Wann wir streiten Seit an Seit

Wann wir streiten Seit an SeitWas für ein schöner Abend im Harz! "Ein Thema mit sehr vielen Facetten", sagte Katrin Budde zum Auftakt des SPD-Bürgergesprächs im Altwernigeröder Apparthotel, und die Vorsitzende des SPD-Landesverbandes meinte damit nicht den Zustand ihrer Partei, nicht einmal mehr ein halbes Jahr vor der nächsten Landtagswahl.
Aber gepasst hätte es. Denn die SPD, mit 17 Jahren Regierungsbeteiligung in Sachsen-Anhalt federführend verantwortlich für den herausragenden vorletzten Platz, den das westlichste aller östlichen Bundesländer in allen einschlägigen Bundesranglisten belegt, steckt im Strudel gleich eines halben Dutzends von Personal- und sonstigen Skandalen. Gerade erste ist Gesamtparteichef Sigmar Gabriel in die Landeshauptstadt Magdeburg gezogen, um zumindest mit einer kleinen Nebenwohnung näher bei der Zahnärztin seines Herzens zu sein. Da schüttelt es den Landesverband an allen Ecken durch als
Hier tagt ein Untersuchungsausschuss, um aufzuklären, ob SPD-Innenminister Holger Hövelmann und sein Staatssekretär Rüdiger Erben das Parlament über Gründe der Strafversetzung eines hohen Beamten belogen haben. Dort kündigt Erben, ehedem als ehrgeiziger Kronprinz gehandelt, vorsichtshalber an, sich aus der Landespolitik zurückziehen zu wollen, noch ehe der Ausschuss über ihn befunden hat. Ausgerechnet in dem Ortsverein, den er leitet und dem er künftig als Oberbürgermeister der Gemeinde Teuchern angehören will, meldet sich justament ein SPD-Genosse mit einem Augenzeugenbericht vom NPD-Parteitag zu Wort: Weder seien bei den Rechtsradikalen Kinder gefressen worden noch habe er staatsfeindliche Parolen vernommen. Rüdiger Erben, der Anfang des Jahres noch versucht hatte, jeden Vergleich von Diktaturen aller Art in seinem Bundesland verbieten zu lassen, war entsetzt. Musste aber plötzlich erklären, wieso seine Heimatgewerkschaft Bergbau Chemie in einer Postwurfsendung versucht hatte, Gewerkschaftsmitglieder für die Wahl des Genossen zum Bürgermeister zu begeistern - und das auch noch völlig vergebens.
Dabei hat die SPD keine guten Erfahrungen mit ihren Bürgermeistern gemacht. In Halle etwa regieren die Bürgermeisterinnen seit Jahr und Tag gegen die Landespartei. Und ziehen sie schon mal am Rande jeder Legalität an einem Strang wie bei Finanzierung und Genehmigung eines neuen Stadions für die hochverschuldete größte Stadt im Land, ja, dann kommt auch noch alles heraus: SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn, in den lange zurückliegenden großen Stunden des Klubs treuer Tribünengast, hats versprochen, die Verwaltung aber hat remonstriert. Darauf hat Noch-SPD-Innenstaatssekretär Rüdiger Erben angewiesen, dass Recht zu sein hat, was die Politik für recht erkennen will.
Eine Sorge weniger für Dagmar Szabados, die derzeit im Rathaus herrschende Sozialdemokratin. Seit ihr Innendezernent Bernd Wiegand seine Ambitionen auf ihr Erbe durch einen eintritt in die sieggewohnten Reihen der deutschen Sozialdemokratie unterstrichen hat, streitet Szabados nachhaltig mit einem Genossen. Wiegand, gut befreundet mit der Boulevardpresse, inszeniert sich als Marathonläufer und Hundekotinspektor, er gründet kurzlebige Vereine gegen Fußballgewalt und ist auch sonst immer da, wo die Musik spielt, meist begleitet von seiner sehenswerten persönlichen Referentin, die stets am selben Tag wie er Marathon läuft, in die SPD eintritt und gegen Fußballgewalt demonstriert.
Nein, die Stadt munkelte nicht mehr von Zufall und enger Zusammenarbeit. Und die Oberbürgermeisterin reagierte: Wiegand verlor erst verschiedene Aufgabengebiete, dann seine Referentin, dann erreichten ihn Briefe mit der Bitte, er solle sich in psychiatrische Behandlung begeben.
Eine Partei am Rande des Nervenzusammenbruchs, mit einem Kronprinzen, der allein von seinem Machtinstinkt angetrieben wird, einem Hoffnungsträger, der es nicht vermochte, die Wähler in seinem Heimatort zu überzeugen, ihn zum Bürgermeister zu machen, einer Führungsriege in der größten Stadt, die gegeneinander intrigiert, statt zu regieren. Es ist ein Hauen und Stechen auf allen Ebenen in der stolzen alten "Arbeiterpartei" (Franz Müntefering) und die anämische Parteichefin Katrin Budde thront darüber wie seinerzeit unter Ministerpräsident Reinhard Höppner im Wirtschaftsministerium. Sie guckt, als wüsste sie nicht, was gespielt wird. Sie tut, als sei es das Beste, gar nichts zu tun. So schon schwant den Menschen "draußen im Lande" (Sigmar Gabriel), dass hier eine Partei sich ein ganzes Land zur Beute genommen hat, nun aber streitet, wer welches Stückchen haben darf.
Wenigstens lassen die Medien die halbe Handvoll Führungsfiguren noch in Ruhe, die in immer neuen Kampfkonstellationen inmitten der Auseinandersetzungen auftauchen. Finanzminister Jens Bullerjahn, ein mitarbeiterverschlingendes Arbeitsmonster aus dem Mansfeldischen, outet sich bei entsprechendem Saisonverlauf gern als fan des Fußballs in Halle. Auf der Tribüne trifft er dann Dagmar Szabados, die früher für den Ortsrivalen VfL Halle schwärmte, aber rechtzeitig umgeschwenkt ist.
Mit Unterstützung von Rüdiger Erben, dem kleinwüchsigen Großtalent, der seinen Genossen und Minister Holger Hövelmann schon bei lebendigem Leib beerbt zu haben glaubte, bauen beide ein Stadion, wie das vom SPD-Genossen Lutz Trümper regierte Magdeburg längst eines hat. Ein eng am Rande der Legalität gebautes Luftschloss, das später verspricht, zu einem Millionengrab zu werden, in dem auch Bernd Wiegand immer wieder auftauchen wird, um nach den Rechten in der Fankurve zu sehen.
Die haben in Hans Püschel, dem SPD-Bürgermeister von Krauschwitz, ein neues Idol, seit der beim NPD-Parteitag "kein Wort" gehört hat, "das ich nicht auch unterschrieben hätte." Genauer erklären darf Püschel das demnächst seinem SPD-Parteigericht in Teuchern, wo Staatssekretär Rüdiger Erben den Sprung in ein e gesicherte Bürgermeisterzukunft verfehlte, weil die einstigen SPD-Wähler von Krauschwitz seiner Partei nach der röhrenden Kritik der Parteispitze am NPD-Besucher Püschel nicht einen Sitz mehr zugestehen wollten. Erben will nun einfach doch Staatssekretär bleiben und sich im Landtagswahlkampf reinhängen. Dann heißt es wieder wie im alten Parteilied "Wann wir streiten Seit an Seit" und sicher singen alle mit. "Ein Thema mit sehr vielen Facetten", würde Katrin Budde sagen.


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