Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher

Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher

Ich habe das perfekte Buch gefunden.
Kennt ihr das, wenn man sich wünscht, ein Buch würde nicht aufhören? Eben das ist mir mit dem Labyrinth der Träumenden Bücher passiert. Als ich es zum ersten Mal in der Hand hielt, verspürte ich schon ein leises Bedauern, dass es wieder nur ein durch zwei Buchdeckel begrenztes Vergnügen sein würde. Schnell zu Ende (verflucht sei meine angeborene Lesegeschwindigkeit) und wieder würde es Monate, wenn nicht Jahre dauern bis ein neuer moersscher Erguss meine Lachmuskeln strapazieren würde.
Aber diesmal war es anders.
Schon nach zwei Dritteln des Buches ergriff mich eine leichte Unruhe.
Hildegunst von Mythenmetz, bereits der Held des ersten Buches (Die Stadt der Träumenden Bücher) war nach 200 Jahren (Lindwurmbonus!) wieder in besagte Stadt zurückgekehrt, die sich wie ein Phönix aus der Asche erhoben hatte. Schöner, spektakulärer und größer als jemals zuvor.
Wer das erste Buch kennt, erinnert sich daran, dass die ganze Stadt mitsamt ihren bibliophilen Einwohnern, Winkelgassen und Antiquariaten vom brennenden Schattenkönig in Flammen gesetzt wurde. Aufgrund eines Briefes, der den, zu einem alten, bequemen Sack mutierten Hildegunst aufrüttelte, betrat er zum ersten Mal wieder diesen Boden. Warum mich nun besagte Unruhe ergriff - das Buch lag bereits zu zwei spannenden Dritteln hinter mir und Mythenmetz war immer noch dabei, eifrig die Stadt wiederzuentdecken. Ein Spaß, muss ich sagen, und gern gelesen, weil Moers Gedankengebilde wohl das Mekka eines jeden Bücherfreundes sein müsste, doch der Titel des Buches ist ganz offensichtlich dem Labyrinth gewidmet und nicht der Bücherstadt.
Warum nun vom Labyrinth reden, wenn Mythenmetz sich nach mehreren hundert Seiten immer noch lieber mit den vielen Auswucherungen des Puppetismus, einer neuen Kunstform in Buchhaim, beschäftigt, als auch nur im entferntesten mit dem magischen Ort direkt unter seinen Füßen? Vielmehr weigert er sich vehement dagegen, auch nur einen Gedanken, geschweige denn eine geschuppte Zehe dort hineinzusetzen.
Selbst beim Mythenmeister Moers halte ich es schier unmöglich, auf den verbleibenden Seiten eine komplette Sinneswandlung bei einem gealterten Dinosaurier, pardon! Lindwurm, durchzukriegen, dazu noch ein rasantes, spannendes Katakombenabenteuer und das Ganze mit den berühmten mythenmetzschen Abschweifungen zu durchsetzen.
So langsam wurde klar, dass es nur zwei Enden möglich waren. Entweder hatte Moers in geistiger Umnachtung beschlossen, aus dem Buch lediglich eine Hommage an sein letztes Buch zu schreiben und dem Leser mit einem irreführenden Titel eine lange Nase zu drehen. Oder ich befand mich noch in der aufbrandenden Ouvertüre eines immer spannender werdenden Gesamtkunstwerkes.
Zum Glück wurden meine Hoffnungen nicht enttäuscht. Es handelt sich tatsächlich um eine mythenmetzsche Abschweifung par excellence. Deshalb werde ich hier zum ersten (und wahrscheinlich letzten) Mal, den allerletzten Satz eines Buches verraten:
Hier fängt die Geschichte an.
Ich freue mich! 

Serviert mit: Bienenbrot
Dazugehört: Gravid Greed

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