Die Secession am Karlsplatz lädt derzeit zu einer besonders Kunst-Sinn-igen Schau ein. „A Singular Form“, so der Titel, zeigt Arbeiten von insgesamt 10 Künstlerinnen und Künstlern und „einige andere Dinge“ wie es im Untertitel auf der Einladungskarte zu lesen ist.
Und tatsächlich finden sich sowohl im Erdgeschoss – vertreten durch drei Fotos – als auch im Vorraum des ersten Stocks zwei hölzerne Formen die es in sich haben. Sie werden als venezianische forcole bezeichnet, das sind mechanische Vorrichtungen, mit welchen Gondoliere die Steuerung ihrer Boote vornehmen. Was sich sehr technisch anhört ist jedoch ästhetisch so ansprechend, dass sich die Ausstellungsstücke wie Primadonnen unter den sonstigen gezeigten künstlerischen Arbeiten benehmen. Assoziationen zu Hans Arp oder noch stärker zu Arbeiten von Isamo Noguchi treten sofort auf, wenn man sie – einerseits fotografisch perfekt in Szene gesetzt und andererseits hinter einer Glaswand erhaben präsentiert – betrachtet. Duchamps Idee, dass die Kontextualisierung das Kunstwerk bestimmt, wird an diesem einzelnen Beispiel wieder einmal zum Leben erweckt.
Asier Mendizabal, Untitled (Forcola) 2, 3, 5, 2013, Secession 2014, Photo Oliver Ottenschlaeger
Nicht von ungefähr ist dieses Objekt in der Ausstellung vertreten. Der Kurator Pablo Lafuente, gebürtiger Spanier, der in London und Sao Paulo lebt, ist Mitherausgeber einer Buchreihe. „Exhibition Histories“ untersucht anhand von maßgeblichen Ausstellungen der letzten 50 Jahre die Entwicklung zeitgenössischer Kunst und befasst sich insbesondere mit Ausstellungsgeschichte an sich. Lafuentes Entscheidung, die forcole bei der Wiener Ausstellung zu zeigen, kann als Zitat von Duchamps „fountain“ gelesen werden. Dass dieses Werk in der allerersten Ausstellung, zu der es Duchamp unter falschem Namen einreichte, nicht gezeigt wurde, war mehr als nur eine historische Anekdote. Gilt doch die große Schau der Society of Indipendant Artists im New Yorker Grand Central Palace im April 1917 als eine jener maßgeblichen Ausstellungen, die das Werk vieler zukünftiger Künstler und Ausstellungsmacher beeinflusste.
Ein richtiges Gegengewicht zu diesem Kunstuniversum bildet im Hauptraum nur die Arbeit „Mastefisk and kolsvin“ von Peter Madsen. Der Däne, der als Schiffsbauer ausgebildet wurde, beschäftigt sich mit der Rekonstruktion prähistorischer Schiffe und Boote und deckt mit seinen Nachbauten alte technische Kulturerrungenschaften auf. Die Beziehung zu Asger Jorns Werk liegt in ihrer beider Geschichtsträchtigkeit auf der Hand, wenn auch erst im gedanklichen Nachgang. Vor Ort wirkt das Bootsskelett so mächtig, dass die Fotodokumentation dagegen marginal erscheint. Ganz in diesem Sinne tut sich auch Nicole Wermers „Manners“ schwer. Bestehend aus sieben Manners-Löffel die mit je 2 Löffelschaufeln ausgestattet sind, einem Protoyp, 17 Kaffeelöffeln und einer Tischdecke, fristet sie am Boden daneben eher ein stiefmütterliches Dasein wenngleich die Oszillation zwischen Kunst, Design und Alltagsgegenstand dennoch funktioniert. Ein ähnliches Los ereilte Bruno Munaris „scultura da viaggio“ jener Messingskulptur, die in ihren geringen Ausmaßen verloren am Boden schwer jene Aufmerksamkeit erhält, der sie in einer anderen Präsentationsform gewiss wäre. Und dennoch ist es paradox, dass diese beinahe lieblose Platzierung,
Bruno Munari, Scultura da viaggio, 1958_1997, Secession 2014, Photo Oliver Ottenschlaeger
auf das Werk des Italieners aufmerksam macht. 1998 starb der hochbetagte, in Österreich wenig bekannte Künstler, dessen Skulpturen sich durch ihre „Reisefähigkeit“ auszeichnen. Rasch zusammengefaltet und eingepackt, kommen jene, die aus Karton gefertigt sind, dem heute räumlich so unsteten Lebensentwürfen der Menschen entgegen. Seine Neudefinition von Skulptur – klein, handlich, praktisch – schrammt dennoch knapp am Kunsthandwerklichen vorbei, was ihr in der gezeigten Ausstellung jedoch eine sinnvolle Vermittlerrolle zukommen lässt. Metaphysisch gesehen darf Munari über die ausstellungsmarkanten Werke und Werkzusammenstellungen von Mendizabal fröhlich auf Augen- oder besser Bodenhöhe zu Wermers zarter Installation winken und ihr dabei mit seinem kleinen Werk seine Gesinnungsverwandtschaft kundtun.
So sehr die forcole in der Secession auch mit Ausstellungshistorie unterfüttert werden können sind sie doch von so ausgesuchter Schönheit, dass zwar das Wissen um ihren Ausstellungskontext hilfreich ist, aber nicht unbedingt notwendig. Wie überhaupt die subtilen Hinweise auf die Ausstellungsgeschichte an und für sich für die meisten Besucherinnen und Besucher zweitrangig sein dürften. Die Idee die der Schau zugrunde liegt, verschiedene Objekte untereinander in Beziehung zu setzen bzw. die Betrachtenden aufzufordern, diese Beziehungen und Verwandtschaften selbst zu entdecken,
A Singular Form, installation view with works by Ricardo Basbaum and Dustin Ericksen, Secession 2014, Photo Oliver Ottenschlaeger
Dustin Ericksens Arbeit „Satz von Kisten“ zieht sich durch alle Präsentationsräume vom ersten Stock bis in den Keller. Bunt bemalt ergeben sie, wie dem Erklärungstext zu entnehmen ist, eine Plattform, auf der „sogar Menschen sitzen oder stehen können“. Doch bis dieses Werk dieser Bestimmung zugeführt wird, verhält es sich konstruktivistisch enigmatisch und durch seine leicht lesbaren Smileys humorvoll zugleich. Diese ergeben sich aus den Anordnungen von Griff- und Belüftungslöchern und beherrschen automatisch das reflektive Geschehen. Dabei stehen „Height Bigots“
ist ebenfalls nicht neu. 1969 von Harald Szeemann in der Kunsthalle Bern vorgeführt, erregte sie damals mit der Ausstellung „Live in Your Head – When Attitudes Become Form“ die Gemüter und führte sogar zum Abgang des Ausstellungstitanen. Lässt man sich auf Lafuentes Steckenpferd – der Ausstellungsgeschichte – weiter ein, so kommt man logischerweise auch an Szeemanns documenta5 nicht vorbei in der ausgewiesene Kunst Nicht-Kunst gegenübergestellt wurde. Und dennoch hat die Secessionsausstellung nichts mit den derzeit so beliebten Reeinactments historischer Ausstellungen zu tun, die derzeit rund um den Globus fröhliche Urstände feiern.
Im großen Ausstellungssaal im Erdgeschoß wird der Prozess der Entstehung eines ganzen Kunstprojektes angerissen. Gezeigt wird eine ausgedehnte Bilderserie, die der Fotograf Gérard Franceschi für Asger Jorn fertigte. Dieser verfolgte die Idee, in einem Projekt mit dem Titel „10.000 Years of Nordic Folk Art“ einen Blick auf die Kunst des europäischen Nordens zu werfen und Verwandtschaften sichtbar zu machen, die sich abseits von gesellschaftlichen Bedingungen im Laufe von Jahrhunderten und Jahrtausenden abermals zeigten. Das Projekt wurde von Jorn zurückgelegt – in Wien ist jedoch die intensive Vorarbeit anhand von vielen Kontaktabzügen sichtbar in welchen einzelne Bilder durchgestrichen oder andere für eine Veröffentlichung markiert wurden. Subtil schieben sich zu den gezeigten Abzügen schließlich zwei Offsetdrucke von Asier Mendizabal ein, jenem Künstler, der in der Ausstellung quantitativ am stärksten vertreten ist. Wobei auf einem dieser Drucke lt. Angrenzender Legende der Philosoph Georg Simmel zu sehen ist, der einem jungen Fotografen gegenübersitzt. Simmel setzte sich unter anderen in einer seiner Vorlesungen auch mit den Formproblemen der Kunst auseinander und hat – diesen Umstand bedenkend – mitten in Asger Jorns und Franceschis Werk einen bequem Platz gefunden.
So rückwärtsgewandt sich das Ausstellungskonvolut von Jorn und Franceschi auch zeigt, so darf nicht übersehen werden, dass es neben den erwähnten Eingriffen von Mendizabal auf einem Ausstellunginventar präsentiert wird, welches ebenfalls von dem 1973 in Spanien geborenen Künstler stammt. Er schnitzte in die weiße Furnierschicht von Pressspanplatten unregelmäßige Muster, deren Ästhetik sich erst auf den zweiten Blick offenbart. Ganz im Gegensatz dazu steht seine Arbeit „syntagmatix and paradigmatic“, eine überdimensionale aus Holz geschnitzte Kette, die beinahe raumbeherrschend wirkt. Holzschnitte, zwei Betonskulpturen aber schließlich auch die Fotos einer forcola gehen in diesem Raum ebenso auf Mendizabals Kreativkonto. Fragen nach dem Urhebertum, nach der Bedeutung von Ausstellungsarchitektur, der Ästhetik von Alltagsgegenständen, aber auch dem Einbringen einer eigenen künstlerischen Handschrift stellen sich in Mendizabals Werken mannigfach.
in ihrem materiellen Understatement in krassem Gegensatz zu Ericksens Bildtapete, auf der es zuhauf Turnschuhe regnet. Angepasst an das Grafische Kabinett im ersten Stock enthüllt es seinen Witz nicht zuletzt auch in der Materialbeschreibung: Designed, made, used, shot, printed, pasted, seen and oh, 2014, paper, latex ink. Dies macht klar, dass sich der Künstler damit auch im Bereich der Verzahnung von bildender Kunst und Text tummelt und sei es auch noch so versteckt. Einmal entdeckt, führt Ericksens Sprachwitz zu lang anhaltender Erheiterung.
Hilary Lloyds Skulptur aus dem Jahr 2009, in der sie durch 2 Projektoren ein und dieselbe barocke Skulptur an die Wand projiziert, verweist auf die Problematik der Wahrnehmung genauso wie die Entkoppelung eines Kunstwerkes von seiner originären Umgebung.
Dennoch ist es hier das Fehlen einer eigenen Handschrift, die sich eher schmerzlich bemerkbar macht. Spannend wird die Arbeit erst in einer reflektierten Zusammenschau des gesamten Untergeschoßes. Dort zeigt sich nämlich auch das riesenhafte Schlaflager von Ricardo Basbaum sowie Martha Araujos „Habito habitante“, einem Stoffobjekt, das mit der Wand verbunden ist. Wenn es von einem Menschen getragen wird, wird schnell klar, dass die Nutzung extrem eingeschränkt ist – denn die Fixierung an der Wand lässt nicht zu, raumgreifend zu agieren. Der nackte, verdoppelte Oberkörper von Lloyds Projektion, das überdimensionale Bett von Basbaum und die Stoffskulptur von Araujo ergeben ein dichtes Assoziationsgeflecht, dem man schwer kunsttheoretische Überlegungen gegenübersetzen mag. Da funktioniert Basbaums Diagramm „Would you like to participate in an artistic experience?“ an der Wand wie eine Art kühle Dusche, welche die Betrachtenden mit strenger Logik wieder in die kühle Realität der Kunsttheorie zurückführt.
So zeigt sich „A Singular Form“ als eine Ausstellung, in der sich Kunsttheorie und naive Betrachtungsweise miteinander in einer komplexen Schnittmenge vermischen. Eine Schau, die dazu aufruft, Denkprozesse in Gang zu setzen, Künstlerinnen und Künstler kennenzulernen aber auch ganz einfach der Schaulust an ästhetischen Dingen nachzugeben, sei es ein kunstvolles Stoffobjekt, ein Turnschuh oder auch nur eine formvollendete forcola.
Weitere Möglichkeiten über Form und Kunst nachzudenken bietet der kleine bibliophile Ausstellungskatalog sowohl mit historischen als auch brandaktuellen Texten von Künstlern und Kunsttheoretikern. Schmerzlich dabei einzig die Abwesenheit weiblicher Beiträge.