Vielleicht sollten Sie sich mal den 1. Juli im Kalender vormerken. Es ist ein historisches Datum: Am 1.7.2011 hat die Bundesrepublik Deutschland nämlich kein verfassungskonformes Wahlrecht mehr.
Streng genommen ist unser Wahlrecht bereits sehr viel länger verfassungswidrig; offziell erklärt worden ist das vom Bundesverfassungsgericht bereits im Mai 2008. Und diskutiert werden die Umstände, die zu dieser Beurteilung führen, bereits seit der Wahl von 2005, konkret einer Nachwahl, die durch den Tod einer Kandidatin in Sachsen nötig geworden war.
Der Mechanismus ist dabei nicht neu, er wirkt sich in Zeiten des 5-Parteiensystems mit faktisch nur einer größeren Partei deutlicher aus:
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil Sitze zustehen. Jeder Kandidat, der mit der Erststimme in seinem Wahlkreis direkt gewählt ist, hat das Recht, auch in den Bundestag einzuziehen. Entscheidend für die Sitzverteilung insgesamt ist aber die Zweitstimme. (...) Wenn es aber mehr direkt gewählte Abgeordnete gibt, als der Partei nach den Zweitstimmen zustünden, entstehen die Überhangmandate.
Eine Partei kann so durch Stimmverluste zusätzliche Überhangsmandate gewinnen, oder dadurch, dass sie mehr Stimmen erhält, Sitze verlieren, wie es zum Beispiel 2005 in Sachsen bei der CDU in Sachsen der Fall war.
Gräßlich kompliziert, ich weiß - 60 Prozent der Bundesbürger durchschauen ja nicht mal wirklich den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme, wenn man entsprechenden Erhebungen glauben kann. Notieren Sie sich einfach, dass so Wahlergebnisse verzehrt werden können, und das kann unter Umständen zu einer Verzerrung von Mehrheiten führen. Und das man im Falle einer Nachwahl seine Partei unter Umständen nicht wählen darf, weil man ihr dadurch schaden kann, ist auch nicht im Sinne des Erfinders.
Immer noch fürchterlich kompliziert. Aber es ist ja auch nicht Ihr Job, sich damit auseinanderzusetzen, dafür haben Sie ja die Bande im Reichstag, vor allem Ihre wundervolle Traumkoalition. Und die wird es nicht schaffen, bei der Reform die geforderte Frist- wie gesagt zum 30.6.2011- einzuhalten. Gesetzt den garnicht mal mehr so unwahrscheinlichen Fall, dass besagte Traumkoalition hinwirft, könnten wir vorerst nicht mal Neuwahlen haben.
Und das ist so, weil eine der beiden Traumparteien die Irrungen des geltenden Wahlrechts garnicht so schlimm findet, da sie ihr nutzen; sie versucht also gerade, genau das, was unser Wahlrecht mit der Verfassung unvereinbar macht, in das reformierte Wahlrecht hinüberzuretten. Sie dürfen jetzt mal raten, ob das CDU oder FDP ist, so als kleinen Einbürgerungstest, man muß sich ja schließlich mit seiner Demokratie auskennen.
Aber natürlich hat auch schon die große Koalition diese Reform verschlampt; ich nehme an, dass ist der Grund, warum meine liebe SPD mit einem eigenen Entwurf bereitsteht und mit der Verfassungsklage droht (und nicht etwa, dass sie auf absehbare Zeit nicht das Problem haben wird, bei einer Wahl zuviele Direktmandate und damit Überhangmandate zu erzielen). Aber immerhin haben wir tatsächlich mal einen eigenen Entwurf und eine klare Position, auch das dürfen Sie in Ihren Kalender schreiben. Die SPD will im Endeffekt nur, dass die schlußendliche Zahl der Mandate dem Zweitstimmenanteil entspricht, was einfach klingt, aber dann Ausgleichsmandate erfordert, eine neue Zuschneidung von Wahlkreisen und viele andere Späße, die bis 2013 so garnicht mehr umzusetzen wären - aber immerhin entspräche das dann den Vorgaben aus Karlsruhe.
Blöderweise hat in der Opposition mal wieder jeder seinen eigenen Entwurf, der weitreichendste aus der Linkspartei, die so nebenbei das Wahlalter auf 16 absenken will und inhaftierten Straftätern das aktive Wahlrecht zugestehen will (Einbürgerungtest Teil 2: Was ist das aktive Wahlrecht?) Aber - auch im Hinblick auf die Frist - die haben wenigstens einen. Unsere fleissige Traumkoalition könnte man nicht mal mehr verfassungskonform abwählen im Moment, so gut arbeiten die. Wenn Sie sich schon sonst nichts merken aus diesem Eintrag, das sollten Sie sich merken. Denn tatsächlich könnte das dann in einem Verfassungsnotstand enden. Gutes Wort: Verfassungsnotstand, paniktauglich. Hätte ich von Anfang an nutzen sollen. Sollte auch die SPD viel nutzen, dann kriegt vielleicht auch mal wer was von dem Thema mit.
Zeit fürs Wetter.
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