Von Huanchaco nach Huaraz

Nach einem ausgezeichneten Frühstück in einem benachbarten Gästehaus, bei dem ich mit zwei kanadischen Motorradfahrern – Vater und Sohn – Bekanntschaft schloss, fuhr ich gegen halb Zehn morgens los. Das Dorf befreite sich allmählich vom Nebel. Surfer kamen bereits vom Meer zurück. Frauen in grell-leuchtenden Westen kehrten die Uferpromenade.

In Trujillo tankte ich nochmal voll. Dann ROAR! bog ich auf die Panamericana Norte. Und kämpfte wieder einmal gegen Hitze, unnachgiebigen Wind. Und Sand. Am anstrengendsten wurde es in den Dünen Los Médanos. In der Luft hing ein körniger weißlicher Schleier, der mit Entfernung die Straße immer dichter umhüllte, bis sie darin verschwunden schien. Autos, klein wie Ameisen, flimmerten am Horizont. Der Wind, sein Tosen, riss jegliche Versunkenheit, in die man beim Fahren auf langen Geraden gleitet, sämtliche Melodien und Bilder, die die Landschaft evoziert, fort – wie ein ungeschickter Handtaschendieb. Er rüttelte, schüttelte, er schlug – selbst die Konzentration schien er von mir reißen zu wollen. Und wieder flogen diese Dörfer im Nirgendwo an mir vorbei. Und manchmal, da fährt man 20 Minuten, 30 Minuten, und rechts huscht ein Haus vorbei. Ein einzelnes. Aus Holz, die Balken schief, einige Dachziegel verweht. Und dieses Haus, es hängt an der Panamericana, dieser grauen Lebensader mit seinem gestrichelten gelben Mittelstreifen, wie ein Patient am Tropf. Und vor der Tür sitzen Leute. Im Schatten. Und die Kinder sie rennen aus dem Schatten, winken, mit großen Augen, offenen Mündern. Und man fährt man weiter, 20 Minuten, 30 Minuten. Und seitdem kommt kein einziges Haus mehr. Und ich frage mich, wer in solch einer Gegend – so abgeschieden, so unbarmherzig – lebt. Und warum. Und wer er ist …

In Casma verabschiedete ich mich vom Pazifik. Ich bog ins Landesinnere. Und die Berge, die ehemals noch wie blasse unscharfe – vom Himmel kaum unterscheidbare – Silhouetten wirkten, traten allmählich hervor, wie Protagonisten des Schattentheaters aus der Leinwand: Sie bekamen ein Gesicht, Konturen, Farbe – Charakter. Ich passierte die bislang schönste Strecke. Ich hielt an einem Steinschlag. Die Arbeiter aßen gerade zu Mittag. Ich grüßte und fragte nach der nächsten Tankstelle – denn von der Küste bis nach Huaraz sollten es 160 km sein, 3000 Höhenmeter inklusive. Ich war erleichtert, als sie sagten, dass in 20 Minuten eine kommt.

Nach 20 Minuten kamen Grasbüschel. Muhende Kühe. Nervosität. Mein Motorrad begann zu stottern. Ich schaltete auf Reserve, eine Gallone noch, 70 Kilometer. Das ist der Teil am Motorradfahren, der mir kein Spaß macht: Befürchtungen und Hoffen.

Es kam schließlich doch noch eine. Nach einer Stunde, in einem Dorf namens Pariacoto. Diese Tankstelle aber glich einem Tante-Emma-Laden. Man servierte dort auch Mittagsgerichte. Im Lager hortete die Frau Benzin und Diesel. Mittels Trichter und Kanne goss sie mir zwei Gallonen ein. Ich saß auf der Bank, kaute Bananen. Ich hätte noch 80 km und circa eineinhalb Stunden Fahrt vor mir, sagte sie. Ich war ungläubig. Wir begannen ein Gespräch. Ich zeigte ihr eine Mappe, wo Feuerland ist. Sie staunte. Der völlig verschmierte Bauarbeiter neben mir schäkerte mit der Kassiererin, an einem Schokoriegel nagend. Ob ich auch nichts essen wolle? Nein, Señora, ich will weiter. Es war halb Drei. Sie, die Kassiererin und der Bauarbeiter saßen nun dicht an dicht auf der kleinen Holzbank. Sie machten Witze. Nein, ich komme aus Deutschland, aber die Kawasaki, die ist aus den USA. Ob ich sie mitnehmen könne, sie und die Kassiererin? Mein Antwort zündete nicht.

Dafür die Zündkerze. Was danach kam, das lernt man nicht in der Fahrschule. Das lernt man auf der Straße. Das war Kampf: 50 Kilometer Baustelle, hier wurde eine Straße gebaut. Schlaglöcher, ein ganzes Rad tief. Seitwärtige Neigungen mit Kies als Grund. Steine, groß wie Tennisbälle. Furten. ›Straßen‹, keine Fünf Meter breit … und von vorn kommt ein Betonmischer. Nicht abgesicherte Abhänge. Und ganz ganz tückisch: Sand. Dazu 180°-Kurven und Steigungen, die bei zu viel Gas das Vorderrad abheben lassen. Zweimal bin ich gestürzt. Oder besser gesagt, mir ist das Bike umgekippt. Bei zweiten Mal mussten mir die Bauarbeiter aufrecht helfen.

Dann war es endlich geschafft. Ich war sprachlos als ich Huaraz, umgeben von der Cordillera Blanca sah. Ich habe nie etwas Gigantomanisches gesehen. Eine Stunde Serpentinen-Fahrt abwärts forderten nochmals von mir das Letzte. Das Auffinden von Jo’s Place in Huaraz selbst glich dem Suchen nach der Nadel im Heuhaufen: Mit Ausnahme weniger großer Verkehrsachsen, nur Einbahnstraßen. Und: Die Verkehrsminister hier haben etwas ganz kluges erdacht. Sie haben die Straßennamen unter die Hausschilder geschrieben. Wenn die Häuser denn mal über solche Schilder verfügten.

Gut, es ist sogar möglich, ganze Namen auf ein Reiskorn zu schreiben.

Ich erreichte Huaraz nach 344 Kilometern. Um 17:24 Uhr.


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