Die Tage zwischen den Jahren bzw. um den Jahreswechsel herum gelten seit jeher als eine besondere Zeit, die in vielen europäischen Traditionen eine Reihe von speziellen Bräuchen hervorgebracht hat. Eine davon ist der sogenannte Waldmännchentag bzw. Schlägelstag am 2. Januar, den man primär in der hessisch-thüringischen Grenzregion, im Hainich und im Eichsfeld begeht. Grund genug, diesen Anlass in die Sammlung der kuriosen Feiertage aus aller Welt aufzunehmen und seine Geschichte mit den folgenden Zeilen etwas näher zu beleuchten. Um was geht es dabei?
Wer hat den Tag des Waldmännchens ins Leben gerufen?
Im Falle solcher Traditionen ist es natürlich immer schwierig, einen konkreten Initiator bzw. das Gründungsjahr festzumachen.
Volkskundler und Kulturhistoriker gehen aber heute davon aus, dass die Ursprünge des Waldmännchentags in der heidnischen Tradition der Germanen zu verorten ist und schließlich im Volksaberglauben seine Fortführung fand (siehe dazu auch die Beiträge im Kalender der Grusel-Feiertage).
In diesem Kontext gilt der auch als Waldfest bzw. Waldfeier bekannte 2. Januar in den eingangs genannten Regionen als Unglückstag, an dem alle Arbeiten im Wald untersagt waren. Im Falle einer Missachtung dieses Verbots drohte eine Begegnung mit dem namensgebenden Kobold Waldmännchen, das sich in seiner Winterruhe gestört fühlen würde.
Und da solche Naturgeister nun mal ein durchaus unberechenbares bzw. nachtragendes Volk sein können, musste der Störenfried mit furchtbarer Rache durch den Waldschrat rechnen. Im schlimmsten Fall die Störung sogar mit dem Leben bezahlen.
Ab dem 15. Jahrhundert dehnt sich dieses Verbot auch auf die die Bergarbeiter der Region aus, denen am 2. Januar die Arbeit in den Mienen und Schächten am Hohen Meißner oder im Richelsdorfer Gebirge untersagt war. Bei diesen Berufsständen firmiert(e) der Anlass dann allerdings unter der Bezeichnung Schlägelstag.
Ob sich diese Erweiterung auf den Weg zu den Mienen durch Waldgebiet bezieht oder einen Berggeist als Quelle heranzieht, konnte ich im Zuge der Recherchen für den vorliegenden Beitrag leider (noch) nicht herausfinden.
Beide Anlässen aus der hessisch-thüringischen Grenzregion teilen sich demgegenüber allerdings, so der Kulturwissenschaftler Lutz Röhrich, das Motiv der periodischen Forderung eines Menschenlebens für einen begangenen Frevel. Das Waldmännchen tötet wenn überhaupt nur zum Schutz des Waldes bzw. der Störung seiner winterlichen Ruhe, der Berggeist um seine Edelmetalle vor dem Zugriff der Bergarbeiter zu schützen (siehe dazu auch die Liste weiterführender Links unten).
Waldschrat, Kobold oder Naturgeist - was ist ein Waldmännchen?
Nicht umsonst verweisen Brian Froud und Allan Lee in ihrem Standardwerk Fairies von 1978 auf den Umstand, dass das Temperament solcher Geisterwesen für uns Menschen nur schwer ergründbar ist und man sich vor ihren jeweils besonderen Kräften in Acht nehmen sollte (im Folgenden zitiert nach der deutschsprachigen Ausgabe: Elfen, Gobelins und Spukgestalten : ein Handbuch der anderen Welt. Weltbild Verlag 2003)
Diese Unberechenbarkeit sei auch der Grund, weshalb nahezu alle Sprachen diese Geister unter verniedlichenden Namen führen (ebd., S. 54). Der Diminutiv Waldmännchen ist angesichts der möglichen Konsequenzen ein nahezu perfektes Beispiel dafür. Mögliche Größenaspekte einmal außen vor gelassen. 😉
Die beiden Autoren klassifizieren in diesem Kontext dann auch die charakteristischen Unterschiede zwischen (1) Waldschraten und (2) Kobolden in der Klassifikation der Naturgeister wie folgt:
- Der Waldschrat trägt seinen Namen aufgrund seines natürlichen Lebensraums, dem Wald. Dabei ist dieser Naturgeist winzig klein und trägt in der Regel einen Einteiler aus Leder, der feucht glänzend wirkt und die braun-grünliche Farbe von Baumrinde hat. Auffällig an seiner Physis seien weiterhin die im Verhältnis zum kleinen Körperwuchs überdimensional großen und sehr dünnen Gliedmaßen. Ein breiter Mund mit spitzen Nase und langen, spitzen Ohren sind ebenfalls auffällige äußere Merkmale (ebd., S. 183). Froud und Allan machen hier allerdings keine Angaben zu den charakterlichen Eigenschaften dieser Waldgeister, weshalb davon auszugehen ist, dass sie weder eindeutig gut noch böse sind, am 2. Januar aber nicht in ihrer Ruhe gestört werden wollen.
- Ähnlich verhält es sich mit den Kobolden, die Fairies als deutsche Version der angelsächsischen Knockers aus den Zinnminen von Cornwall und Devon beschreibt. Klein im Wuchs, mit spitzen Ohren, einer langen Nase und ebenfalls überproportional großen Gliedmaßen, neigen sie im Gegensatz zu den Waldschraten eher dazu, die Bergleute mit bösen Streichen und allerlei Unfug zu verärgern. Ihre hässlichen, oftmals fratzenhaften Gesichter unterstreichen diese negative Konnotation in der Regel (ebd, S. 88ff.). Trotz allem können sie aber manchmal auch unerwartet hilfreich sein. Auf diese Naturgeister bezieht sich dann wahrscheinlich auch der zuvor genannte Schlägelstag.
Rauhnächte - Warum fallen das Waldfest und der Schlägelstag auf den 2. Januar?
Obwohl rückblickend nicht ganz klar ist, warum das Waldfest ausgerechnet auf den heutigen 2. Januar fällt, lässt sich relativ sicher ein inhaltlicher Bezug zur Überlieferung der sogenannten Rauhnächte herstellen. Sie verkörpern im Volksglauben den relativ fest definierten Zeitraum zwischen der Wintersonnenwende am 21. Dezember (in manchen Regionen auch erst ab dem 24. Dezember) und dem 6. Januar.
Dabei ergibt sich die Rede von der Zeit „Zwischen den Jahren" primär aus dem althergebrachten Unterschied zwischen Sonnen- und Mondkalender. Denn das wesentlich ältere Mondjahr ist ca. zwölf Tage kürzer als das Sonnenjahr und diese Differenz gilt in vielen Traditionen als eine Art Zwischenzeit, in der besondere Regeln gelten.
Etymologisch leitet sich der Begriff Rauhnacht, so berichtet der Kulturhistoriker Thomas Macho im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur, sehr wahrscheinlich aus den alten germanischen Sprachen ab und verweist mit den Bedeutungen rauh, pelzig oder fellartig auf Dämonen und Geisterwesen, die in dieser Zeit vor allem in den Nächten ihr Unwesen treiben sollen. Eine alternative Interpretation bezieht sich auf den Begriff der Rauchnächte, welcher als Referenz an den - nach wie vor praktizierten - Brauch des Ausräucherns zum Schutz vor bösen Geistern während dieser Zeitspanne verstanden wird (siehe dazu auch die Liste weiterführender Links unten).
Der Rekurs auf den Schutz vor Geistern und Dämonen zeigt dann - so auch im Falle des heutigen Waldmännchentages -, dass die Zeit zwischen den Jahren auch eine gewisse Durchlässigkeit der Grenzen zwischen der Welt der Menschen und der Geisterwelt darstellt. Nicht wenige Interpreten sehen hierin aber auch eine symbolische Auflehnung bzw. den Konflikt zwischen den tradierten Weltanschauungen der Naturreligionen und der Moderne.
Wie dem auch sei. Zum Schluss nochmals Froud und Allan, die uns den guten Ratschlag geben, dass entsprechendes Wissen um das Verhalten bzw. die Charaktereigenschaften von Naturgeistern die Chance deutlich erhöht, eine Begegnung mit ihnen unbeschadet zu überstehen.
Und wer von Euch nichts damit anfangen kann, für den/die bietet der 2. Januar mit dem ebenfalls heute begangenen Katzen-Neujahr (engl. Happy Mew Year for Cats Day), dem Tag des Buffets (engl. National Buffet Day), dem Tag der Windbeutel (engl. National Cream Puff Day) oder dem Science Fiction-Tag (engl. National Science Fiction Day) eine ganze Reihe kalendarischer Alternativen.
In diesem Sinne: Euch allen einen tollen Waldmännchentag.
P.S.: An dieser Stelle auch nochmals vielen lieben Dank an meine Eltern, die mir ihre Fotos von einem winterlichen Waldspaziergang für den vorliegenden Beitrag zur Verfügung gestellt haben. Keine Sorge, die Bilder sind nicht an einem 2. Januar entstanden. 😉