Von der Steinzeit in die Unendlichkeit des Weltalls

Es gibt kein Patentrezept für ein gelungenes Theaterstück. Auch keines für Kinder. Aber es gibt Leute, die haben ein richtig gutes Händchen dafür und auch das Glück, aus dem Vollen schöpfen zu können. In jeder Hinsicht – sowohl was die eigene Kreativität betrifft, als auch die Umstände in denen sie tätig sind.

Einer jener Glücklichen ist Thomas Birkmeir, bekannt als künstlerischer Direktor des TdJ, aber auch als Autor und Regisseur. Vor der Sommerpause brachte er nun das letzte Stück der Saison im Theater in der Neubaugasse auf die Bühne. „Der Pirat im Kleiderschrank“ lädt Kinder ab 8 Jahren dazu ein, sich mit Gunnar, einem Jungen, dessen Vater vor wenigen Monaten an einem Autounfall verstarb und Capitain B.L.O.O.D durch Zeit und Raum zu reisen und dabei allerhand Abenteuer zu erleben.

Der Pirat im Kleiderschrank (c) Rita Newman Der Pirat im Kleiderschrank (c) Rita Newman

Gunnar, der unter dem Tod seines Vaters sehr leidet, wünscht sich nichts sehnlicher, als diesen noch einmal zu sehen. Und während er sein Wünschen schon aufgibt, geschieht das Unglaubliche: Aus seinem Kleiderschrank springt ein richtiger Pirat – mit allem, was so dazugehört: Piratenhut, Säbel, Piratenrock mit goldenen Knöpfen und einer großen Ledertasche. „Asyl, ich bitte um Asyl“, ruft er, nachdem er mitten im Kinderzimmer gelandet ist. Schon wenige Augenblicke später wird klar, der Schatz, den er mit Hilfe einer Schatzkarte zu finden versucht, kann von ihm nur gemeinsam mit Gunnar gehoben werden, denn dieser kann im Gegensatz zu ihm lesen.

Gunnar willigt ein, unter der Voraussetzung, dass er mit der Zeitkugel, die der Pirat zu bedienen weiß, seinen Vater wieder treffen kann. Und schon geht es los auf eine Reise quer durch Raum und  Zeit – angefangen in der Oberjura, in der sie einem Dinosaurier-Baby zuschauen können wie es aus einem Ei schlüpft, weiter über aufregende Erlebnisse in Indien oder Afrika. Nicht zuletzt landen sie wieder in Europa – aber zur Zeit Maria Theresias. Birkmeir, von dem sowohl der Text als auch die Inszenierung stammt, lässt sein Publikum in viele Genres eintauchen. Genres, die für gewöhnlich im Film und nicht auf der Bühne beheimatet sind.

Kämpfe gegen einen Brontosaurus Rex aber auch gegen den Minotaurus im Labyrinth von Knossos müssen ebenso bewältig werden wie die List von Robin Hood, der dem Piraten seinen kompletten gehorteten Schatz abnimmt. Wunderbare Szenenwechsel, die wie Kino-Überblendungen gestaltet sind, machen es möglich, dass sich Gunnar und der Capitain, der schließlich nicht zu seinem Gegenspieler sondern zu seinem Freund wird, in wenigen Augenblicken in einer anderen Zeit und einem anderen Raum befinden können. Hans Kudlich ist für das abwechslungsreiche und zugleich fantasievolle Bühnenbild verantwortlich. Dass den beiden Helden aber auch eine gehörige Portion Angst ständig im Nacken sitzt, dafür sorgt der „Wächer der Zeit“ (Horst Eder), der sicher nicht unbeabsichtigt Ähnlichkeiten mit Obi-Wan Kenobi aus dem „Krieg der Sterne“ aufweist. Er wird über lange Strecken via Filmeinspielung in Großformat auf die Bühne projiziert, sodass dabei garantiert kein Kinderherz unbeeindruckt bleibt.

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So spannend das Geschehen auch ist, es wartet zugleich auch an vielen Stellen mit einer unglaublichen Portion Witz auf. Vor allem in jener Szene, in der Frank Engelhardt als Maria Theresia auf die Bühne kommt und prompt Zwischenapplaus erhält. Seine / ihre 10jährige Tochter Marie Antoinette (Julia Edtmeier) hat zuvor versucht, Gunnar und seinen Piratenfreund im richtigen Benehmen von Untertanen zu unterrichten und das so humorvoll und mit einem bezaubernden Wiener Idiom, dass man sie vom Fleck weg von der Bühne holen und einen ganzen lieben langen Tag mit ihr verbringen möchte. Wahrscheinlich käme sie gerne mit, denn sie möchte nichts lieber, als weit weg vom Hof und ihrer Mutter fliehen – am liebsten bis nach Perchtoldsdorf! Der aktuelle Hinweis über die Kleiderfarbe, die Antoinette sich nach dem politischen Befinden in Österreich aussucht, erheiterte bei der Premiere vorzugsweise die Erwachsenen im Raum.

Die schauspielerischen Leistungen sind beeindruckend, noch dazu, wo fünf Ensemblemitglieder insgesamt 24! Charaktere darstellen. Florian Stohr wandelt sich dabei zum Gaudium aller vom heldenhaften Theseus in einen begnadeten Frisör. Jakob Elsenwenger beeindruckt als gerissener Robin Hood, bei dem man sich nicht mehr ganz sicher ist, ob das Wohl der Armen bei seinen Raubzügen wirklich im Vordergrund stand und Felicitas Franz verkörpert unter anderen Shakuntala, die in Indien unter ihrem despotischen Herrscher-Vater zu leiden hat. Der riesige, wippende Turban von Frank Engelhardt ist einfach atemberaubend.

Stefan Rosenthal schlüpft in die Rolle von Gunnar, der mit seinem Mut und seiner Intelligenz alle Herausforderungen meistert und dessen Fantasie „1000 Mal besser ist als die langweilige Wirklichkeit“. Uwe Achilles – der sich gleich zu Beginn als „hombre torro“  und als „Beswinger der Meere und Liebling der Frauen unter 53“bezeichnet, spielt Capitain B.L.O.O.D hinreißend, grandios und leidenschaftlich vom zerzausten Scheitel bis zur bestiefelten Sohle. Sein spanischer Akzent und seine Unwissenheit, was neuzeitliche Erfindungen wie die „Lampen-Tasche“ betrifft, geben immer wieder Anlass zu Heiterkeitsausbrüchen. Dass es am Ende ein Happyend gibt, versteht sich fast von selbst. Bis dahin aber darf mitgebangt werden, was das Zeug hält und en passant erhält man noch so manche mühelose Geschichtslektion mit so scharfsinnigen Zurechtrückungen bisheriger Geschichtskittungen.

Ein fulminantes Thertererlebnis für Kinder und nicht minder für deren Begleitungen, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Termine auf der Homepage des Theater der Jugend.


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