Warum auch Hans Küng die Kirche nicht retten kann

Warum auch Hans Küng die Kirche nicht retten kann

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Der Patient Katholische Kirche, den Küng, so Hubertus Mynareks Fazit, the­ra­pie­ren wollte, ist tot, mau­se­tot, und nicht mehr the­ra­pier­bar. Er schreibt dazu auf S. 181 sei­nes neuen Buches: „Machtpolitisch hält sich die Kirche zwar noch am Ruder, ja para­do­xer­weise ist sie in die­ser Hinsicht um so ‚leben­di­ger‘, je toter sie in den Herzen ihrer Noch-Mitglieder ist, weil sie auf Grund ihrer Finanzmittel, vor allem der mil­li­ar­den­fa­chen Zuwendungen sei­tens des Staates, alle poli­ti­schen, gesell­schaft­li­chen, media­len, öko­no­mi­schen usw. Kanäle und Machtinstrumente inten­siv nut­zen kann, um trotz ihres Todes auf der Ebene der Wahrheit die ver­schie­dens­ten Interessengruppen auf der sozia­len Ebene mas­siv zu beein­flus­sen.“

Der Schweizer Theologe Hans Küng (Jg. 1928) gilt via Massenmedien vie­len pro­gres­si­ven Katholiken als auf­rech­ter Kämpfer für eine mensch­li­chere Kirche. In sei­nem 2011 erschie­ne­nen Buch „Ist die Kirche noch zu ret­ten?” prä­sen­tiert Küng sich als „Arzt und Heiler” sei­ner Kirche.

Mit die­sem Werk Küngs setzt sich Hubertus Mynarek (Jg. 1929) aus­ein­an­der und ver­tritt eine dezi­dierte Gegenposition, die auch im Titel sei­nes Buches klar zum Ausdruck gebracht wird. Mynarek war wie Küng Theologie-Professor (sogar Dekan einer Katholisch-Theologischen Fakultät). Im Gegensatz zu Küng wurde Mynarek zu einem wirk­li­chen Kirchenkritiker und trat fol­ge­rich­tig im Jahre 1972 aus der Kirche aus.

Warum auch ein (über­schätz­ter und sich selbst über­schät­zen­der) Hans Küng die Papst-Kirche nicht mehr ret­ten kann, das macht Mynarek an den „fünf Grundirrtümern Küngs” deut­lich.

Das bril­li­ant und fak­ten­rei­che Buch Mynareks kann man mit Fug und Recht als eine der bes­ten Kritiken der Positionen Küngs bezeich­nen. Ja, mehr noch, es ist eine fun­dierte Kritik am Zustand der katho­li­schen Kirche, wie sie von den Wojtyla- und Ratzinger-Päpsten geprägt wor­den ist.

Kenntnisreichtum und eine geschlif­fene Sprachmächtigkeit machen Mynareks Buch zu einem wah­ren Lesegenuß, wohl nicht nur für reli­gi­ons­freie Menschen. Seine Ironie und Zuspitzungen beru­hen auf einer fun­dier­ten Quellenkenntnis. Vor allem aber stellt er Fragen. Stellt er die rich­ti­gen Fragen. Und regt somit zum Nachdenken an.

Der Mensch und Theologe Hans Küng

Hubertus Mynarek beginnt seine Ausführungen mit einem Abschnitt „Über den Menschen und Theologen Hans Küng”. Hier geht er auf Küngs über­stei­ger­tes Sendungsbewußtsein sein und des­sen Bestreben, als Kirchenreformer des 20. und 21. Jahrhunderts, zu gel­ten. Mynarek macht für Küngs mes­sia­ni­schen Eiferertums auch des­sen Verärgerung aus, daß Ratzinger und nicht er, Küng, Papst gewor­den sei: „Es fällt hoch­ran­gi­gen Klerikern fast immer sehr schwer, wirk­lich demü­tig zu sein. Um so mehr bemü­hen sie sich, Demut nach außen hin zu zele­brie­ren, zu demons­trie­ren, zu mani­fes­tie­ren. Man kann dies als struk­tur­be­dingte Heuchelei in der Hierarchie (der hei­li­gen Herrschaft) der Kirche bezeich­nen.” (S. 10)

Auf eines der Küng’schen Axiome (die es auch die der Priesterkaste ins­ge­samt sind, geht Mynarek bereits in die­sem Abschnitt ein. „Im Stimmungshoch und Fluß sei­ner Gedankengänge scheint Küng bis­wei­len seine Widersprüche nicht mal zu bemer­ken. (…) ‚Wahre Menschlichkeit ist Voraussetzung wah­rer Religion und wahre Religion ist Vollendung wah­rer Menschlichkeit.‘ [so Küng; SRK] Wenn aber wahre Menschlichkeit die Voraussetzung wah­rer Religion ist, dann ist die letz­tere [so Mynarek; SRK] über­flüs­sig, da man zur wah­ren Menschlichkeit ohne sie gekom­men sein muß.” (S. 25)

Eine Kirche Jesu Christi?

Zu Küngs „Irrtum I. Küngs Kirche Jesu Christi” schreibt Mynarek: „Im Gegensatz zu bei­den Theologen [Küng und Ratzinger; SRK] ist zu sagen: Jesus, wenn er denn je gelebt hat, war Jude, blieb Jude und hat nie vor­ge­habt, eine christ­li­che Kirche zu grün­den.” (S. 31) Und im Übri­gen habe Jesus seine Apostel „mit dem strik­ten Verbot der Heidenmission aus­ge­sen­det: ‚Gehet nicht zu den Heiden und betre­tet keine Stadt der Samariter, son­dern geht zu den ver­lo­re­nen Schafen des Hauses Israel.‘ [Mt. 10,5f]“ (S. 41)

Des wei­te­ren geht Mynarek aus­führ­lich auf das „Neue Testament” ein und setzt sich mit des­sen, viel­fach bewußt ver­schwie­ge­nen, inhu­ma­nen bzw. erfun­de­nen Aussagen aus­ein­an­der.

Zum ers­ten Irrtum Küngs heißt es bei Mynarek zusam­men­fas­send und über­aus zuge­spitzt: „Jesus von Nazareth ist die am meis­ten über­schätzte Person der Weltgeschichte, die sich auf ihn beru­fende Kirche tanzt um das gol­dene Kalb. (…) Im Grunde sollte man die Christen ‚Paulinisten‘ nen­nen und Küng eben­falls.” (S. 70)

Reduzierung des Papsttums zu einem pas­to­ra­len Petrusdienst

Das nächste Kapitel ist über­schrie­ben mit „Irrtum II. Die Reduzierung des Papsttums zu einem pas­to­ra­len Petrusdienst – eine Küngsche Wunschprojektion”.

Warum Küng und auch andere Menschen sich nicht wirk­lich zu einer wirk­li­chen Religions- und Kirchenkritik haben durch­rin­gen kön­nen, das macht Mynarek an Küngs Sozialisation fest: „Es läßt einen immer wie­der stau­nen, wie schwer es doch selbst vie­len Intellektuellen fällt, aus dem Erziehungsschema, das ihnen in Kindheit und Jugend über­ge­stülpt wurde, aus­zu­bre­chen.” (S. 72)

Eben des­halb stre­ben ja die soge­nann­ten christ­li­chen Amtskirchen danach, mög­lichst viele Kindergärten und Grundschulen in ihre Hände zu bekom­men, eben des­halb kämp­fen sie um den Erhalt der Religionsunterricht genann­ten kon­fes­sio­nel­len Glaubensunterweisung an öffent­li­chen Schulen. Denn ohne ein sol­ches „Erziehungsschema” würde die Herrschaft von Priesterkasten über Menschen von selbst in sich zusam­men­fal­len:

„…daß die ganze Geschichte die­ser Institution seit den aller­ers­ten Anfängen eine Geschichte der Herrschsucht und des Über­le­gen­heits­wahns (…) ist, daß das Papsttum immer bestrebt war, seine Macht zu ver­meh­ren, nie dar­auf zu ver­zich­ten. (…) Und getreu sei­ner prio­ri­tä­ren Zielsetzung, Macht und Profit zu meh­ren, ist man im Vatikan ja nach die­sem ‚her­ben‘ Verlust [der Auflösung des Kirchenstaates im Zuge der ita­lie­ni­schen Wiedergeburt Mitte des 19. Jhd.; SRK] nicht untä­tig gewe­sen. Inzwischen gehört z.B. mehr als die Hälfte der Grundstücke Roms und sei­ner Umgebung wie­der dem Vatikan.” (S. 76)

Mynarek geht in die­sem Kapitel auch dar­auf ein, wie die „unab­hän­gi­gen” Massenmedien sich als über­aus kir­chen­freund­li­che Multiplikatoren gerie­ren: „Es gibt prak­tisch keine große Zeitschrift, kein auf­la­gen­star­kes Magazin mehr, in die die Kirche nicht ein paar ihr erge­bene Leute ein­ge­schleust hat.” (S. 80) Diese Feststellung gilt sogar noch mehr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo das sogar durch Gesetze gere­gelt ist.

Einen „pas­to­ra­len Petrusdienst” kann es auf­grund des Charakters des Papsttums (das im Neuen Testament wie auch die sons­tige kle­ri­kale Hierarchie gar nicht vor­kommt) als pure Machtinstitution lt. Mynarek gar nicht geben: „…das erweist Küngs Postulat eines pas­to­ra­len Petrusdienstes des Papstes end­gül­tig als totale Irrationalität. Wollte das Papsttum die­ses Postulat, diese Forderung erfül­len, denn müßte es anstatt der Leere in sei­nem Innern Substanz vor­wei­sen, die es nicht hat, in kei­ner Weise haben kann.” (S. 92)

Zweideutige Haltung zum Unfehlbarkeitsdogma

Zum „Irrtum III. Küngs zwei­deu­tige Haltung gegen­über dem Unfehlbarkeitsdogma” schreibt Mynarek gleich ein­gangs: „Jeder gerad­li­nig und kon­se­quent Denkende sieht klar: Soll die Kirche noch zu refor­mie­ren, in der Sprache Küngs: noch zu ret­ten sein, muß sie auch ihren aber­wit­zi­gen und arro­gan­ten Anspruch, in Sachen des Glaubens und der Moral unfehl­bar zu sein, auf­ge­ben.”(S. 93)

Das aber finde man bei Küng nicht, stellt Mynarek anhand vie­ler zwei­deu­ti­ger Aussagen des Kirchenreformers fest. Warum?

„Aus der eiser­nen Klammer von Kirchlichkeit und Anpassung an die Herren der Kirche ver­mö­gen sich nur die Wenigsten zu befreien. Auch Hans Küng ist das nicht gelun­gen, wie­wohl er gern als leben­der und leben­di­ger Beweis der These fun­gie­ren möchte, daß Freiheit, freier Gedanke, Humanität und keine Grenzen ken­nende Toleranz letzt­lich auch in sei­ner Kirche mög­lich seien oder sein wer­den. Gerade das Dogma der Unfehlbarkeit ist das gewal­tigste Hindernis (…) die die Kirche und ihre Theologen von den wirk­lich Freien und frei den­ken­den Menschen trennt. (…) Aber jenes System unter ihnen[unter den Diktaturen und anti­de­mo­kra­ti­schen Systemen; SRK] ist de iure das auto­ri­tärste, das ewige Geltung auf Erden für sich bean­sprucht, weil es behaup­tet, die unfehl­bare Wahrheit eines unfehl­ba­ren Gottes im Kern unfehl­bar durch die Jahrhunderte bis ans Ende der Welt zu tra­die­ren.” (S. 95)

Abschließend dazu heißt es bei Mynarek auf den Punkt gebracht: „Die Liaison von Staat und Kirche, von Thron und Altar ist somit grund­ge­legt und kann ihren Lauf durch die Jahrtausende star­ten bis hin zu unse­rem bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Kirchenstaat. Die Kirche kann sehr wohl demü­tig, will­fäh­rig und unter­wür­fig sein, wenn sie sich einem momen­tan Mächtigeren gegen­über­sieht, egal ob es nun Konstantin oder Hitler ist. Sie wird sie schon über­le­ben, frei­lich nicht im Sinne Küngs als eine die höchs­ten ethi­schen und huma­nen Ideale anstre­bende Institution, son­dern als eine mit allen Raffinessen und Tricks der Anpassung arbei­tende Organisation zur Vermehrung von ‚Einfluß‘, ‚Geld‘ und ‚Macht‘ unter dem Mäntelchen der Religion. Unfehlbar ist sie dabei tat­säch­lich, zwar nicht im Sinne des Besitzes der Wahrheit, wohl aber in ihrer nie vom Kurs abwei­chen­den stän­di­gen Ausrichtung auf diese ihre drei Höchstwerte, mit denen sie sich mil­lio­nen­fach kor­rum­piert hat.” (S. 113)

Gläubige Christen mögen dies als zu hart gesagt emp­fin­den. Doch wenn man statt „Kirche” den Begriff „Priesterkaste” ein­setzt, dann wird die­ses Fazit Mynareks ver­ständ­li­cher und auch kon­kre­ter.

Stellung der Frau in der Kirche

Auf „Irrtum IV. Küngs Stellung zur ‚Frau in der Kirche‘” soll hier nicht wei­ter ein­ge­gan­gen wer­den. Mynarek läßt zu die­sem Thema vor allem das „Neue Testament” selbst spre­chen. Ob das nun Küng oder Drewermann oder gar diverse Theologinnen der jüngs­ten Zeit, die Jesus als den ers­ten Feministen der Menschheit sehen wol­len und mit raf­fi­nier­ter Gehirnakrobatik Bibelzitate auf ihre Weise „inter­pre­tie­ren”, wahr­ha­ben wol­len.

Verhältnis von Religion und Kirche miß­ver­stan­den

Das aus Sicht des Rezensenten bedeut­samste Kapitel beschäf­tigt sich mit dem „Irrtum V. Küngs Mißverstehen des Verhältnisses von Religion und Kirche”.

Mynarek nennt das sogar einen „gra­vie­ren­den Fehler” und begrün­det dies wie folgt: „Küng begeht hier eine furcht­bare Herabsetzung der Religion, ins­be­son­dere jeder nicht­christ­li­chen Weltreligion, ja auch noch der christ­li­chen Religion selbst, die nicht ein­fach mit die­ser ‚uni­ver­sa­len‘ katho­li­schen Kirche gleich­ge­setzt wer­den kann. Kirche wird auf diese Weise erhöht, Religion ernied­rigt. Denn Kirche kann und darf mit Religion nicht gleich­ge­setzt wer­den. Kirche ist viel­mehr der Tod der Religion, die Perversion ech­ter Religiosität.” (S. 167)

Das ist nicht nur kühn, son­dern auch logisch for­mu­liert. Aber, Mynarek stellt hier eine Grundsatzfrage, ob denn Religion(en) gänz­lich ohne Organisation aus­kom­men kön­nen. Auf das Ur-Christentum bezo­gen schreibt er: „…das Leben Jesu stellt, soweit wir den Zeugnissen des Neuen Testaments Glauben schen­ken dür­fen, die Existenzform eines reli­giös tiefdurchdrungenen[Endzeit-; SRK] Wanderpredigers dar, der schon durch diese seine Lebensform jede Art von pries­ter­lich orga­ni­sier­ter Religion negiert, wes­we­gen sich die zu Unrecht auf ihn beru­fen, die ihn als Gründer einer Kirche mit haupt­amt­li­chen Vertretern, einer Priesterhierarchie usw. dekla­rie­ren und dekla­mie­ren.” (S. 168)

Mynarek meint aber auch, daß man es sich ein­fach würde, wenn man Kritik nur als Schwarz-Weiß-Malerei betreibe: „Die Alternative kann nicht lau­ten: Religion, reli­giöse Erfahrung ja – Organisation von Religion schlecht­hin nein; weil näher bese­hen keine reli­giöse Erfahrung und kein reli­giö­ser Aufbruch ganz ohne Organisation aus­kom­men. (…)” Es könne des­halb nur darum gehen, „jene Organisationsform zu fin­den, die nur eine die­nende Funktion hat, die nur Mittel zum Zweck ist, die also der Weite, Kreativität, Selbständigkeit und Freiheit des Erfahrens der Wirklichkeit der Welt und der Mitmenschen mög­lichst große Spielräume bereit­stellt. Die Freiheit des Denkens, Wollens, Fühlens, Glaubens und Handelns soll durch das not­wen­dige Minimum an Organisation nicht beschränkt, son­dern begüns­tigt wer­den.” (S. 168/169)

Warum aber kommt es immer wie­der, ins­be­son­dere in Religionen, die von Religionsstiftern begrün­det wor­den sind (und dies gilt für reli­giöse Neustiftungen der Jetztzeit nicht min­der), daß sich frü­her oder spä­ter Priesterkasten her­aus­bil­den? Zunächst in Form von Interpreten, die die Worte des jewei­li­gen Stiftern, so oder so aus­le­gen und für die Gläubigen ver­bind­lich erklä­ren. Mynarek nennt sol­che Interpreten „Religionsmacher”. Das para­doxe sei aber die­ser Umstand: Die Gläubigen „bezah­len auch noch die Religionsmacher dafür, daß diese sie in Abhängigkeit hal­ten”.(S. 171)

Das „Unwesen der Beherrschung, Ausbeutung und büro­kra­ti­schen Verwaltung von Menschen” beginne bereits in klei­nen Gruppen und Sekten. Doch erst Masse mache es mög­lich, daß sich die­ses Phänomen alles beherr­schen wol­len­der Priesterkasten her­aus­bil­den könne. Die römisch-katholische Kirche biete „das klas­si­sche Beispiel dafür, wie inne­rer Substanzverlust durch gestei­gerte Organisationslust im eige­nen Bereich und inten­si­vierte ‚mis­sio­na­ri­sche‘ Einflußnahme auf Staaten und Gesellschaften außer­halb ihrer Mauern kom­pen­siert wird.” (S. 171)

Mynarek weiß aber auch dies: „Doch hat sich in der gesam­ten Menschheitsgeschichte orga­ni­sierte Macht noch nie von selbst, ohne gewal­ti­gen Gegendruck von außen auf­ge­ge­ben.” (S. 172) Wobei bis heute staat­li­che Macht sehr viel leich­ter über­wun­den wer­den konnte, reli­giöse sehr viel schwe­rer und vor allem sehr viel sel­te­ner…

Und da die Papstkirche nicht im gerings­ten gewillt sei, auch nur ein Fünkchen ihrer Macht über Mensch, Gesellschaft und Staat abzu­ge­ben, sei sie auch nicht im Sinne Küngs the­ra­pier­bar.

Sie kann auch keine Freiheitsräume ein­räu­men, denn die Gewährung der­sel­ben würde zwei­er­lei vor­aus­set­zen:
„1. den in der Geschichte der Kirche als Amtskirche nie auf­ge­brach­ten Mut zur Trennung von eta­blier­ten, repres­si­ven welt­li­chen Mächten, mit denen sie sich nach dem Motto: ‚Macht sieht sich nach Macht‘ stets ver­bün­det und von denen sie sich immer erst dann getrennt hat, wenn deren Machtstatus ins Wanken kam; 
2. den in der Geschichte der Kirche als orga­ni­sier­ter Kirche eben­falls nie auf­ge­brach­ten Mut, die hier­ar­chi­schen Amtsstrukturen wenigs­tens so weit abzu­bauen, als sie der Befreiung des Menschen in der Kirche zwei­fels­frei im Wege stan­den.” (S. 172)

Hier ist Mynarek zu wider­spre­chen. Denn warum wurde das Christentum zur Staatskirche gemacht? Damit die da unten nie gegen die da oben auf­be­geh­ren. Und Kirche war stets Teil des Systems, war (und ist es nicht nur frü­her gewe­sen) mit dem Staat insti­tu­tio­nell ver­schmol­zen, war und ist Teil (als kol­lek­ti­ver Großeigentümer) des jewei­li­gen wirt­schaft­li­chen Verhältnisse, egal ob antike Sklaverei, mit­tel­al­ter­li­cher Feudalismus oder moder­ner Kapitalismus). Kirche konnte und kann des­halb gar nicht daran inter­es­siert sein, die Menschen in der Kirche zu befreien!

Uneingeschränkt zuzu­stim­men ist ihm jedoch hier: „Wer sich das eben dar­ge­legte Verhältnis zwi­schen Religion und Organisation, zwi­schen Religion und Machtstreben (das sich reli­giö­ser Motive bedient) klar­macht, der weiß, daß Hans Küng die Kirche nicht ret­ten kann, weil gerade ‚seine‘ Kirche die auf unse­rem Planeten höchste Organisations-, Komplikations- und Herrschaftsform des reli­giö­sen Faktors dar­stellt, sie somit am wei­tes­ten von jeg­li­cher Art und Weise einer Rettung ent­fernt ist, ja diese Rettung prak­tisch unmög­lich macht.” (S. 177)

Über die Notwendigkeit einer neuen, huma­nis­ti­schen Spiritualität

Mynarek läßt es aber die­ser Analyse von „Küngs Irrtümern” nicht bewen­den. In einem kur­zen Schlußkapitel schreibt er unter der Über­schrift „Tod der Kirche – Start einer neuen Spiritualität”:„Der Tod einer sol­chen Kirche schreit gera­dezu nach einen neuen Spiritualität und Ethik.” (S. 186)

Hier lis­tet er eine ganze Reihe von Aspekten und Attributen einer neuen Spiritualität auf, die aber keine kirch­li­che mehr sein werde. Diese neue Spiritualität und Ethik sei ein „uni­ver­sel­ler Humanismus”. Oberstes Axiom die­ses Humanismus sei es, „die durch die neu­zeit­li­chen kapi­ta­lis­ti­schen Ausbeutungsmethoden und -mecha­nis­men längst aus­ein­an­der­ge­drif­te­ten Größen Erde und Mensch, Natur und Mensch, Kosmos und Mensch als unent­behr­li­che, wesens­not­wen­dige , in, Bezug auf Lebensfähigkeit und Gesunderhaltung des Menschen gleich­be­rech­tigte und gleich­wer­tige Pole wie­der in ein Gleichgewicht zu brin­gen, das allein dem Globalorganismus gerecht wird. (…) So ist die­ser Humanismus die zumin­dest rah­men­mä­ßig glo­balste Antwort auf die Herausforderung durch die gegen­wär­tige Weltsituation, eine Antwort auf den kri­tisch­ten Zustand unse­res Planeten seit sei­ner Entstehung.” (S. 194)

Angesichts eines sol­chen „Schlußwortes” kann man nur noch dies sagen: Mynareks Analysen und Schlußfolgerungen zu „Küngs Irrtümern” stel­len zugleich auch eine Herausforderung an die huma­nis­ti­schen Organisationen (nicht nur) unse­res Landes dar.

Hubertus Mynarek: Warum auch Hans Küng die Kirche nicht ret­ten kann. Eine Analyse sei­ner Irrtümer. 240 S. Paperback. Tectum-Verlag Marburg 2012. 19,90 Euro. ISBN 978-3-8288-3020-2

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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