"Vor ihren Augen" von Mary Louise Kelly...

... ist ein Thriller der besonderen Art, denn in diesem Plot passiert die eigentliche Tat nicht am Anfang, viel eher so, dass die eigentliche Tat über 30 Jahre zurückliegt.

Der Inhalt

Nur durch Zufall erfährt Caroline Cashion von der Patronenkugel, die in ihrem Nacken steckt. An einen Schuss erinnern kann sie sich jedoch nicht. Wie also ist die Kugel dorthin gekommen wo sie nun steckt? Wenig später im Haus ihrer Eltern, erfährt sie, dass es sich eigentlich gar nicht um ihre Eltern handelt, sondern vielmehr zwei Menschen, die sie adoptiert haben. Von nun an galt Caroline genauso viel wie ihre leiblichen Kinder, die Caroline stets als ihre Brüder erlebte. Kurz um bis jetzt war sie immer ein Teil ihrer Familie, doch als ihre Adoptiveltern ihr die Geschichte ihrer leiblichen Eltern erzählen und, dass diese durch einen Angriff in ihrem eigenen Haus getötet wurden, begibt sie sich auf Spurensuche auf der Suche nach ihrer eigenen Herkunft. So erfährt sie auch, dass der Täter bis heute nicht gefasst wurde, dass die Kugel in ihrem Nacken jedoch ein mögliches Belastungsindiz wäre.
Wird es nach all den Jahren noch gelingen, den Täter zu fassen?

Der Stil des Buches

Von einem Thriller erwarte ich üblicherweise, dass am Anfang ein Fall steht. Irgendetwas ist geschehen und muss nun aufgeklärt werden. Im Fall von „Vor ihren Augen“ wird der Platz jedoch anders aufgebaut. Zunächst ist da die Kugel im Nacken einer Frau, die sich jedoch an kein Ereignis erinnern kann, dass mit dieser Kugel in Verbindung steht und nun zu spekulieren beginnt. Im Gespräch mit ihren Eltern gelangt sie an erste Informationen und folgt schließlich den Spuren auf der Suche nach ihrer Identität, ihrer Herkunft und schließlich den Spuren auf der Suche nach dem Mörder ihrer Eltern. Mary Louise Kelly erzählt die Geschichte geradeheraus, mit wenigen Schleifen und gleichzeitig so direkt, dass man vom Sog des Buches erfasst wird. Ihre Sprache ist dabei konkret detailliert und wortgewaltig. Perspektivisch gesehen ist der Plot einfach, da es keinerlei Änderungen in der Perspektive gibt und doch ist die Geschichte perspektivisch komplex, denn Rückblicke erfolgen durch Zeitungsschnipsel, Erzählungen Dritter und vielem mehr. Die Geschichte, die komplex und vielfältig ist, profitiert von einem geradlinigen Stil ganz besonders, denn trotz aller Wendungen bleibt die Erzählung nachvollziehbar und entfaltet sich erst nach und nach vor den Augen des Lesers.

„Vor ihren Augen“: Der Plot

Durch die besondere Erzählform und die Komplexität der Zusammenhänge ergeben sich die Ereignisse den Leser das nach und nach, was dieses Buch unsagbar spannend macht, dennoch ist es für mich eher etwas, dass ich hauptsächlich auf psychologischer Ebene erlebe. Natürlich ist es schwer vorstellbar, wenn ich mich in die Rolle der Protagonistin hinein fühle und mir vorstelle, dass im Alter von einem knappen Jahr auf mich geschossen wurde. Aber macht diese Grundannahmen aus der Zählung gleich ein Thriller? Über diese Frage muss sich eine Weile nachdenken, denn die Erzählform, die sich im Stil des Buches als gradlinig erweist ist eigentlich eher untypisch für das, was ich mir als klassischen Thriller vorstelle. Natürlich gibt es die Tat und es gibt auch ein Opfer, doch weder steht die Ermittlungsarbeit im Vordergrund noch der Täter. Viel mehr als das ist seine Schnitzeljagd, wo viele verschiedene Purzelstücke das große und ganze Bild ergeben. Ich bin aus diesem Grunde nicht ganz sicher, ob die Genre-Identifikation des Thrillers so korrekt ist. Ist es nicht eher ein Psychodrama, ein Roman?

„Vor ihren Augen“ als Roman

Betrachtet man „Vor ihren Augen“ von Mary Louise Kelly als Roman, so erklärt sich der hohe Spannungsgehalt nicht, aber die vielen und umfangreichen Innenansichten, die wir als Leser mit der Figur durchleben lassen sich so erklären. Dennoch passt auch das Genre Roman nicht ganz zu diesem Buch. Ist es ein spannungsgeladener Roman? Nun, das wäre wohl das erste, was ich mit diesem Buch verbinden würde. Denn bei einem echten Thriller stünde ja auch der Täter irgendwo im Mittelpunkt.

„Vor ihren Augen“ als Psychogramm

Wie fühlt es sich an zu wissen, dass die eigenen Eltern vor den eigenen Augen erschossen wurden? Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass die eigenen Eltern gestorben sind, um dich zu retten, dass sie gestorben sind, damit du leben darfst? Von den Innenansichten her ist dieses Buch sehr detailliert, sehr genau und absolut atmosphärisch, weswegen man diesen Roman, der auch ein Thriller sein könnte auch als Psychogramm einordnen kann. Faktisch ist es jedoch so, dass man jedes Genre, welches ich hier genannt habe, irgendwo im Buch wieder findet und doch lässt es sich nicht einwandfrei zuordnen. Diese Geschichte ist gleichermaßen Thriller wie Roman wie Psychogramm. Was immer man glaubt erkannt zu haben, wird im nächsten Moment von einem neuen Eindruck überholt. Nach und nach entfaltet sich zwar ein vollständiges Bild, doch die Komplexität der nicht möglichen Zuordnung bleibt bestehen.

„Vor ihren Augen“: die Autorin

Wer also ist die Autorin, die ein derart ungewöhnlichen thrillerartigen Roman mit psychoanalytischen Aspekten kombiniert geschrieben hat? Ich möchte euch an dieser Stelle auch etwas über die Autorin zeigen. Zwar handelt es sich auch hierbei nur um die Autorenbiografie, jedoch halte ich es für sinnvoll zu wissen, wer hinter diesem Buch steht. "Mary Louise Kelly wurde in Georgia geboren und hat in Harvard und Cambridge studiert. Als Reporterin für das Hörfunknetzwerk NPR und für die BBC hat sie die ganze Welt bereist. Zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt sie abwechselnd in Washington, D.C. und Florenz." (Quelle: Amazon.de) meiner Meinung nach verrät diese Biografie nicht allzu viel über die Autorin. Was wir wissen ist, dass sie als Journalistin gearbeitet hat, vielseitig ist und an Eliteunis studiert hat. Wir wissen auch dass sie verheiratet ist und zwei Kinder hat und wir wissen, dass sie zwei Wohnsitze hat. Leider wissen wir nicht genau, was sie studiert hat und wofür sie sich interessiert. Alles in allem ist also eine Biografie, die er neue Rätsel aufgibt, anstatt Fragen zu beantworten.

Fazit

Dieses Buch war eines der ungewöhnlichsten Bücher, die ich im letzten Jahr gelesen habe. Es war einerseits sehr spannend, aber nicht übertrieben brutal. Es ist ein psychologischer Roman mit viel Tiefe, ohne die eigentliche Aktivität zu reduzieren. So bleibt der Spannungsgehalt oben und zieht den Leser durch die Abgründe der menschlichen Seele und über die Fähigkeit des Vergessens von der ersten zur letzten Seite. Es ist ein Buch, das man nicht aus der Hand legen möchte und, das der Leser am Ende nicht vergessen kann.

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