Von Polizisten und schlafenden Schiffen

Aufmerksame Leser dieses Forums wissen ja mittlerweile, wie sehr ich Cairo, dem ganzen ägyptischen Land und den Menschen dort zugetan bin. Für mich ist das hier mein zweites Zuhause.

Die ganze Revolutionsbewegung dort hat auch diesen Blog mitinspiriert. Und seither verfolge ich, wie viele andere wohl auch, mal mit Freude, oft mit Sorge, Wut und Traurigkeit, wie es politisch und gesellschaftlich dort weiter geht.

Speziell bei diesem letzten Aufenthalt hatte ich so gespaltene Gefühle wie selten zuvor. Die politische Situation in Cairo ist alles andere als spaßig zur Zeit. Präsident Sisi hat das Land unter ein festes Joch der Militärdiktatur eingespannt, die Zahl der politischen Häftlinge rangiert seit seinem Amtsantritt irgendwo in den hohen 10.000ern, sagt und liest und hört man, Menschenrechte gibt es de facto nicht mehr. Meine Gastgeberin dieses Jahr, die bereits seit zehn Jahren in Cairo lebt und für verschiedene NGOs arbeitet, meint, es sei so schlimm wie noch nie. Viele ihrer Freunde sitzen im Gefängnis, man hat keinerlei Redefreiheit mehr, Paranoia hat sich blitzartig ausgebreitet unter der Bevölkerung. Vermehrt sieht man wieder Bilder von Sisi in Läden, auf der Straße und an Autoscheiben kleben. Die Propaganda-Maschine sei so effektiv, so meine Mitbewohnerin, dass sie selbst völlig erschrocken war, wie sie letztes Jahr plötzlich den Wahlslogan „Sisi-Ra’esi“ (Sisi – Mein Präsident) nicht mehr aus dem Kopf bekam. „Das ist die totale Gehirnwäsche, die nach dem Fuck-up der Muslimbrüder auf komplett fruchtbaren Boden gefallen ist“, meint sie.

Grad gestern hat ein befreundeter Journalist noch ein Bild getwittert, auf dem zu sehen ist, wie er und seine Kollegen von einem Polizisten in Zivil und mit Waffe im Hosenbund abgeführt werden, weil sie am Tahrir drehen wollten. „Wir hatten alle Genehmigungen, trotzdem mussten wir mit“, sagt er. Eine Journalistenfreundin erzählt mir, bei ihr werde wöchentlich angeklopft, Equipment abgeholt, Kollegen zum Verhör zitiert. Das also ist nun wieder Alltag in Ägypten …

Für heute und morgen sind Demonstrationen angekündigt, Islamisten wollen auf die Straße gehen und haben zu Protesten aufgerufen. Die Regierung ihrerseits hat offen angekündigt, dass scharf geschossen werden darf, sollte jemand tatsächlich wagen, zu demonstrieren. Alles widerlich.

Auch die Rolle des Westens, mal wieder – sie haben in Sisi dann auch wieder einen Partner im sogenannten Kampf gegen die Islamisierung gefunden, auch Deutschland füttert den Polizeistaat ordentlich. Alles im Namen der Sicherheit.

Handfeste Diktatur ist zurück im Land, „Sout el Horeyya“, das war mal, ayyam zaman.

Das war also die Woche in Cairo – und dann, dann kam Luxor.

Meine Freundin und ich wollten noch eine Woche Urlaub dranhängen und fliegen in den Süden. Ein bisschen bedrückt von der Stimmung und die Befürchtung, es könnte wohl reichlich anstrengend werden, wenn zwei Mädels irgendwo Urlaub machen, wo allem Anschein nach kaum mehr ein Tourist hinkommt und man alle 1,5 Meter Kamele, Pyramiden, Papyrus, Felukken und Kutschfahrten angedreht bekommt.

Der Ehrlichkeit halber sage ich gleich, ja, auch das war zwischenzeitlich der Fall. Aber … sehr, sehr viel weniger als befürchtet, und in erster Linie waren sämtliche Menschen, mit denen wir zu tun hatten, wahnsinnig, nett, aufgeschlossen, freundlich und sanft. Ich hatte unglaublich schöne Gespräche mit den Jungs im Hotel, mit Leuten in Restaurants, mit Menschen an den Archäologischen Sehenswürdigkeiten. Der Anblick des leergefegten Tal der Könige bricht einem fast das Herz. Wo vor ein paar Jahren noch tausende Menschen täglich an den Königstempeln Schlange standen, waren wir komplett alleine.

Gähnende Leere im Tal der Könige

Gähnende Leere im Tal der Könige

Für uns als Touristen war das natürlich fantastisch – wann kann man sich schon mal so in Ruhe und ohne Gedränge solche einmaligen Dinge ansehen. Aber für die Menschen ist es eine absolute Katastrophe. Dass sich Touristen auch 3 Jahre nach der Revolution noch nicht trauen, das Land zu bereisen, bricht dem Land komplett das Genick. „Zum Glück haben die meisten hier große Familien, die auch Landwirtschaft betreiben, so können sie sich gegenseitig ernähren“, meint Moussa, der Typ, der unser Hotel leitet. Er hat es im Gegenteil zu vielen anderen geschafft, auch während der Krise seinen Laden am Laufen zu halten, mehr schlecht als recht. Und er hat Visionen. „Ich will Eco-Tourismus in Ägypten voran treiben, mit Kindern hier arbeiten, damit sie ein Bewusstsein für Umwelt und ihr Erbe bekommen. Aber wie denn ohne Touristen? Ich mein, Leute, es sind jetzt vier Jahre, es reicht langsam.“

Der Staat, so eine Bekannte, zahlt inzwischen sogar Futterbeihilfe an Besitzer von Pferdekutschen in Luxor und Umgebung, damit die Tiere nicht verenden. Das Bild ist wahnsinnig deprimierend und bricht mir das Herz. Zumal man bei den Leuten kein bisschen Bitterkeit spürt, oder Resignation. Sie machen weiter. Und warten tapfer ab, fegen vor ihren Läden, beleuchten ihre Schaufenster, dekorieren ihre Felukken, falls sich heute doch mal ein Tourist verirrt.

Am deutlichsten wird die Situation, wenn man am Nilufer die Flotte gähnend leerer, still vor sich hin schlafender Nil-Kreuzer anschaut. Davon fuhren früher täglich 3-4 den Nil rauf und runter. Heute verrosten und verstauben sie.

Die schlafenden Schiffe von Luxor

Die schlafenden Schiffe von Luxor

Ich komme mit all den Eindrücken noch immer nicht klar, auch jetzt, ein paar Tage nach meiner Rückkehr ins schöne, gemütliche, meinungsfreie, satte Deutschland nicht. Klar, Militärdiktatur ist großer, großer Mist, und dafür sind seit 2011 sicher nicht hunderte Menschen gestorben und tausende ins Gefängnis gewandert. Aber wenn man so auf die schlafenden Dampfer von Luxor schaut, denkt man sich, dass es auch okay ist, wenn den Leuten hier Demokratie grad herzlich egal ist, hauptsache, die Familie bekommt mal wieder was zu essen.


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