von Trottelburg galore – like a loose cannon (Teil 3)

Ich stampfte wütend in die Einleitung, nachdem ich Lisa bedeutet hatte, sie möge doch bitte im OP bleiben, und sowohl Elard als auch die Patientin überwachen. Beim Verlassen des OPs bemerkte ich ein leichtes Pochen in meiner linken Schläfe. Migräne, ausgerechnet jetzt. Ich schob das Pochen so gut es ging zur Seite und griff zum Telefon. Nach ein paar Telefonaten hatte ich herausgefunden, wo der Ungut heute sein Unwesen trieb. Er war im neurochirurgischen OP. Er beantwortete das Telefon selbst. Bestimmt hing er mal wieder im Netz, anstatt sich um seinen Patienten zu kümmern, weshalb er auch so schnell am Telefon sein konnte.
“Hier ist Anna.” ich kam ohne Umschweife zur Sache. “Wieso?”
Ein hämisches Gekicher am anderen Ende der Leitung verriet mir, dass Ungut schon sehr genau wusste, wovon ich sprach.
“Ihr habt Euch also kennengelernt.” bemerkte er trocken.
“Tatsächlich, das  haben wir. Dank deiner freundlichen Intervention.”
Ich konnte sein blödes Grinsen durch das Telefon sehen.
“Nun, ich bin mir sicher, er wird dein Leben ungemein bereichern.”
“Wieso ich? Warum kümmerst du dich nicht selbst um deinen geliebten Neffen?”
Das Gekicher erstarb.
“Anna, es gibt nur wenige Menschen, die ich mehr hasse als dich. Elard gehört eindeutig dazu. Warum das so ist, kannst du dir mittlerweile ja sicherlich schon denken. Aber keine Sorge, er wird niemals eine Approbation bekommen, weil er jetzt schon zwei Verfahren anhängig hat, und in wenigstens einer Sache wird er auch verurteilt werden. Zumindest das wird der Menschheit vorerst erspart bleiben.”
“Du Arsch.” meine gute Erziehung war mir schlagartig abhanden gekommen. Das Gekicher jedoch war wieder da.
“Du wirst das schon meistern. Oder auch nicht. Denk immer an die Seychellen.” Woher wusste er das jetzt schon wieder?
“Wie kriegt man ihn unter Kontrolle?” fragte ich. Jeder Mensch hat Schwachpunkte. Meine sind Reisen in ferne Länder.
“Gar nicht, Anna. Wie sagt man doch im Englischen so schön: He’s like a loose cannon. Ah— das trifft es ganz genau…” Damit legte der Ungut einfach auf. Ich schrie noch ein paar unanständige Vokabeln in die tote Leitung. In meinem Kopf sang einer ganzer Chor im Duett mit einem Presslufthammer. So würde ich den Tag nicht durchstehen.
Im OP hatte sich Lisa so positioniert, dass Elard keinen Zugang zu lebenswichtigen Geräten hatte. Die Patientin schien stabil. Die Herren Chirurgen hatten Schwierigkeiten, der Gallenblase habhaft zu werden. Ohne Elard eines Blickes zu würdigen stellte ich die Beatmung anders ein. Das wäre jetzt etwas, was ich normalerweise mit einem Studenten besprechen würde, aber ich brachte es nicht über mich, dies auch nur zu kommentieren. Dann suchte ich mir ein paar Medikamente zusammen, die die Patientin im Verlauf noch brauchen würde und wechselte ein paar Worte mit den sichtlich genervten Chirurgen. Schließlich drehte ich mich wieder zu Elard: “Dein Onkel hasst dich.” Er zeigte auf diesen Satz keine sichtbare Reaktion. Nach einer langen Pause sagte er: “Ich weiß. Er nimmt es mir noch immer über, dass ich ihm seine letzte Beziehung zerstört habe.” Bei diesen Worten betrachtete er noch immer regungslos seine Fingernägel.
“Wieso würdest du so etwas tun?” fragte ich ihn ehrlich entsetzt. Er grinste jetzt breit.
“Weil es so einfach ist.”
Ich griff mir mit einer Hand an die Schläfe. Der Chor hatte sich jetzt in großes Orchester unmusikalischer Blechbläser verwandelt. Lisa sah meine Geste. “So schlimm?” Lisa kannte meine Migräneanfälle nun schon zu Genüge. “Brauchst du was?” fragte sie mitfühlend.
Seht Ihr, das Problem im OP ist: es gibt keine Tabletten. Denn die Patienten können sie ja nicht schlucken. Man muss entweder auf Suppositorien ausweichen (nein, danke) oder sich was spritzen lasen. Und ich als passionierter basket case tue mich da sowieso eher schwer. Allerdings hilft Aspirin als i.v.-Medikament ganz wunderbar gegen Migräne. Ich überlegte. “Ja, ist vielleicht besser. Aspisol, MCP und Fenistil bitte, aber nur eine halbe Fenistil, sonst werde ich so müde.” Den Cocktail kannte Lisa schon zu genüge, Aspisol ist das i.v.-Präparat von Aspirin, MCP gegen Übelkeit und Fenistil als Antihistaminikum, weil ich sonst vom Aspirin manchmal bei ungünstiger Mondstellung oder so einen Ausschlag bekomme. Lisa nickte verständnisvoll und setzte mich auf einen Hocker. Mit drei schnellen Griffen hatte sie mir eine Nadel gelegt und provisorisch fixiert. Dann suchte sie sich die Medikamente zusammen. “Mist, kein Fenistil hier. Habe ich vergessen aufzufüllen…” murmelte sie. Sie drückte Elard das Aspisol und das MCP, welches sie beides schon in Spritzen gefüllt hatte, in die Hand. “Hier, spritz ihr das mal, aber schön langsam. Ich komme gleich wieder, muss nur kurz ins Lager.” Ich wollte noch protestieren, aber da war Lisa auch schon weg. Egal, dachte ich, da kann selbst er nicht viel falsch machen.
“Elard, ich sitze hier.” sagte ich genervt, als Elard in den Medikamenten wühlte.
“Will nur gucken, ob wirklich kein Fenistil da ist.” Ich schüttelte den Kopf. Dann wandte ich mich wieder der Patientin zu, kontrollierte alle Parameter, optimierte erneut die Beatmung und schrieb das Protokoll. Elard stand plötzlich neben mir und riss mir recht unsanft den linken Arm mit dem Zugang nach hinten.
“Aua!” protestierte ich.
“Stell dich nicht so an.” sagte er barsch. Dann nahm er die Spritzen und injizierte mir – viel zu schnell – die Medikamente. Ich drehte mich wieder dem Protokoll zu. Plötzlich hielt ich inne. Mir war etwas aufgefallen. Er hatte mir DREI Medikamente gespritzt, nicht zwei.
“Was war das?” fragte ich ihn entgeistert.
“Was war was?” fragte er lamfromm.
“Das dritte Medikament!”  schrie ich ihn an. Panik stieg langsam in mir hoch. Was hatte der Psychopath mir angetan? Dann spürte ich, was das dritte Medikament war. Ich merkte ein unwillkürliches Zucken aller Extremitäten. Sehr schmerzhaft zog sich jede einzelne Faser meines Körpers zusammen. Ich fiel vom Stuhl. Nach einer gefühlten Ewigkeit hörten die Zuckungen auf. Eine Schwere machte sich breit. Ich konnte meine Augen nicht öffnen. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht atmen. Elard hatte mir eine volle Ampulle Succinylcholin gespritzt. Ein depolarisierendes Muskelrelaxans. Es löst erst einen Reiz am Rezeptor, den es besetzt, aus, daher die Zuckungen. Dann ist der Rezeptor blockiert, und ein Reiz kann nicht mehr an die Muskulatur weitergegeben werden. Daher die Lähmung. Sie dauert bei diesem Medimanet etwa 5-10 Minuten an. Eine verdammt lange Zeit, wenn man nicht Luft holen kann. Das Bewusstsein bleibt dabei leider Gottes erhalten. Ich hörte also Elard laut lachen. “Ich wollte mal wieder Maskenbeatmung üben!” rief er hämisch. Instrumente fielen zu Boden. Ich hörte die Chirurgen sich von der Patientin entfernen. Dann hörte ich einen lauten Schrei, den ich Lisa zuordnete, die gerade wieder in den OP zurückkam. “Beatmen, beatmen!” schrie jemand. Elard lachte noch immer. Ich hörte Lisa auf dem Gang laut um Hilfe schreien. Jemand, wahrscheinlich einer der beiden Chirurgen packte meinen leblosen Körper und zerrte ihn weg, ich vermutete, in die Einleitung. Das Lachen wurde leiser. Langsam wurde das mit der fehlenden Atmung unangenehm. Irgendwo hörte ich jemanden: “Succinylcholin” sagen. Dann folgten eilige Schritte in der Einleitung. Das Beatmungsgerät wurde eingeschaltet, ich hörte, wie jemand Plastik aufriss, dann wurde mir eine Maske unsanft ins Gesicht gedrückt. Fühlen kann man nämlich auch noch alles. Obwohl, mir schwanden dank der nun einsetzenden Hypoxie so langsam die Sinne. Ich hörte nur, wie eine Stimme sagte: “Mehr Druck auf das APL-Ventil, Mann, so kann ich nicht beatmen.” Das konnte ich bestätigen, bei mir kam nämlich keine Luft an. Aber diese Stimme, diese Stimme… dann hatte ich die Stimme erkannt.

Hätte mich nicht jemand anderes aus dieser misslichen Situation befreien können?


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