindung, Drucker, Photokopierer und Werkzeuge zur freien Nutzung und zum Bearbeiten der Materialien. In einem der beiden Unterstände gibt es Werkbänke, Tische, Regale, Werkzeuge und Materialien, um Skulpturen zu produzieren. Im anderen Unterstand gibt es Sitzgelegenheiten, Bücher und Zeichenmaterial. In den beiden Unterständen sind – über die ganze Ausstellungszeit – zwei Personen (je eine pro Unterstand) anwesend. Diese Personen begrüssen die Besucher und erklären, dass die Werkzeuge benutzt werden können, dass hier gearbeitet werden kann, dass hier etwas produziert werden kann. Sie begleiten die Ausstellungsbesucher, wenn diese etwas produzieren wollen, etwas, was Teil der Ausstellung wird und bleibt. Die beiden Personen sind das ‚Sicherheitspersonal‘, sie sind die ‚Aufsicht‘, es braucht kein anderes Personal in der Ausstellung. Die beiden Personen sind bereits während des zweiwöchigen Austellungsaufbaus im Museum Villa Stuck anwesend, sie arbeiten am Aufbau der Unterstände mit, sie bereiten die Unterstände vor und werden – vor Ort – in ihre Mission eingeführt.
Das Künstler/innenbuch kann kostenfrei mitgenommen werden.
In der Ausstellung – in einem der Unterstände – liegt ein Künstler/innenbuch auf, es ist ein unentgeltlicher ‚Ausstellungsführer‘ – zum Mitnehmen. Es ist eine Publikation die das Thema ‚Ruine‘ aufzeigt mit Bildmaterial. Es ist ein ‚Künstler/innenbuch‘, ein Notizbuch. Seine Richtlinie ist: Eine ‚Ruine ist eine Ruine‘. Das Buch macht klar – ohne Nostalgie und ohne Fetischismus – was an einer Ruine das Entscheidende ist. Der Titel des Künstler/innenbuchs ist das Zitat von Antonio Gramsci: „Destruction is difficult. Indeed, it is as difficult as Creation.“ Gramsci meinte damit wie schwierig es ist, herrschende Gewohnheiten, ungerechte Hierarchien, ungleichmachende Traditionen, auschliessende Bräuche und unsinnige Verhältnisse umzustossen oder abzuschaffen. Und wie schwierig es ist, an ihrer Stelle etwas Neues, etwas Gerechtes, etwas Positives, etwas Einschliessendes zu schaffen. Deshalb ist Gramsci’s Satz „Destruction is difficult. Indeed it is as difficult as creation.“ – über seine überraschende Affirmation hinaus – so komplex und politisch. Die Publikation soll die Arbeit „Never Give Up The Spot“ begleiten, erweitern und verlängern, sie soll daran erinnern, wie hoch der Preis ist, den man zu bezahlen hat, um etwas zu erschaffen.
Wichtig: Der Eintritt in die Arbeit „Never Give Up The Spot“ muss frei sein. Der Ausstellungsbesuch ist gratis, weil ich will, dass die Besucher etwas produzieren und sogar mehrmals kommen, um etwas zu produzieren.
Thomas Hirschhorn, Aubervilliers, Oktober, 2017