Nachdem wir über Faktoren geredet haben, die innerhalb von Clintons Kontrolle lagen und in die klassische Kategorie "Wahlkampffehler" fallen, müssen wir nun über die Faktoren sprechen, die außerhalb ihrer Kontrolle lagen und - anders als die Third-Term-Problematik - exklusiv Probleme ihrer Kandidatur waren. Der geneigte Leser dürfte nicht überrascht sein, dass ich diese Faktoren für die entscheidenden halte, wie diverse Experten und Trumps eigenes Wahlkampfteam auch (consistency!).
Bis zu diesem Punkt in meiner Analyse hat Clinton einen mittelprächtigen Wahlkampf gefahren. Ich habe mehrfach den Vergleich mit Mitt Romney 2012 bemüht: nicht besonders gut, nicht besonders schlecht. Nur hatte Romney in Obama einen Gegner, der den Amtsinhaber-Bonus sowie eine sich erholende Wirtschaft auf seiner Seite hatte und daher, all else being equal, gewinnen würde. Es war aber nicht all else equal, vielmehr führte Obama einen mit wenigen Ausnahmen (die erste Debatte!) einen sehr guten Wahlkampf. 2016 hatte Clinton die Third-Term-Problematik gegen sich, so dass sie - erneut all else being equal - verlieren würde. Aber es war eben nicht all else equal.
Denn mit den Frontrunnern aus den republikanischen Vorwahlen hatte Clinton außerordentlich schwache Gegner gegen sich. Ted Cruz und Donald Trump waren beide nicht unbedingt das, was man eine sichere Wahl nennt, und beide hatten Beliebtheitswerte deutlich (wir reden von über 20%) unter denen Clintons. Dass HRC in der entscheidenden Novemberwoche hier mit Trump gleichzog und dadurch die Tür für dessen Zufallssieg öffnete, lag an Faktoren, die völlig außerhalb ihrer (und Trumps!) Kontrolle lagen. Denn man sollte nicht den Fehler machen, der von vielen in diesem Rahmen ständig begangen wird und Trump irgendwelche besonderen Einsichten oder Fähigkeiten zuschreiben. Sein Wahlkampf war insgesamt mies (wenngleich sein Digital-Team das von Clinton überflügelte), und er war vom Ergebnis genauso überrascht wie jeder andere auch. Dieses Vorwort ist zur Einordnung wichtig.
Und damit gehen wir zu den Faktoren.
Der erste Faktor ist die Wahrnehmung progressiver Kandidaten durch die Linse der Medien. Ich habe bereits betont, dass die Wahrnehmung Clintons als Rechtsaußen in ihrer Partei zumindest innenpolitisch äußerst fragwürdig ist. Durch eigenes Verschulden schaffte es Clinton nicht, dies bei ihrer eigenen Parteibasis zu ändern. Wofür sie wenig kann ist aber die völlig schizophrene Wahrnehmung ihrer Persona von außerhalb der progressiven Basis: Clinton wurde hier sowohl als feuerfressende Sozialistin gesehen als auch als ineffektive Vertreterin eines verwaschenen Mittelwegs, je nachdem, welche Story man gerade schreiben wollte.
Zudem wurde Clinton mit einer Salve von Vorwürfen der "smugness" (in etwa: arrogant, selbstgefällig) bedacht, die fest in der Klischeekiste politischer Journalisten verankert sind. Zur Klarstellung: JEDER progressive Kandidat wird mit diesem Vorwurf bedacht, egal wer es ist. Obama musste sich damit auseinandersetzen, Kerry, Gore, Clinton - völlig egal. Es ist ein Dauerklischee, das keine Basis in der Realität hat, bei dieser Wahl aber durch die Kandidatur Trumps besondere Schärfe erhielt, der das Kunststück fertigbrachte, als New Yorker Millionär die Ostküstenelite als Gegner aufzubauen und mit Clinton zu identifizieren, ein Stück Wahlkampfpropaganda, das völlig unkritisch übernommen wurde. Die Bereitschaft der Medien, dieses konservative Narrativ aufzugreifen, auf der anderen Seite aber Trumps Sexismus und Rassismus beständig zu relativieren und als reine Wahlkampftaktik darzustellen, kann nicht Clinton angelastet werden. Deren Verhältnis zu vielen dieser Medien - besonders der New York Times - war zwar schon seit langem sehr angespannt. Aber das gilt für Trump auch, und da störte es niemanden.
Und das bringt uns direkt zum nächsten und wahrscheinlich größten Faktor, der über Clinton hinaus Bedeutung hat. Ich habe im Vorgehenden erklärt, dass Rassismus bei der Wahl 2016 keine (größere) Rolle als sonst gespielt hat, obwohl Trump den bisher eher impliziten Rassismus der GOP genommen und die Partei direkt in eine white-supremacy-Bewegung verwandelt hat. Was aber unzweifelhaft anders als bei anderen Wahlen war war die Rolle des Sexismus - schon zwangsläufig, war Clinton doch die erste Frau, die für das Amt kandidierte.
2008 fragten sich viele politische Beobachter, ob die Amerikaner reif seien für einen schwarzen Präsidenten oder ob es zu einem rassistischen Backlash kommen würde. Tatsächlich zeigen erste Studien, dass vielmehr der merkwürdige Effekt eintrat, dass gerade alltagsrassistisch eingestellte Leute für Obama stimmten ("we're voting for the nigger"), in der Hoffnung, das Thema damit endgültig zu begraben. Obama verbog sich zudem beinahe zur Unkenntlichkeit darin, das Thema weiträumig zu umschiffen (bis der Tod Trayvon Martins 2012 ihm das unmöglich machte). Es ist nicht zuviel gesagt, dass Frauenfeinde 2016 keine Illusionen hegten, sich von ihren Sünden durch die Wahl der ersten Präsidentin freikaufen zu können, oder dass Clinton versucht hätte, das Thema zu vermeiden. Das wäre 2016 auch nicht mehr möglich gewesen, zuviel hat sich seit 2008 verändert.
Aber Sexismus spielte eine hervorgehobene Rolle im Wahlkampf nicht nur, weil Clinton nun mal eben eine Frau war, oder weil sie schon immer - bereits als Studentin - eine feministische Aktivistin gewesen wäre. Die Natur ihres Gegenspielers tat ihr Übriges, um das Thema permanent auf die Agenda zu holen. Und das war nichts, was Clinton und ihr Team sonderlich begrüßten. Als Anfang Oktober 2016 das Access-Hollywood-Tape auftauchte, auf dem Trump seine berüchtigten "grab them by the pussy"-Bemerkungen machte, fluchten sie in Clintons Wahlkampfteam, weil es ihnen die Message verhagelte. Trump verkörperte wie kein anderer republikanischer Kandidat außer vielleicht Mike Huckabee ein sexistisches Amerika. Er lebt die 80er Jahre. Eine Zeit, in der Machos geachtet und berühmt waren, in der man mit einer albernen Frisur und einem noch alberneren Spruch und genügend Geschmacklosigkeit weit kam. Und er ist damit nicht allein.
Der Wahlkampf 2016 gerann an nichts anderem so sehr wie an der Toxic Masculinity. Frauenfeinde und Gegner der Gleichberechtigung versammelten sich hinter Trump noch zuverlässiger als Neonazis und Ku-Klux-Klan-Anhänger. Die Republicans, abgehängt in den Umfragen und von einer elektoralen Todesspirale bedroht, warfen sich mit vollem Einsatz in den von ihnen entfachten Kulturkrieg. Bathroom bills, "family values" und Konsorten dominierten alles andere und machten die unfähigen Versuche Clintons, policy und Narrativ in die Diskussion zu bringen, völlig zunichte. Jeder Versuch, eine kohärente Message aufzubauen und ein Narrativ um Clinton zu schmieden, musste gegen Donald Trump unabhängig von den Fähigkeiten der Kandidatin und ihres Teams auf diesem Feld (die, wie beschrieben, lausig waren und sind) eine Sysiphos-Arbeit sein.
Und das ist, erneut, ein Problem der Medien und außerhalb Clintons Kontrolle. Ihr Geschlecht konnte sie nicht ändern, und dass die Medien Trumps permanente Skandale auf eine Art verarbeiten würden, die ihn effektiv jeglicher ernsthafter Kritik enthob, ist nicht ihr anzulasten, sondern bis heute Ausdruck eines Medienversagens auf breiter Front. Doch die mediale Schuld endet hier nicht. In ihrer harschen Kritik an der Berichterstattung gerade der New York Times liegt Clinton ja durchaus richtig. Man kann ein schlechter Verlierer sein UND richtig liegen.
Was also ist die mediale Schuld? Die Berichterstattung des gesamten Wahlkampfs war in einem nie dagewesen Ausmaß negativ und schmutzig. Das gilt für beide Seiten - die Berichterstattung über Trump war zu nie dagewesenen 80% negativ - aber wie es so schön heißt, sollte man nie mit Schweinen im Schlamm kämpfen. Beide werden schmutzig, nur die Schweine mögen es. Trump verdiente die negative Berichterstattung offensichtlich. Keine Woche verging ohne einen Skandal, und spätestens mit Access Hollywood und den vorherigen Geschichten war jedem auch nur halbwegs aufmerksamen Beobachter klar, dass Trump ein Sexualstraftäter war. Es bestand keinerlei Äquivalenz zu Clintons Skandalen, die wir bereits besprochen haben.
Genau diese Äquivalenz aber wurde von den Medien gergestellt. Dies hatte mehrere Gründe. Zum einen waren da die bereits erwähnten Spannungen. Die Clintons und die Presse hatten schon lange ein schlechtes Verhältnis zueinander. Aber das war nicht der Hauptgrund; so viel Professionalität darf man den Journalisten schon zugestehen, die zudem überwiegend Trump auch nicht leiden können. Problematischer waren andere Faktoren.
Der erste war, wie bereits erwähnt, der allgegenwärtige Eindruck, Clinton würde die Wahl gewinnen. Kein Journalist wollte sich der Kritik aussetzen, zu weich gegenüber Wahlsiegerin Clinton gewesen zu sein. Dies führte zu einer Überkompensation.
Der andere war, dass die Medien damals wie heute im Bothdiserismus und Whataboutismus verhaftet sind. Jede negative Story über Trump musste mit einer negativen Story über Clinton ausgeglichen werden, um nicht in den Vorwurf der Parteilichkeit zu geraten. Nur produzierte Trump jede Woche 2,38 neue Skandale. Clinton keinen einzigen. Da die Leitmedien aber dennoch Clinton ebenso kritisieren zu müssen glaubten wie Trump, hackten sie immer auf dasselbe tote Pferd ein, bauschten jede Kleinigkeit zur Staatsaffäre auf, bis sich auch beim letzten Wähler der Eindruck festgesetzt hatte, dass Trump und Clinton austauschbar schlecht wären und Clintons Beliebtheitswerte von denen Trumps kaum mehr zu unterscheiden waren.
Das war fatal, denn es war dieser Eindruck, der vielen unentschlossenen Wählern auf den letzten Metern die nötige Deckung gab, ein solch unqualifiziertes Monster wie Trump zu wählen. Wenn schließlich beide Alternativen gleich schlecht waren, beide charakterlich gleich verkommen, dann konnte man es ja auch mit dem Außenseiter versuchen. Dieser Eindruck lag völlig außerhalb von Clintons Macht zu verhindern, und er liegt einzig und allein bei den Medien, die nicht das nötige Rückgrat hatten sich der parteiischen Kritik der Konservativen zu stellen, einen objektiv wesentlich skandalbeladeneren Kandidaten auch als solchen zu behandeln und die sich stattdessen in eine künstliche Objektivität flüchteten, in der es als unparteiisch galt, beide Kandidaten in den Dreck zu stoßen und den Eindruck zu erwecken, Demokratie sei nur ein gewaltiges, unterhaltendes Schlammschlacht-Spektakel. Bis heute stehen die meisten Medien nicht zu dieser Verantwortung. Gerade die New York Times versäumt es weiterhin, ihre Rolle in diesem Drama aufzuarbeiten und belügt sich selbst damit, keinerlei Einfluss gehabt zu haben.
Absurderweise dürfte gerade auch Clintons überzeugende Performance im Benghazi-"Skandal" dazu beigetragen haben. Dieser komplett von den Konservativen erfundene Skandal wurde tatsächlich objektiv begleitet - was eben auch bedeutete, Ross und Reiter zu bennenen und am Ende zu dem Schluss zu kommen, dass Clinton nicht verantwortlich und das ganze ein politisches Schauspiel war. Die Republicans griffen die Leitmedien dafür wochenlang aufs Aggressivste an, so dass die Furcht davor, eine noch viel schlimmere Variante dieses "Benghazi-Backlash" abzubekommen sicherlich auch eine Rolle spielte - schon allein, weil Clintons überzeugende Performance eine "einfache" Äquivalenz verhinderte. Es ist absurd, wie diese Mechanismen wirken.
Am auffälligsten waren diese Mechanismen aber im Falle des Emailskandals zu sehen. Ich habe gesagt dass die Existenz dieses Skandals Clintons Schuld war. Das trifft aber nicht auf die völlig überzogene Bedeutung zu, die ihnen zugewiesen wurde. Dass der exakt gleich geartete Skandal um Ivanka Trumps Emails aktuell praktisch kein Wimpernzucken wert ist zeigt, dass es bei Clinton nie um die Emails ging. Es ging darum, etwas, irgendetwas, an sie zu hängen, um auch einen Skandal zu haben, um negativ berichten zu können - und nicht nur negativ über Trump, sondern auch Clinton zu berichten und so "fair" zu sein. Aber nur ein Kandidat in diesem Wahlkampf war jemand, der 80% negative Berichterstattung rechtfertigte, der jede Woche neue, echte Skandale produzierte, der log dass sich die Balken bogen und offenkundig diverser Verbrechen schuldig war, die er nur aufgrund seines Status als reicher Ostküstenelite wegen entgangen war. Aber all das konnte und wollte man so nicht sagen. Stattdessen blieb man "objektiv" und "fair". Das Resultat sehen wir bei jeder Pressekonferenz im Weißen Haus.
Aber genug der Medienschelte. Ein weiterer Faktor außerhalb der Kontrolle Clintons, dessen Auswirkungen bis heute völlig unklar, aber eindeutig größer als null, sind, ist die Einmischung Russlands in den Wahlkampf. Es ist inzwischen nur noch von hauptberuflichen Putin-Verstehern zu leugnen, dass russische Hacker hinter den DNC-Leaks stehen und die sozialen Netzwerke mit Fake-News und Bots fluteten. Zudem gibt es diverse Indizien, dass es direkte Hackversuche von Wahlmaschinen durch russische Hacker gab und dass Russland rechtsextremistischen, mit Trump verbündeten Gruppen Geld zur Verfügung stellte. Nun ist nichts davon sonderlich ungewöhnlich; die USA versuchen gerne selbst auf diese Art, auf Wahlen Einfluss zu nehmen. Nur waren die Russen 2016 erfolgreicher als sonst. Was nicht viel heißen muss; selbst Experten und andere Beobachter, die Putin sämtliche der angesprochenen Aktionen zuschreiben sind sehr vorsichtig darin, ihnen übermäßige Effektivität zu bescheinigen. Russische Einflussnahme war deswegen ein Faktor, der zweifellos vorhanden und außerhalb Clintons Kontrolle lag, dessen Auswirkungen aber zumindest bis zur Veröffentlichtung der Ergebnisse der Mueller-Kommission unklar sind, ebenso seine Verwicklung mit der Trump-Organisation. Diese Spekulation soll an dieser Stelle auch unterbleiben.
Sie ist auch nicht notwendig. Denn selbst alle bisher genannten Faktoren, ob selbst verschuldet oder außerhalb Clintons Kontrolle, hätten nicht ausgereicht, um ihre Wahlniederlage hervorzurufen. It bears repeating: Clinton hätte die Wahl beinahe gewonnen. Eine Woche zuvor oder danach wäre sie sicher Präsidentin geworden. In der fatalen Novemberwoche hatte sie immer noch eine 2:1-Chance. Niemand rechnete mit ihrer Niederlage. Warum also verlor sie? Das lag an dem letzten Faktor, der ihrer Kontrolle völlig entzogen war. Und dieser Faktor war James Comey.
Der FBI-Präsident hatte sich bereits im Sommer 2016 in präzendenzloser Weise in den Wahlkampf eingemischt, als er Clinton im Ergebnis seiner offiziellen Email-Skandal-Untersuchung von allen Vorwürfen freisprach, ihr dann aber (in einer Überschreitung seiner Kompetenzen und der delikaten politischen Lage unangemessen) "extremely careless[ness]", also extreme Nachlässigkeit, bescheinigte. Dieser politische Schaden war durch Clinton aber im Herbst 2016 überwunden. Innerhalb von 24 Stunden von der Veröffentlichtung des Access-Hollywood-Tapes aber veröffentlichte Wikileaks, offensichtlich in Absprache mit dem Trump-Wahlkampfteam (sowohl Donald Trump Jr. als auch Paul Manafort machten vor der Veröffentlichung direkte Andeutungen in diese Richtung), die DNC-Mails, die Comey zum Anlass nahm, die Ermittlungen erneut aufzunehmen. Der Gipfel der Ironie ist, dass Comey dabei ein Clinton-ähnliches Unverständnis der Funktionsweise von Emails an den Tag legte: dass nämlich Mails lokal bei Sender UND Empfänger gespeichert werden, sollte einem FBI-Chef eigentlich bekannt sein. Und doch diente es ihm zur offiziellen Legitimation der Wiedereröffnung der Ermittlungen eine Woche vor der Wahl. Das wäre nicht schlimm gewesen, aber Comey teilte diese Wiedereröffnung auf sämtlichen Kanälen mit der Öffentlichkeit, vor allem in einem offiziellen Brief an den Kongress - wozu es keine Veranlassung gab.
Damit stellte Comey die letzte Woche vor der Wahl direkt unter den Schatten der Clinton-Mails. Die Schlagzeilen waren voll - und die meisten Umfragen waren vorher aufgenommen worden, so dass diese Ereignisse in vielen Umfragen nicht mehr auftauchten und die Experten kalt erwischten. Doch selbst diesen Schlag hätte Clinton vielleicht noch knapp verkraftet. Doch eine Woche später, am 6.11., schrieb Comey einen weiteren Brief, in dem er die Einstellung der Ermittlungen bekanntgab. Damit garantierte er, dass die letzten Zeitungen, die die Wähler vor dem Wahltag lasen, als Titelschlagzeile die Clinton-Mails hatten. Dass Clinton ein weiteres Mal freigesprochen wurde, war dafür irrelevant. Die Ereignisse bestätigten das in den Monaten zuvor beständig genährte Vorurteil, Clinton sei eine außergewöhnlich skandalbeladene Politikerin - was schlichtweg nicht der Wahrheit entspricht.
Nate Silver von 538 ist sich deshalb, wie die meisten anderen Beobachter außerhalb der bereits erwähnt aufarbeitungsresistenten Leitmedien auch, auch sicher, dass die Comey-Briefe Clintons Niederlage entschieden haben. Ihr Effekt kann in den Umfragen, anders als die Goldman-Sachs-Reden und alle anderen hier genannten Faktoren, direkt nachgewiesen werden. Es ist strittig, in welchem Umfang die Briefe gewirkt haben - die niedrigsten Schätzungen gehen von 1%, die höchsten von 3-4% Verlust für Clinton in den finalen Tagen vor der Wahl aus. Aber genau deswegen bin ich zu Beginn dieser Abhandlung so lang auf den knappen Ergebnissen in Wisconsin, Pennsylvania und Michigan herumgeritten. Sie alle sind deutlich unter 1% entschieden worden. Ohne Comeys Brief wäre Hillary Clinton heute Präsidentin. Das steht völlig außer Zweifel.
Warum tat Comey es? Aus dem gleichen Grund wie die New York Times ihren Bothsiderismus pflegte. Er hat es sogar offen gesagt: Er ging davon aus, Clinton werde gewinnen, und wollte sich von jedem möglichen Vorwurf, sie unterstützt zu haben, reinwaschen. Ihm fehlte schlichtweg das Rückgrat.
Es war damit Clintons Stärke, nicht ihre Schwäche, die absurderweise zu ihrer Niederlage führte. Wären die Umfragen durch den Oktober hindurch knapp und Kopf and Kopf mit Trump gewesen - sowohl die medialen Beobachter als auch Comey hätten sich anders verhalten, und Clinton wäre heute Präsidentin. Auch deswegen war dieser Schwung so schwer vorherzusehen. Clintons Stärke war echt, und sie war es bis wenige Tage vor der Wahl, an der dann 77.000 von über 60 Millionen Wählern die Entscheidung brachten.
Aber warum die ollen Kamellen wieder aufs Tablett bringen? Wen interessiert, außer den Historikern, der genaue Grund für 2016? Die Wahl wirkt deutlich nach, und sie spielt eine gewaltige Rolle für heute und für 2020. Im (versprochen!) letzten Teil der Serie wollen wir uns deswegen mit den Folgerungen aus 2016 befassen.
Bis zu diesem Punkt in meiner Analyse hat Clinton einen mittelprächtigen Wahlkampf gefahren. Ich habe mehrfach den Vergleich mit Mitt Romney 2012 bemüht: nicht besonders gut, nicht besonders schlecht. Nur hatte Romney in Obama einen Gegner, der den Amtsinhaber-Bonus sowie eine sich erholende Wirtschaft auf seiner Seite hatte und daher, all else being equal, gewinnen würde. Es war aber nicht all else equal, vielmehr führte Obama einen mit wenigen Ausnahmen (die erste Debatte!) einen sehr guten Wahlkampf. 2016 hatte Clinton die Third-Term-Problematik gegen sich, so dass sie - erneut all else being equal - verlieren würde. Aber es war eben nicht all else equal.
Denn mit den Frontrunnern aus den republikanischen Vorwahlen hatte Clinton außerordentlich schwache Gegner gegen sich. Ted Cruz und Donald Trump waren beide nicht unbedingt das, was man eine sichere Wahl nennt, und beide hatten Beliebtheitswerte deutlich (wir reden von über 20%) unter denen Clintons. Dass HRC in der entscheidenden Novemberwoche hier mit Trump gleichzog und dadurch die Tür für dessen Zufallssieg öffnete, lag an Faktoren, die völlig außerhalb ihrer (und Trumps!) Kontrolle lagen. Denn man sollte nicht den Fehler machen, der von vielen in diesem Rahmen ständig begangen wird und Trump irgendwelche besonderen Einsichten oder Fähigkeiten zuschreiben. Sein Wahlkampf war insgesamt mies (wenngleich sein Digital-Team das von Clinton überflügelte), und er war vom Ergebnis genauso überrascht wie jeder andere auch. Dieses Vorwort ist zur Einordnung wichtig.
Und damit gehen wir zu den Faktoren.
Der erste Faktor ist die Wahrnehmung progressiver Kandidaten durch die Linse der Medien. Ich habe bereits betont, dass die Wahrnehmung Clintons als Rechtsaußen in ihrer Partei zumindest innenpolitisch äußerst fragwürdig ist. Durch eigenes Verschulden schaffte es Clinton nicht, dies bei ihrer eigenen Parteibasis zu ändern. Wofür sie wenig kann ist aber die völlig schizophrene Wahrnehmung ihrer Persona von außerhalb der progressiven Basis: Clinton wurde hier sowohl als feuerfressende Sozialistin gesehen als auch als ineffektive Vertreterin eines verwaschenen Mittelwegs, je nachdem, welche Story man gerade schreiben wollte.
Zudem wurde Clinton mit einer Salve von Vorwürfen der "smugness" (in etwa: arrogant, selbstgefällig) bedacht, die fest in der Klischeekiste politischer Journalisten verankert sind. Zur Klarstellung: JEDER progressive Kandidat wird mit diesem Vorwurf bedacht, egal wer es ist. Obama musste sich damit auseinandersetzen, Kerry, Gore, Clinton - völlig egal. Es ist ein Dauerklischee, das keine Basis in der Realität hat, bei dieser Wahl aber durch die Kandidatur Trumps besondere Schärfe erhielt, der das Kunststück fertigbrachte, als New Yorker Millionär die Ostküstenelite als Gegner aufzubauen und mit Clinton zu identifizieren, ein Stück Wahlkampfpropaganda, das völlig unkritisch übernommen wurde. Die Bereitschaft der Medien, dieses konservative Narrativ aufzugreifen, auf der anderen Seite aber Trumps Sexismus und Rassismus beständig zu relativieren und als reine Wahlkampftaktik darzustellen, kann nicht Clinton angelastet werden. Deren Verhältnis zu vielen dieser Medien - besonders der New York Times - war zwar schon seit langem sehr angespannt. Aber das gilt für Trump auch, und da störte es niemanden.
Und das bringt uns direkt zum nächsten und wahrscheinlich größten Faktor, der über Clinton hinaus Bedeutung hat. Ich habe im Vorgehenden erklärt, dass Rassismus bei der Wahl 2016 keine (größere) Rolle als sonst gespielt hat, obwohl Trump den bisher eher impliziten Rassismus der GOP genommen und die Partei direkt in eine white-supremacy-Bewegung verwandelt hat. Was aber unzweifelhaft anders als bei anderen Wahlen war war die Rolle des Sexismus - schon zwangsläufig, war Clinton doch die erste Frau, die für das Amt kandidierte.
2008 fragten sich viele politische Beobachter, ob die Amerikaner reif seien für einen schwarzen Präsidenten oder ob es zu einem rassistischen Backlash kommen würde. Tatsächlich zeigen erste Studien, dass vielmehr der merkwürdige Effekt eintrat, dass gerade alltagsrassistisch eingestellte Leute für Obama stimmten ("we're voting for the nigger"), in der Hoffnung, das Thema damit endgültig zu begraben. Obama verbog sich zudem beinahe zur Unkenntlichkeit darin, das Thema weiträumig zu umschiffen (bis der Tod Trayvon Martins 2012 ihm das unmöglich machte). Es ist nicht zuviel gesagt, dass Frauenfeinde 2016 keine Illusionen hegten, sich von ihren Sünden durch die Wahl der ersten Präsidentin freikaufen zu können, oder dass Clinton versucht hätte, das Thema zu vermeiden. Das wäre 2016 auch nicht mehr möglich gewesen, zuviel hat sich seit 2008 verändert.
Aber Sexismus spielte eine hervorgehobene Rolle im Wahlkampf nicht nur, weil Clinton nun mal eben eine Frau war, oder weil sie schon immer - bereits als Studentin - eine feministische Aktivistin gewesen wäre. Die Natur ihres Gegenspielers tat ihr Übriges, um das Thema permanent auf die Agenda zu holen. Und das war nichts, was Clinton und ihr Team sonderlich begrüßten. Als Anfang Oktober 2016 das Access-Hollywood-Tape auftauchte, auf dem Trump seine berüchtigten "grab them by the pussy"-Bemerkungen machte, fluchten sie in Clintons Wahlkampfteam, weil es ihnen die Message verhagelte. Trump verkörperte wie kein anderer republikanischer Kandidat außer vielleicht Mike Huckabee ein sexistisches Amerika. Er lebt die 80er Jahre. Eine Zeit, in der Machos geachtet und berühmt waren, in der man mit einer albernen Frisur und einem noch alberneren Spruch und genügend Geschmacklosigkeit weit kam. Und er ist damit nicht allein.
Der Wahlkampf 2016 gerann an nichts anderem so sehr wie an der Toxic Masculinity. Frauenfeinde und Gegner der Gleichberechtigung versammelten sich hinter Trump noch zuverlässiger als Neonazis und Ku-Klux-Klan-Anhänger. Die Republicans, abgehängt in den Umfragen und von einer elektoralen Todesspirale bedroht, warfen sich mit vollem Einsatz in den von ihnen entfachten Kulturkrieg. Bathroom bills, "family values" und Konsorten dominierten alles andere und machten die unfähigen Versuche Clintons, policy und Narrativ in die Diskussion zu bringen, völlig zunichte. Jeder Versuch, eine kohärente Message aufzubauen und ein Narrativ um Clinton zu schmieden, musste gegen Donald Trump unabhängig von den Fähigkeiten der Kandidatin und ihres Teams auf diesem Feld (die, wie beschrieben, lausig waren und sind) eine Sysiphos-Arbeit sein.
Und das ist, erneut, ein Problem der Medien und außerhalb Clintons Kontrolle. Ihr Geschlecht konnte sie nicht ändern, und dass die Medien Trumps permanente Skandale auf eine Art verarbeiten würden, die ihn effektiv jeglicher ernsthafter Kritik enthob, ist nicht ihr anzulasten, sondern bis heute Ausdruck eines Medienversagens auf breiter Front. Doch die mediale Schuld endet hier nicht. In ihrer harschen Kritik an der Berichterstattung gerade der New York Times liegt Clinton ja durchaus richtig. Man kann ein schlechter Verlierer sein UND richtig liegen.
Was also ist die mediale Schuld? Die Berichterstattung des gesamten Wahlkampfs war in einem nie dagewesen Ausmaß negativ und schmutzig. Das gilt für beide Seiten - die Berichterstattung über Trump war zu nie dagewesenen 80% negativ - aber wie es so schön heißt, sollte man nie mit Schweinen im Schlamm kämpfen. Beide werden schmutzig, nur die Schweine mögen es. Trump verdiente die negative Berichterstattung offensichtlich. Keine Woche verging ohne einen Skandal, und spätestens mit Access Hollywood und den vorherigen Geschichten war jedem auch nur halbwegs aufmerksamen Beobachter klar, dass Trump ein Sexualstraftäter war. Es bestand keinerlei Äquivalenz zu Clintons Skandalen, die wir bereits besprochen haben.
Genau diese Äquivalenz aber wurde von den Medien gergestellt. Dies hatte mehrere Gründe. Zum einen waren da die bereits erwähnten Spannungen. Die Clintons und die Presse hatten schon lange ein schlechtes Verhältnis zueinander. Aber das war nicht der Hauptgrund; so viel Professionalität darf man den Journalisten schon zugestehen, die zudem überwiegend Trump auch nicht leiden können. Problematischer waren andere Faktoren.
Der erste war, wie bereits erwähnt, der allgegenwärtige Eindruck, Clinton würde die Wahl gewinnen. Kein Journalist wollte sich der Kritik aussetzen, zu weich gegenüber Wahlsiegerin Clinton gewesen zu sein. Dies führte zu einer Überkompensation.
Der andere war, dass die Medien damals wie heute im Bothdiserismus und Whataboutismus verhaftet sind. Jede negative Story über Trump musste mit einer negativen Story über Clinton ausgeglichen werden, um nicht in den Vorwurf der Parteilichkeit zu geraten. Nur produzierte Trump jede Woche 2,38 neue Skandale. Clinton keinen einzigen. Da die Leitmedien aber dennoch Clinton ebenso kritisieren zu müssen glaubten wie Trump, hackten sie immer auf dasselbe tote Pferd ein, bauschten jede Kleinigkeit zur Staatsaffäre auf, bis sich auch beim letzten Wähler der Eindruck festgesetzt hatte, dass Trump und Clinton austauschbar schlecht wären und Clintons Beliebtheitswerte von denen Trumps kaum mehr zu unterscheiden waren.
Das war fatal, denn es war dieser Eindruck, der vielen unentschlossenen Wählern auf den letzten Metern die nötige Deckung gab, ein solch unqualifiziertes Monster wie Trump zu wählen. Wenn schließlich beide Alternativen gleich schlecht waren, beide charakterlich gleich verkommen, dann konnte man es ja auch mit dem Außenseiter versuchen. Dieser Eindruck lag völlig außerhalb von Clintons Macht zu verhindern, und er liegt einzig und allein bei den Medien, die nicht das nötige Rückgrat hatten sich der parteiischen Kritik der Konservativen zu stellen, einen objektiv wesentlich skandalbeladeneren Kandidaten auch als solchen zu behandeln und die sich stattdessen in eine künstliche Objektivität flüchteten, in der es als unparteiisch galt, beide Kandidaten in den Dreck zu stoßen und den Eindruck zu erwecken, Demokratie sei nur ein gewaltiges, unterhaltendes Schlammschlacht-Spektakel. Bis heute stehen die meisten Medien nicht zu dieser Verantwortung. Gerade die New York Times versäumt es weiterhin, ihre Rolle in diesem Drama aufzuarbeiten und belügt sich selbst damit, keinerlei Einfluss gehabt zu haben.
Absurderweise dürfte gerade auch Clintons überzeugende Performance im Benghazi-"Skandal" dazu beigetragen haben. Dieser komplett von den Konservativen erfundene Skandal wurde tatsächlich objektiv begleitet - was eben auch bedeutete, Ross und Reiter zu bennenen und am Ende zu dem Schluss zu kommen, dass Clinton nicht verantwortlich und das ganze ein politisches Schauspiel war. Die Republicans griffen die Leitmedien dafür wochenlang aufs Aggressivste an, so dass die Furcht davor, eine noch viel schlimmere Variante dieses "Benghazi-Backlash" abzubekommen sicherlich auch eine Rolle spielte - schon allein, weil Clintons überzeugende Performance eine "einfache" Äquivalenz verhinderte. Es ist absurd, wie diese Mechanismen wirken.
Am auffälligsten waren diese Mechanismen aber im Falle des Emailskandals zu sehen. Ich habe gesagt dass die Existenz dieses Skandals Clintons Schuld war. Das trifft aber nicht auf die völlig überzogene Bedeutung zu, die ihnen zugewiesen wurde. Dass der exakt gleich geartete Skandal um Ivanka Trumps Emails aktuell praktisch kein Wimpernzucken wert ist zeigt, dass es bei Clinton nie um die Emails ging. Es ging darum, etwas, irgendetwas, an sie zu hängen, um auch einen Skandal zu haben, um negativ berichten zu können - und nicht nur negativ über Trump, sondern auch Clinton zu berichten und so "fair" zu sein. Aber nur ein Kandidat in diesem Wahlkampf war jemand, der 80% negative Berichterstattung rechtfertigte, der jede Woche neue, echte Skandale produzierte, der log dass sich die Balken bogen und offenkundig diverser Verbrechen schuldig war, die er nur aufgrund seines Status als reicher Ostküstenelite wegen entgangen war. Aber all das konnte und wollte man so nicht sagen. Stattdessen blieb man "objektiv" und "fair". Das Resultat sehen wir bei jeder Pressekonferenz im Weißen Haus.
Aber genug der Medienschelte. Ein weiterer Faktor außerhalb der Kontrolle Clintons, dessen Auswirkungen bis heute völlig unklar, aber eindeutig größer als null, sind, ist die Einmischung Russlands in den Wahlkampf. Es ist inzwischen nur noch von hauptberuflichen Putin-Verstehern zu leugnen, dass russische Hacker hinter den DNC-Leaks stehen und die sozialen Netzwerke mit Fake-News und Bots fluteten. Zudem gibt es diverse Indizien, dass es direkte Hackversuche von Wahlmaschinen durch russische Hacker gab und dass Russland rechtsextremistischen, mit Trump verbündeten Gruppen Geld zur Verfügung stellte. Nun ist nichts davon sonderlich ungewöhnlich; die USA versuchen gerne selbst auf diese Art, auf Wahlen Einfluss zu nehmen. Nur waren die Russen 2016 erfolgreicher als sonst. Was nicht viel heißen muss; selbst Experten und andere Beobachter, die Putin sämtliche der angesprochenen Aktionen zuschreiben sind sehr vorsichtig darin, ihnen übermäßige Effektivität zu bescheinigen. Russische Einflussnahme war deswegen ein Faktor, der zweifellos vorhanden und außerhalb Clintons Kontrolle lag, dessen Auswirkungen aber zumindest bis zur Veröffentlichtung der Ergebnisse der Mueller-Kommission unklar sind, ebenso seine Verwicklung mit der Trump-Organisation. Diese Spekulation soll an dieser Stelle auch unterbleiben.
Sie ist auch nicht notwendig. Denn selbst alle bisher genannten Faktoren, ob selbst verschuldet oder außerhalb Clintons Kontrolle, hätten nicht ausgereicht, um ihre Wahlniederlage hervorzurufen. It bears repeating: Clinton hätte die Wahl beinahe gewonnen. Eine Woche zuvor oder danach wäre sie sicher Präsidentin geworden. In der fatalen Novemberwoche hatte sie immer noch eine 2:1-Chance. Niemand rechnete mit ihrer Niederlage. Warum also verlor sie? Das lag an dem letzten Faktor, der ihrer Kontrolle völlig entzogen war. Und dieser Faktor war James Comey.
Der FBI-Präsident hatte sich bereits im Sommer 2016 in präzendenzloser Weise in den Wahlkampf eingemischt, als er Clinton im Ergebnis seiner offiziellen Email-Skandal-Untersuchung von allen Vorwürfen freisprach, ihr dann aber (in einer Überschreitung seiner Kompetenzen und der delikaten politischen Lage unangemessen) "extremely careless[ness]", also extreme Nachlässigkeit, bescheinigte. Dieser politische Schaden war durch Clinton aber im Herbst 2016 überwunden. Innerhalb von 24 Stunden von der Veröffentlichtung des Access-Hollywood-Tapes aber veröffentlichte Wikileaks, offensichtlich in Absprache mit dem Trump-Wahlkampfteam (sowohl Donald Trump Jr. als auch Paul Manafort machten vor der Veröffentlichung direkte Andeutungen in diese Richtung), die DNC-Mails, die Comey zum Anlass nahm, die Ermittlungen erneut aufzunehmen. Der Gipfel der Ironie ist, dass Comey dabei ein Clinton-ähnliches Unverständnis der Funktionsweise von Emails an den Tag legte: dass nämlich Mails lokal bei Sender UND Empfänger gespeichert werden, sollte einem FBI-Chef eigentlich bekannt sein. Und doch diente es ihm zur offiziellen Legitimation der Wiedereröffnung der Ermittlungen eine Woche vor der Wahl. Das wäre nicht schlimm gewesen, aber Comey teilte diese Wiedereröffnung auf sämtlichen Kanälen mit der Öffentlichkeit, vor allem in einem offiziellen Brief an den Kongress - wozu es keine Veranlassung gab.
Damit stellte Comey die letzte Woche vor der Wahl direkt unter den Schatten der Clinton-Mails. Die Schlagzeilen waren voll - und die meisten Umfragen waren vorher aufgenommen worden, so dass diese Ereignisse in vielen Umfragen nicht mehr auftauchten und die Experten kalt erwischten. Doch selbst diesen Schlag hätte Clinton vielleicht noch knapp verkraftet. Doch eine Woche später, am 6.11., schrieb Comey einen weiteren Brief, in dem er die Einstellung der Ermittlungen bekanntgab. Damit garantierte er, dass die letzten Zeitungen, die die Wähler vor dem Wahltag lasen, als Titelschlagzeile die Clinton-Mails hatten. Dass Clinton ein weiteres Mal freigesprochen wurde, war dafür irrelevant. Die Ereignisse bestätigten das in den Monaten zuvor beständig genährte Vorurteil, Clinton sei eine außergewöhnlich skandalbeladene Politikerin - was schlichtweg nicht der Wahrheit entspricht.
Nate Silver von 538 ist sich deshalb, wie die meisten anderen Beobachter außerhalb der bereits erwähnt aufarbeitungsresistenten Leitmedien auch, auch sicher, dass die Comey-Briefe Clintons Niederlage entschieden haben. Ihr Effekt kann in den Umfragen, anders als die Goldman-Sachs-Reden und alle anderen hier genannten Faktoren, direkt nachgewiesen werden. Es ist strittig, in welchem Umfang die Briefe gewirkt haben - die niedrigsten Schätzungen gehen von 1%, die höchsten von 3-4% Verlust für Clinton in den finalen Tagen vor der Wahl aus. Aber genau deswegen bin ich zu Beginn dieser Abhandlung so lang auf den knappen Ergebnissen in Wisconsin, Pennsylvania und Michigan herumgeritten. Sie alle sind deutlich unter 1% entschieden worden. Ohne Comeys Brief wäre Hillary Clinton heute Präsidentin. Das steht völlig außer Zweifel.
Warum tat Comey es? Aus dem gleichen Grund wie die New York Times ihren Bothsiderismus pflegte. Er hat es sogar offen gesagt: Er ging davon aus, Clinton werde gewinnen, und wollte sich von jedem möglichen Vorwurf, sie unterstützt zu haben, reinwaschen. Ihm fehlte schlichtweg das Rückgrat.
Es war damit Clintons Stärke, nicht ihre Schwäche, die absurderweise zu ihrer Niederlage führte. Wären die Umfragen durch den Oktober hindurch knapp und Kopf and Kopf mit Trump gewesen - sowohl die medialen Beobachter als auch Comey hätten sich anders verhalten, und Clinton wäre heute Präsidentin. Auch deswegen war dieser Schwung so schwer vorherzusehen. Clintons Stärke war echt, und sie war es bis wenige Tage vor der Wahl, an der dann 77.000 von über 60 Millionen Wählern die Entscheidung brachten.
Aber warum die ollen Kamellen wieder aufs Tablett bringen? Wen interessiert, außer den Historikern, der genaue Grund für 2016? Die Wahl wirkt deutlich nach, und sie spielt eine gewaltige Rolle für heute und für 2020. Im (versprochen!) letzten Teil der Serie wollen wir uns deswegen mit den Folgerungen aus 2016 befassen.