Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit kann zur außerordentlichen Kündigung führen.

Eine außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber ist dann möglich, wenn ein außerordentlicher Kündigungsgrund vorliegt (§ 626 BGB). In der Regel ist dafür eine erhebliche Pflichtverletzung erforderlich.

LAG Berlin-Brandenburg

Das Landesarbeitsgericht Berlin – Brandenburg (Urteil vom 12.2.2015 – 21 Sa 1902/14) hatte über eine solche außerordentliche Kündigung zu entscheiden.

Auszug aus dem Sachverhalt nach dem LAG Berlin:

Am 4. Dezember 2013 war der Kläger zur Frühschicht ab 7:00 Uhr eingeteilt. Gegen 10:30 Uhr rief er bei der zuständigen Sachbearbeiterin Frau S. an und erklärte sinngemäß, er habe verschlafen, gehe jetzt zum Arzt und lasse sich für heute krankschreiben. Ob er außerdem äußerte, er schaffe es nicht mehr, zum Dienst zu erscheinen, ist unklar. Am 6. Dezember 2013 übergab der Kläger, der an diesem und dem vorangegangenen Tag dienstfrei hatte, dem Dienstzuteiler Herrn U. eine am 5. Dezember 2013 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 4. und 5. Dezember 2013. Auf dem ihm daraufhin vorgelegten Formular „Dienstversäumnis ganztägig“ gab der Kläger als Grund für sein Nichterscheinen am 4. Dezember 2013 an, er habe den Wecker nicht gehört.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2013, welches dem Kläger noch an demselben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos. Mit einem weiteren Schreiben vom 2. Januar 2014 kündigte sie das Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut mit sozialer Auslauffrist bis zum 30. September 2014.

Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage gegen die Kündigungen.

Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage des Arbeitnehmers ab und ging von einem außerordentlichen Kündigungsgrund zu Gunsten des Arbeitgebers aus.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin legte der Arbeitnehmer Berufung ein.

Das LAG Berlin-Brandenburg gab dem Kläger recht, stellte aber klar, dass grundsätzlich das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit ein außerordentlicher Kündigungsgrund sein kann und sogar der dringende Verdacht des Vortäuschens zu einer Verdachtskündigung berechtigen kann:

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der kündigenden Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob der kündigenden Vertragspartei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG vom 21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 15 m. w. N., AP Nr. 53 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer – wie vorliegend der Kläger – ist dabei auf die „fiktive“ Kündigungsfrist abzustellen (BAG vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – Rn. 12, AP Nr. 234 zu § 626 BGB).

a) Als wichtiger Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Täuscht ein Arbeitnehmer eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nur vor und lässt sich Entgeltfortzahlung gewähren, handelt es sich in der Regel um eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die eine außerordentliche Tatkündigung oder im Fall eines Verdachts auch eine außerordentliche Verdachtskündigung „an sich“ rechtfertigen kann (vgl. BAG vom 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – Rn. 32 zitiert nach juris, AP Nr. 112 zu § 626 BGB).

aa) Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG vom 25.10.2012 – 2 AZR 700/11 – Rn. 13 m. w. N., AP Nr. 51 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

bb) Der Verdacht muss auf – vom Arbeitgeber darzulegende und gegebenenfalls zu beweisende – Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, dass eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG vom 23.05.2013 – 2 AZR 102/12 – Rn. 21, AP Nr. 52 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; vom 25.10.2012 – 7 AZR 700/11 – Rn. 14, a. a. O.).

………….

a) Ein dringender Verdacht, dass der Kläger der Beklagten bewusst eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit am 4. Dezember 2013 vorgetäuscht hat, besteht nicht.

Zwar war der Kläger am 4. Dezember 2013 nicht zum Dienst erschienen und hatte der Beklagten für diesen Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt, gleichwohl er nicht krank war, sondern lediglich verschlafen hatte und meinte, nicht mehr zum Dienst erscheinen zu können, weil seine Frau nicht zu Hause war und er erst die Kinder versorgen musste. Auch hat er in der mündlichen Verhandlung am 12. Februar 2015 vor dem Landesarbeitsgericht unumwunden zugegeben, seinem behandelnden Arzt Kopfschmerzen nur vorgespiegelt zu haben, weil er andernfalls kein Attest erhalten hätte. Auf dem Formular „Dienstversäumnis ganztägig“, welches dem Kläger bei Abgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 6. Dezember 2013 vorgelegt worden war, hat er als Grund für sein Nichterscheinen zum Dienst am 4. Dezember 2013 aber nicht etwa angegeben, er sei krank gewesen. Vielmehr hat er dort vermerkt, er habe den Wecker nicht gehört. Es hätte daher Anlass bestanden, den Kläger auf diesen Widerspruch anzusprechen bzw. konkret nachzufragen, ob er verschlafen habe oder tatsächlich krank gewesen sei. Stattdessen ist die Beklagte im Anhörungsschreiben vom 11. Dezember 2013 davon ausgegangen, er habe eine Arbeitsunfähigkeit vortäuschen wollen, um Entgeltfortzahlung zu erschleichen. Wenn es dem Kläger tatsächlich darum gegangen wäre, der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeit vorzuspiegeln, hätte es jedoch sehr viel näher gelegen, auf dem Formular „Dienstversäumnis ganztägig“ anzugeben, er habe verschlafen und sich beim Aufwachen krank gefühlt, oder, er sei krank gewesen und habe deshalb verschlafen.

Letztendlich bekam der Arbeitnehmer hier recht, aber nur deshalb, da man nicht sicher nachweisen konnte, dass die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorgetäuscht war.

In der Praxis kann ein solcher Kündigungsgrund eine erhebliche Rolle spielen, denn „wie von Zauberhand“ werden häufig Arbeitnehmer nach dem Erhalt einer Kündigung krank und für den Arbeitgeber liegt meistens auf der Hand, dass hier die Krankschreibung vorgetätuscht ist. Übersehen darf man aber nicht, dass der Arbeitgeber das Vortäuschen nachweisen muss und dies ist in der Praxis sehr schwierig. Dagegen spricht meistens immer die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Diese muss „erschüttert“ werden, was schwierig ist.

RA A. Martin



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