Die Kanzlerin bettelte, der Bundespräsident forderte, Minister sahen die Unabhängigkeit der Bundesbank in Gefahr, wenn der Vorstand des ehemals für die Geldpoltik zuständigen Hauses sich nicht sofort von seinem irgendwie und irgendwann missbräuchlich dort hingelangten Mitglied Thilo Sarrazin trennen würde. Im "Tagesspiegel" wurde plötzlich mit großer Geste enthüllt, wie die Parteien die Spitzenposten der Bundesbank als Versorgungslager für abgehalfterte Ex-Genossen nutzen, auch die "Frankfurter Rundschau", für die Thilo Sarrazin bei Amtsantritt nur ein "bunter Hund" und "Sparminator" gewesen war, entdeckt mit einem Mal, dass die Regierung die Bundesbank zur Versorgungsanstalt hat verkommen lassen.
Das ist der Euro in Gefahr und der Ruf in großer Not, denn wenn schon schlimm ist, dass die Politik der ehemals wichtigsten Bank des Landes nach Belieben Personal reindrücken kann und die Presse begeistert applaudiert, wie schrecklich ist es dann, wenn die Presse bei der Regierung wünschen kann, wen die unabhängige Bank wann wieder rausschmeißen muss?
Ein paar Jahre nur, mehr nicht, wird es dauern, bis auch das Ende des Skandals, der die Berufung von Thilo Sarrazin damals nicht war, heute aber unumstritten ist, als noch größerer Skandal die Runde macht. Dieselben Federn, die jetzt spitz beklagen, was sie vor 18 Monaten noch besinnungslos beklatscht haben, werden dann vermutlich wie immer raunen, sie hätten heute schon gewarnt. "Was wäre eigentlich", hat heute Morgen ein PPQ-Leser geschrieben, "wenn wir das Internet nicht hätten und die ganze Diskussion sich in den Medien abspielen würde?"
Keiner wüsste, wie es da draussen wirklich aussieht. Jeder würde denken, nur er allein denke so. So falsch. Alle lägen richtig. Und alles wäre verkehrt. Ein Syndrom, das das Ende der DDR um fünf bis sieben Jahre herausgezögert hat. Wer muckt, wird abgestraft, da ist selbst die Sozialdemokratie für Berufsverbote. „Wir kriegen ganz schön Dresche gerade dafür, aber manchmal muss man auch Dinge machen, für die man Dresche kriegt“, hat der SPD-Arbeiterführer Sigmar Gabriel einer Schulklasse in Dessau mit auf den Lebensweg gegeben, warum er eine Entlassung Sarrazins befürworte. Dessen Ansichten passten nicht zum "Weltbild der SPD". Die tausende SPD-Mitglieder, die sich inzwischen bei ihrer Partespitze über den geplanten Rauswurf beschwert haben, passen dann ja wohl aber auch nicht.
Sarrazin geht es auf kommodem Niveau wie seinerzeit dem anti-klerikalen Hetzer Giordano Bruno, der die Unendlichkeit des Weltraums und die ewige Dauer des Universums behauptet hatte. Was er sagt, ist in vielen Belangen wahr, nachprüfbar und richtig. Aber dass er es sagt, wird ihm als falsch ausgelegt, weil es den durch Stillschweigen hergestellten Glauben, alles werde schon irgendwie, wenn schon nicht gut, infrage stelt. Sarrazin habe „jede Chance gehabt habe, sich zu korrigieren und zu sagen, da habe ich mich verrannt, das ist falsch“, sagt Sigmar Gabriel, der sich gar nicht vorstellen kann, dass einer nicht abschwört, wenn es um die Karriere und den guten Ruf geht.
Wie Bruno, der selbst im nahegelegenen Wittenberg nichts Besseres zu tun hatte, als weiterzuhetzen, weigert sich Sarrazin jedoch. Die Konsequenzen sind auch bildungsfernen Randgruppen bekannt: Giordano Bruno, der in einer dunklen Zeit lebte, in der es noch keine deutsche Sozialdemokratie gab, wurde erst von den Calvinisten und später von den Lutheranern exkommuniziert und am 22. Mai 1592 schließlich von der Inquisition verhaftet. Sieben Jahre später verstieß man ihn wegen Ketzerei und Magie auch aus dem Orden der Dominikaner. Am Ende wurde er dann zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, der am 17. Februar 1600 auf dem Campo de’ Fiori entzündet wurde. Brunos Bücher kamen auf den Index der verbotenen Schriften, wo sie bis 1966 blieben.
Wenn die SPD sich mit dem Ausschlußverfahren gegen Sarrazin beeilt, könnte der Startschuss zur Wiederholung der Geschichte schon im kommenden Winter fallen. Das gäbe fast rundes Revival. Raus bei der Bundesbank, raus bei den Sozialdemokraten. Ein Lied noch hinterher, dreistimmig "Die Gedanken sind frei". Sarrazins Buch wäre dann wieder zu haben, ehe der letzte autochone Deutsche seine letzte Thüringer Bratwurst verzehrt.