Daniel Sebastian Schaub ist Soziologe und Fotograf. Sein Interesse gilt in besonderem Maße artifiziellen Räumen, Orten mit einer hohen Konzentration und Intensität. In seinen Arbeiten geht es nicht im eigentlichen Sinn um Architektur oder urbane Szenen — vielmehr widmet er sich abstrakten Konstruktionen wie Karussells oder den durchnummerierten Urnen-Nischen eines Kolumbariums.
Glücksmaschinen
Karussells sind exponierte und exzentrische Körper. Sie implizieren Sensation und Wagnis, Geschwindigkeit und Wirbel, Eingebundenheit und Vergnügen. Kurzum: Sie sind affektbehaftet und auf das Spektakel fixiert.
Architekturen mit prinzipiell gleicher Funktion treten in einer Vielzahl an Formen und Oberflächen auf. Individuelle Profile stehen zueinander in Konkurrenz und generieren Aufmerksamkeit.
Das fotografische Bild ermöglicht es, die Karussells an einem Ort zu versammeln und zueinander in Beziehung zu setzen.
Die Trias aus Kapital (Kasse), Zirkulation (Drehscheibe) und Inklusion (Kulisse) stiftet den notwendigen Raum für das Spiel der Simulation.
Die Übersetzung der Karussells zu fotografischen Bildern zeichnet sich durch Zurückhaltung und Nüchternheit aus. Die Simulationswelten der jeweiligen Karussells können hierdurch stärker in ihrer Wesenhaftigkeit hervortreten. Ich habe sie in gleichem Abstand frontal und sachlich mit hoher Tiefenschärfe fotografiert. Die Aufnahmen kamen bei diffusem Licht zustande. Das Objekt ist immer angeschnitten. Folglich geht die Einbettung in seine Umgebung verloren – es wird auf natürliche Weise vom übrigen Ort isoliert. Der Zugriff erfolgte früh am Morgen, wenn die Maschinen stillstanden und das Publikum abwesend war. Über einen Zeitraum von zwei Jahren war ich hierfür auf großen deutschen Volksfesten unterwegs.
46 +16 + 34 + 43 + 15 + 10 + 47 + 35 + 20 + 69 + 88 + 51 + 49 +
Die Serie ist in den Kolumbarien im Krematorium Berlin-Wedding entstanden. Nach der Stilllegung und dem Verkauf des Krematoriums wurde die Grabanlage geschlossen und ausgeräumt.
Der Arbeitstitel ergibt sich aus den Zahlen der Nischen. Das Additionsverfahren ist ein fortlaufender Vorgang. Die Urnen stellen individuell skulpturale Formationen dar, die sich innerhalb einer streng seriellen Nischenanordnung befinden. Die Zahlen in den Nischen verweisen auf die Zugehörigkeit eines höheren Ordnungssystems.
In der Bildmitte steht das eigentliche Objekt, das eine Hülle ohne Verweis bleibt, da wir stets die Rückseite der Urnen sehen. So sind Bilder entstanden, deren Zentrum neutral und leer ist.
Artist Statement
Das fotografische Bild ist eine Kooperation aus einem Autor, einem optischen System und einer Situation. Seine Struktur folgt dem dialogischen Prinzip. Dialoge stiften Raum. Sie sind konstitutiv, um eine Begegnung mit dem ganz Anderen zu ermöglichen.
Das Medium Fotografie ist unserem gewohnten Sehen sehr nahe. Ihre Präzision und Konkretheit führt zu permanenten Verwechslungen zwischen realen Orten und fotografischen Bildern. Fotografie ist Abstraktion und Konzentration – sie bildet ein Extrakt mit eigenen Ordnungsprinzipien. Folglich entstehen neue Objekte, unabhängig vom eigentlichen Ort. Das fotografische Resultat ist die Sichtbarwerdung und Vergegenständlichung der Beziehung von Autor und Ort.
Tod, Kapital, Transparenz und Simulation spiegeln sich in all meinen Arbeiten. Nur die digitale Fotografie löst in mir den Impuls aus, zu fotografieren. Es ist eine Form der Fotografie, die prospektive Bilder hervorzubringen vermag. Die Frage nach dem realen Referenten einer Fotografie ist zweitrangig. Die Frage danach ist in Anbetracht des Digitalen geradezu belanglos geworden. Das digitale Medium strebt nach Optimierung und Idealisierung – es ist dem Geistigen wesentlich näher als jedes Medium zuvor, das macht seine Faszination und das Begehren nach ihm aus.
Biografie
Daniel Sebastian Schaub wurde 1981 in Kehl geboren. Von 2003 bis 2009 studierte der Soziologie an der Universität Potsdam und schloss sein Studium als Magister Artium ab. 2010 bis 2014 schloss sich ein Studium der Fotografie an der Neuen Schule für Fotografie in Berlin an.