Zufällig sah ich gestern die Wiederholung einer Talkshow, in der Populär-Philosoph Richard David Precht die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht über ihre Utopien zu einem Kommunismus 2.0 befragte. Das ZDF hatte das Ganze mit Wann kommt der Kommunismus? Über linke Utopien überschrieben. Wirklich beeindruckend an der Sendung war vor allem die Lichtinstallation aus alten Schreibtischlampen, die wie eine fette Spinne über den Köpfen der beiden hing.
Screenshot – Richard David Precht und Sahra Wagenknecht im ZDF
Alles in allem waren die knapp 45 Minuten schwer auszuhalten, denn Precht und Wagenknecht redeten fast die ganze Zeit gnadenlos aneinander vorbei. Precht kaprizierte sich vor allem darauf, Wagenknecht ein schlüssiges und möglichst positives Konzept für eine klassenlosen, selbstbestimmte und irgendwie gerechte Gesellschaft abzuringen. Die hatte Wagenknecht aber nicht zu bieten, sie fuhr sich immer wieder im Klein-klein des Machbaren fest – die Banken müssen besser reguliert werden, die Leute sollen für gute Arbeit auch gutes Geld verdienen und alles wäre irgendwie schon besser, wenn die Betriebe nicht irgendwelchen Privateigentümern, sondern den Arbeitern gehören würden.
Das war so ziemlich das Linkste, was man von ihr zu hören bekam, ansonsten klang das alles verdammt nach dem, was der Arbeitnehmerflügel der CDU auch verlangen könnte. So weit, so schlimm – und es wurde leider auch nicht besser, obwohl Precht sich sehr ins Zeug legte und die Segnungen der digitalen Revolution ganz großartig fand – intelligente Maschinen, die uns die Arbeit abnehmen, Autos, die einen durch die Gegend fahren, dieser ganze technische Fortschritt mit Internet und so sei doch total super!
Wagenknecht outete sich hier als Technologie-Skeptikerin, die ein großes Unbehagen angesichts der totalen Überwachung aller Bürger durch den Staat und vor allem durch private Unternehmen empfindet und auch hier wieder kein besseres Rezept anbieten kann als mehr Regulierung und Kontrolle.
Wobei sie da natürlich recht hat, die totale Überwachung ist nun wirklich keine schöne Sache. Mich enttäuschte allerdings, dass sie Prechts naive Steilvorlage nicht zu nutzen verstand – es ist halt nicht so, dass die ganzen intelligenten Computer, Roboter und Maschinen deshalb entwickelt werden, weil sie den Menschen freundlicherweise lästige Arbeit abnehmen sollen, damit diese mehr Zeit für schönere Beschäftigungen haben, wie Precht dreist behauptete, sondern weil sie viele Arbeiten besser und billiger erledigen als Menschen. Die dann als Arbeitskräfte überflüssig werden.
Genau das ist ja das Dilemma – dass die Menschen in unserer Gesellschaft darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um sich alles Lebensnotwendige zu verschaffen. Die ganzen tollen neuen Entwicklungen sind also keine Garantie für eine angenehmere Existenz, sondern viel mehr für die meisten Menschen existenzbedrohend – es sei denn, man würde sich darauf einigen, dass die Menschen eine andere Existenzgrundlage bekämen als Privatbesitz (das Modell für die Reichen) oder Arbeit (Ausbeutung aller anderen durch die Reichen, denen die Produktionsmittel nun einmal gehören).
Davon war aber auch bei Wagenknecht nicht viel zu hören – sie sprach zwar von einer sozialistischen Gesellschaft, in der die Menschen und ihre Freiheit im Mittelpunkt stehen und alle in Würde leben können. Wie man aber nun genau das erreichen kann, also dass nicht der Profit, sondern das Lebensglück sämtlicher Menschen im Mittelpunkt der ganzen Veranstaltung stehen – Fehlanzeige.
Mit einer strengeren Regulierung der Finanzmärkte und ein paar Euro mehr Mindestlohn wird das jedenfalls nicht erreicht. Und auch nicht mit einem angemessenen Grundeinkommen, von dem Precht immer wieder als Allheilmittel faselte. Dass ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Lösung ist, stellte Wagenknecht immerhin klar – wobei ich ihre Argumentation gegen das Grundeinkommen ja eher von einer CDU-Frau erwartet hätte und nicht von einer Linken: Man müsse doch als gut ausgebildeter, hoch qualifizierter Mensch auch die Möglichkeit haben, in seiner Profession gut zu verdienen. Hallo?!
Ich verstehe ja, dass man als promovierte Politik- äh, Wirtschaftswissenschaftlerin, die sich an ein ordentliches Abgeordnetengehalt gewöhnt hat, nicht mehr mit einem Bruchteil davon abgespeist werden will – aber auch Wagenknecht sollte doch klar sein, dass es solche Jobs künftig nur noch für eine kleine Elite gibt, egal wie super qualifiziert die ganzen Leute auf den Arbeitsmarkt kommen. Es gibt auch promovierte Akademiker, die Taxi fahren oder bei Amazon Pakete packen müssen – das sollte doch gerade eine Politikerin der Linkspartei wissen!
Okay, eigentlich weiß sie es auch, Wagenknecht weiß immerhin, dass die Leute heute im fantastischen Zeitalter von Facebook, Twitter und selbstfahrenden Autos nicht weniger, sondern mehr arbeiten müssen und sie erinnert auch an die ganzen jungen Menschen, die auf befristeten Arbeitsverträgen oder unbezahlten Praktikumsstellen fest sitzen und viel zu viel arbeiten müssen, um überhaupt leben zu können. Aber was will ihre Partei denn konkret für diese Leute tun? Den Mindestlohn von 8,50 auf 9,50 Euro pro Stunde anheben? Na vielen Dank auch, so wird das nichts mit einer besseren Gesellschaft.
Insofern hatte Precht mit seinem Vorwurf schon recht, dass Wagenknecht viel zu klein denke – wo bliebe denn der große Entwurf für eine bessere Gesellschaft, wo bliebe eine linke Utopie, mit der man Menschen überzeugen könne? Nun, da hat Wagenknecht wiederum recht, die gibt es nicht. Es gibt kein Rezept für eine gerechte Gesellschaft, in der es allen Menschen besser geht, weil sie ihre Arbeit jetzt von intelligenten Maschinen erledigen lassen können und ansonsten Bücher lesen, Theater spielen oder Youtube-Videos glotzen können.
Jedenfalls keins, das auf den etablierten Verhältnissen aufsetzt: Warum hat Wagenknecht nicht einfach mal erklärt, was denn das Elend am Kapitalismus letztlich ist: Eben dass sämtliche Produktion nur statt findet, weil damit Geld verdient wird und eben nicht, damit Menschen ein schönes Leben haben. Wagenknecht sagte immerhin, dass ihrer Ansicht nach die Innovationskraft des Kapitalismus total überschätzt werde, schließlich zeige die Tatsache, dass immer mehr billiger (und auch teurer) Schrott produziert werde, dass es den Unternehmen eben nicht um Effizienz und Innovation gehe, sondern darum, aus den gegebenen Umständen möglichst viel Profit zu schlagen und dieses kurzfristige Profitdenken neue und bessere Produktionsweisen ja gerade verhindere.
Das irrierte den Philosophen keineswegs – er kam auch nicht auf die Idee, sich mal zu fragen, wovon die Leute ihre Rechnung fürs schnelle Internet oder gar das nächste iPhone bezahlen sollen, wenn sie für ihren Lebensunterhalt nicht mal mehr einer bezahlten Arbeit nachgehen dürfen, weil Silikon Valley irgendwann die ganze Arbeit wegrationalisiert hat. Mich erstaunt überhaupt, warum ein professioneller Denker so wenig von der Welt kapiert, über die er angeblich doch die ganze Zeit philosophiert. Hat er tatsächlich so wenig mit der Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Lande zu tun, dass ihm gar nicht klar ist, was bezahlte Arbeit und deren Verschwinden für die Leute bedeutet? Die Menschen verlieren ihre Existenzgrundlage und sollen das auch noch toll finden?
Natürlich durfte ein Exkurs zu Jeremy Rifkin, der vor 20 Jahren schon das Verschwinden der Arbeit postuliert hatte (natürlich auch ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wovon die Menschen denn dann leben sollen, wenn nicht mehr von ihrem Job) nicht fehlen, ebenso wenig wie die Begeisterung über die Sharing-Economy, die ja nun etabliert werde, weil die Leute Sachen nicht mehr besitzen, sondern nur noch benutzen wollen – und das gemeinsam. Hier immerhin warf Wagenknecht ein, dass dieses ganze Teilen ja vor allem der Verschlechterung der Lebensverhältnisse geschuldet sei – die Leute können sich viele Sachen nicht mehr leisten und etablieren deshalb eine gemeinsame Nutzung: Man kann sich halt nicht mehr wie früher ein eigenes Auto leisten, sondern teilt sich eins mit anderen. Klar, dass Precht das trotzdem toll findet: Bald hat keiner mehr ein Auto, sondern es gibt nur noch Carsharing, Verkehrs- und Umweltprobleme lösen sich damit auch quasi von selbst.
Aber einmal weiter gedacht – wenn sich bald keiner mehr eine Wohnung leisten kann – gibt es dann wieder Schlafburschen wie vor 100 Jahren, die sich dann für ein geringes Entgelt ins noch warme Bett legen dürfen, wenn der eigentliche Bettbesitzer eine Nachtschicht in einem noch nicht wegrationalisierten Job schieben muss? Ist das die schöne neue Sharing-Welt? Doch wohl hoffentlich nicht. Auch wenn man auf diese Weise vielleicht auch ganz coole neue Menschen kennenlernen kann.
Aber noch, meint Precht könne ja alles nicht so schlimm sein, denn noch immer seien die meisten Leute hierzulande doch zufrieden. Eine Revolution sei nicht in Sicht. Auch das sieht Wagenknecht anders – dass die Menschen keine Revolution anzetteln, sei kein Zeichen von Zufriedenheit, sondern eher von Resignation. Viele würden einfach stillhalten und ihre Energie darauf verwenden, ihren Job zu behalten, um weiterhin ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Deswegen sei es an der Zeit, über eine neue Wirtschaftsordnung nachzudenken.
Das sehe ich auch so, allerdings bin ich anders als Wagenknecht nicht der Ansicht, dass es genüge, Großunternehmer zu entmachten, Akademikern eine Jobgarantie zu geben und Pflegeberufe in einer alternden Gesellschaft aufzuwerten. Wenn sie die Finanzmärkte regulieren und statt einer Deutschen Bank staatliche Sparkassen und Genossenschaftsbanken für den Mittelstand etablieren will – was ändert das denn letztlich an der hässlichen Situation, dass die Menschen weiterhin gezwungen sein werden, ihre Haut zu Markte zu tragen und jemanden finden zu müssen, der sie netterweise gegen Geld ausbeuten will?
Doch statt mal interessante Fragen in dieser Richtung zu stellen, stellte Precht fest, dass Wagenknecht ja offenbar einen starken Staat wolle, der eben all das reguliere. Und das, obwohl sie doch den Überwachungsstaat ausdrücklich kritisiere. Mannoman, was so ein Philosophenhirn doch für Widersprüche findet, wo eigentlich keine sind. Wie denn Marx da noch hineinpasse? Der habe doch keinen starken Staat, sondern das Absterben des Staates postuliert, weil der ja überflüssig würde, wenn alle Menschen hätten, was sie bräuchten.
Es gehe doch nicht um Marx, erklärte Wagenknecht, sondern um eine menschliche Gesellschaft. Und dazu brauche man nun mal staatliche Strukturen, um konkrete Aufgaben zu erfüllen. Nun ja. Also der Kommunismus kommt auf diese Weise nicht. Wenigstens so viel ist klar.