Warum der Minister unrecht hat

Ein Debattenbeitrag von Stefan Sasse
Eine Replik auf Matthias Mattusek.
Nicht schon wieder. Wieder einmal sind Unionspolitiker und konservative Journalisten einig darin, beleidigt zu sein, weil eine Wahrheit schlicht und klar ausgesprochen wurde: Der Islam gehört, historisch, zu Deutschland.
Natürlich hat Innenminister Hand-Peter Friedrich nicht recht, wenn er dieser Tage sagt, der Islam gehöre historisch nicht zu Deutschland, das in einer christlich-jüdisch-abendländischen Kultur angesiedelt sei. Es besteht zwischen Friedrichs Aussage und dem Aufruf Erdogans an die türkischstämmigen Deutschen, sich nicht auf eine einseitige Assimiliation festlegen zu lassen, kein Zusammenhang. Der Irrtum hierüber hat seinen Ursprung genau dort, wo auch die die Problematik der Integrationsdebatte wurzelt: die meisten "Türken" in Deutschland sind Deutsche, dem Pass, nicht dem Blut nach - aber diese Unterscheidung sollte im 21. Jahrhundert auch hinfällig geworden sein. 
Der Innenminister hat mit seiner Aussage natürlich auch nicht zu einer diffusen Entität "Geschichte" gesprochen. Die Aussage Friedrichs war, auch wenn Konservative sich das anders wünschen, keine mit einem absoluten Wahrheitsgehalt gleich der simplen Weisheit, dass die Erde rund sei. Das Gesellschaftsverständnis, dem Friedrich mit seinen Worten Ausdruck verleiht, ist - hier hat Özdemir Recht - ist tatsächlich ein krudes. Auch der Vorsitzende des liberal-islamischen Bundes hat Recht, wenn er die Aussage für politisch wie historisch falsch hält. 
An dieser Stelle vermisst Mattusek in der Debatte Gegenargumente und den Beweis, dass der Islam historisch zu Deutschland gehöre. Er soll nicht lange warten müssen. Die Konstruktion einer "christlich-jüdisch-abendländischen Kultur" alleine, wie sie die Union betreibt, ist ein historisch absolut nicht haltbarer Vorgang. Es existiert keine gemeinsame christlich-jüdische Kultur, es sei denn, man zählt mehrere hundert Jahre Ausgrenzung und teils gewaltsame Progrome zu einer positiven, von Toleranz und gegenseitigem Verständnis geprägten Geschichte. Eine Verankerung der Kultur, die tatsächlich als jüdisch wahrnehmbar ist in die deutsche, zumindest teils christlich geprägte Kultur zu postulieren ist zumindest gewagt. In der Alltagskommunikation und Alltagssymbolik findet sich vom Judentum fast nichts. Wenn man wirklich einen Kulturtransfer für Deutschland feststellen mächte, so müsste man von einer christlich-amerikanisch-abendländischen Kultur sprechen. Denn die Kultur der USA hat Deutschland seit 1945 hundert mal mehr beeinflusst als die jüdische. 
Überhaupt besteht ein freundliches, wenngleich auf Abstand bedachtes Verhältnis zwischen Deutschen und Juden erst seit der Aussöhnung in den 1950er Jahren. Zu etwa der gleichen Zeit - kaum fünf Jahre versetzt - beginnt aber mit der Einwanderung türkischer Gastarbeiter die mittlerweile über fünfzigjährige Geschichte des Islam in Deutschland. Von einer nicht vorhandenen Geschichte zu sprechen ist deswegen blanker Unfug. Die Geschichte des Islam in Deutschland, Herr Matussek, ist noch nicht allzu lange - aber sie übersteigt die Lebensspanne der Mehrzahl der Deutschen inzwischen bei weitem.
Der Versuch, den Islam als unhistorisch, gewissermaßen als Betriebsunfall der Geschichte beiseite zu schieben in der wirren Hoffnung dass - ja was eigenlich? - passiert, ist letztlich ein Produkt typischer Xenophobie, also die Angst vor dem Fremden. Xenophobie ist die vorrangige Quelle von Fremdenfeindlichkeit. "Der Islam" bietet lediglich eine bequeme, politisch korrekte Zielfläche, auf der Ausländerfeindlichkeit heutzutage abgeladen werden kann. Die Postulierung einer "christlich-jüdischen-abendländischen Kultur" ist deswegen nur ein Ablenkungsmanöver: mit dem Rekurs auf die früher verfolgten Juden versucht man sich von dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit reinzuwaschen. Damit benutzt man aber die Juden letztlich als Schutzschild, um den eigenen unterbewussten Gedankenschmutz zu verbergen. Und der dümpelt gerade bei Matussek gefährlich weit an der Oberfläche, wie seine haarsträubende Postulierung einer "christlichen historisch-religiösen DNA" zeigt, die die Deutschen angeblich hätten. Man sollte wirklich meinen, dass die Verweise auf irgendwelche rassischen Merkmale der Vergangenheit angehören sollten. Das "nordische Blut" ist also christlich? 
Auch die Kritik Matusseks an Bundespräsident Wulff, dessen Ausspruch der Islam gehöre zu Deutschland wie Christen- und Judentum arbeitet lediglich mit Ressentiments. Zwei Drittel der Deutschen teilen diese Ansicht nicht, so Matussek. Und außerdem würde man Wulff in der Türkei ja auch nicht ernstnehmen, wenn er das Christentum dort ebenfalls einfordert. Und, zuletzt, dass er das Judentum "zweifelsfrei" nach Deutschland verlagert, das hält Matussek für "auf geschichtsvergessene Art problematisch". Er wirft damit Wulff vor, was die meisten Unionspolitiker mit ihrer "christlich-jüdisch-abendländischen Kultur" selbst tun, nämlich ihre eigene Aussage hinter einem Bekenntnis zum Judentum in Deutschland zu verstecken und sich so unangreifbar zu machen. Der Trick ist bei Wulff nicht besser als bei Matusseks politischen Freunden, nur nennt die Krähe hier den Raben schwarz. 
Am gefährlichsten und im Kontext von Matusseks Artikel auch unlogischsten aber ist der Verweis auf die Mehrheitsmeinung der Deutschen. War der Islam gerade nicht aus dem weiten Rahmen einer zweitausendjährigen Geschichte heraus nicht deutsch? Plötzlich ist er es, weil die diffuse Mehrheitsmeinung? Hat die Mehrheit etwa immer Recht? Wenn man eine solche Argumentation heranzieht, dann müsste die historische Bewertung des Holocaust eine ganz andere werden. Oder gilt nur die jeweils gerade herrschende Mehrheitsmeinung, muss sich also die integrative Kraft einer Gesellschaft an den Verdauungsrhythmus der Springerpresse anpassen? Entweder also gehört der Islam Kraft einer geschichtlichen Logik (à la Marx, Hegels und Nietzsche) nicht zu Deutschland, oder wegen der gerade herrschenden Merheitsmeinung, die wegen der großen Messfehler ohnehin eher der Meinung der Demoskopen entspricht. Beides zugleich geht nicht, auch wenn es die eigene Argumentation sehr bequem gestaltet. 
Die bisherigen argumentatorischen Schwächen überdeckt Matussek am Ende dann in einem richtigen dicken Aufguss. Durch die simple Gleichung "Islam=Terrorismus" und Verweis auf einige Irre diskreditiert er auf einen Schlag nicht nur eine gesamte, weltumspannende Religion - es werden auch alle in einen Topf geworfen, die dieser Religion angehören, gleich zu welchem Grad. Das ist wie zu behaupten, dass jeder Katholik Kinder missbrauchen würde, nur weil einige radikale Priester das getan haben. Matussek greift zusätzlich auf einen beliebten Trick der Rechtspopulisten zurück, indem er die Mahner gegen solche Islamophobie als unverbesserliche und unrealistische Gutmenschen darstellt, die einfach die Augen verschließen. Argumentativ werden Ausschreitungen bei den Aufständen in Nordafrika dann noch mit gewalttätigen Jugendlichen in den Topf gerührt, und fertig ist "der Islam", der, wie Matussek am Ende noch einmal beschwörend verkündet, nicht nach Deutschland gehört. 
Herr Matussek, ob der Islam nach Deutschland gehört oder nicht ist eine Frage ohne Relevanz. Er ist hier, ganz egal ob das irgendjemand will oder nicht. Sie und Ihresgleichen sind verantwortlich dafür, dass alle gut gemeinten Integrationsansätze scheitern und die Kooperationsbereitschaft der "islamischen Lobbys" abnimmt. Menschen wie Sie sind es, die mit ihrer Xenophobie die Brunnen vergiften. Der zweite Satz Ihres Artikels ist der aufschlussreichste für diese Denke, enthält er doch folgenden Halbsatz: "Es deckt sich mit dem, was der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen in Deutschland lebenden türkischen Landsleuten vor wenigen Tagen mahnend zugerufen hat, als er sie erneut vor der Assimilation warnte." Nein, Herr Matussek, das hat er nicht seinen in Deutschland lebenden türkischen Landsleuten zugerufen. Das hat er Ihren Landsleuten zugerufen, türkischstämmige Mitbürger mit deutschem Pass. Dass seine Botschaften Gehör finden ist die Schuld von Menschen wie Ihnen, die offenkundig nicht bereit sind, die Ausländer als Mitbürger anzuerkennen und stets als Bürger zweiter Klasse behandeln - dann aber stets entsetzt sind, wenn diese sich nicht vollständig integrieren. Wobei es sich bei "Integration" ohnehin nur um eine weitere politisch korrekte Schutzphrase für die eigene Ausländerfeindlichkeit handelt, meint sie doch im konservativen Sprachgebrauch "unsichtbar sein". Das ist keine Integration, Herr Matussek, das ist eine kulturelle Arroganz, die das Land spaltet und Porzellan zerschlägt - ganz wie Claudia Roth und Czem Özdemir befunden haben.

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