Von Simon Argus
Die Privatisierung öffentlichen Raums wird in der Geographie kritisch begleitet, wie an den Diskussionen um Gated Communities, Shopping-Malls oder - auf den ländlichen Raum bezogen - das Phänomen des Landgrabbing deutlich wird. Dabei handelt es sich bei der Zuteilung von Landrechten um einen ganz natürlichen Vorgang, wie Shin Lee und Chris Webster in "Enclosure of the Urban Commons" herausstellen: So werden Transaktionskosten gesenkt und eine effektivere Landnutzung möglich. Doch auch die Grenzen dieses ökonomischen Gedankenmodells werden beim Reality-Check schnell offenbar.
Tatsache ist, dass es nicht unbedingt daran liegen muss, dass die Kolonialherren Afrikas aus Europa stammten. Shin Lee und Chris Webster schreiben in ihrem Artikel "Enclosure of the Urban Commons" (2006), dass die Verteilung von Eigentumsrechten einer rationalen Logik folgt, die mit der zunehmend intensiven Nutzung von Land allgemeingültig ist: So kannten beispielsweise auch die Chinesen und Osmanen festgelegte Landnutzungs- und Eigentumsrechte.
Sind solche Rechte nicht festgelegt, besteht für jeden die Möglichkeit das verfügbare Land im eigenen Interesse zu nutzen. Dabei handelt es sich bei Land um ein Allmende-Gut: Niemand ist von seiner Nutzung ausgeschlossen, aber die Kapazitäten sind begrenzt. Ist die Weide einmal abgegrast ist sie für alle potenziellen Nutzer zumindest für eine ganze Weile wertlos. Man könnte natürlich versuchen jeden Nutzer der Weide im Gespräch davon zu überzeugen, sich etwas zurückzuhalten, um das saftige Grün länger zu erhalten. Solche andauernden Gespräche wären aber wahrscheinlich nur mäßig effektiv - und sie verursachten hohe "Kosten" - sogenannte Transaktionskosten.
Um die Weide (oder jedes andere Stück Land) effizienter und nachhaltiger zu nutzen, muss seine Nutzung eingeschränkt werden: Einige Interessenten müssen ausgeschlossen bleiben. Dort wo die Nachfrage das Angebot übersteigt ist der Preis eine effiziente Möglichkeit Nutzungsrechte zu verteilen: Derjenige der sich den größten Nutzen von der Weide verspricht, sollte die höchste Zahlungsbereitschaft aufweisen und folglich den Zuschlag erhalten. Um eine solche Transaktion möglich zu machen - das heißt um andere Interessenten vom Konsum des Gutes "Weide" auszuschließen - muss natürlich erst ein Zaun um den begehrten Acker gebaut werden.
Je mehr Nachfrager bereit sind für solche Nutzungsrechte einen Preis zu zahlen, desto höher steigt der Preis der gesamten Weide. Es kommt dazu, dass die bestehende Weide in immer kleinere Parzellen unterteilt wird, die sich dann mehr Nachfrager leisten können. Nun ist für jedes Stückchen Weide ein Nachfrager allein verantwortlich. In seinem eigenen Interesse wird er sie lange grün erhalten.
Ungefähr auf diese Weise dürfte vor 500 Jahren die heute so typische britische Landschaft mit ihren zahlreichen Hecken und Mäuerchen entstanden sein: Der Landadel stellte fest, dass Schafhirten, die ihre Schafe bis dahin kostenlos auf ihren Feldern gehalten hatten, dank der aufstrebenden Textilverarbeitung plötzlich sehr viel mehr verdienen konnten als sie selber. Wenige hundert Jahre später war das letzte Mäuerchen fertig und die Privatisierung der Landrechte auch politisch abgeschlossen (der Landadel war damals politisch sehr einflussreich).
Und damals wie heute zeigte sich an dieser Entwicklung ein nicht zu leugnender Nebeneffekt: Zahlreiche Menschen waren bei der Verteilung der Landrechte leer ausgegangen. Denn das Aushandeln dieser Rechte über die Zahlungsbereitschaft funktioniert nur so lange, solang auch jeder sein Interesse in Form einer Zahlungsbereitschaft ausdrücken kann - sprich: Man benötigt Geld (oder Landbesitz). Das Problem der landlosen Bauern begründen Lee und Webster außerdem mit dem unausgegorenen politischen System Großbritanniens zu dieser Zeit: Abgesehen vom Adel war die Bevölkerung nur unzureichend an der Politik und ihrer Macht beteiligt. Die landlose Bevölkerung konnte ihre Interessen also auch politisch nicht durchsetzen.
Die gleichen Entwicklungen und Unzulänglichkeiten bei der Verteilung von Landrechten lassen sich heute in vielen Teilen Afrikas und anderswo beobachten. Mehr und mehr Nachfrage nach dem verfügbaren Land (durch Bevölkerungswachstum oder durch das Auftreten neuer Interessenten, wie internationalen Lebensmittelkonzernen) führen zu einer immer präziseren Unterteilung von Nutzungsrechten - immer mehr Land wird vom Allmende-Gut zum privaten Gut. Und noch immer scheint das politische System der betroffenen Länder nicht in der Lage zu sein, die verschiedenen "Stakeholder" - also Interessengruppen - ausgewogen zu berücksichtigen.
Ein Beispiel ist hier Namibia: Die Menschen des San-Volkes (früher nannte man sie herabsetzend "Buschleute") lebten Jahrtausende lang vom Sammeln und Jagen in den sehr weiten Landschaften des südlichen Afrikas. Da die Intensität der Nutzung sehr gering war, wurde niemals zwischen "meinem" und "deinem" Land unterschieden. Dies änderte sich mit dem Zuzug unterschiedlicher anderer Bevölkerungsgruppen, wie der Bantu, der Herero und schließlich der Europäer. Während die aufkommenden Interessenkonflikte zu Zeiten der Bantu noch mit gelegentlichen Scharmützeln und einer Verdrängung der San in Richtung der trockeneren Kalahari beigelegt wurden, hatten die Europäer von zuhause die Idee der festgelegten Landrechte im Gepäck.
Hier waren es neben der fehlenden politischen Repräsentation vor allem auch schwerwiegende Kommunikationsschwierigkeiten und eine vollständige Missachtung von bestehenden Gewohnheitsrechten, die dazu führten, dass die San heute ohne Landrechte dastehen und auf den Farmen der Weißen, der Bantu oder der Herero als schlecht bezahlte Hilfsarbeiter beschäftigt sind. Jagen und Sammeln dürfen sie nicht mehr - ihrer Lebensgrundlage sind sie somit weitgebend beraubt. Von ihren geringen Einnahmen kaufen sie sich Säcke von Weizen- oder Maismehl, das ihre fast ausschließliche Nahrung darstellt. Auch wenn die "geordnete" Verteilung von Landrechten eine effiziente Methode darstellt, Land nachhaltiger zu bewirtschaften - so gibt es doch immer auch eine ganze Reihe Verlierer, solange die "perfekten" Modellannahmen nicht auf die Realität übertragbar sind.
Im Netz: - Der Artikel von Shin Lee und Chris Webster: Enclosure of the Urban Commons
- Ein weiteres aktuelles Beispiel zum Kampf um Landrechte aus Südafrika: Hier wird staatliches Land in großem Stil an internationale Konzerne verkauft. Legal natürlich.
Die Privatisierung öffentlichen Raums wird in der Geographie kritisch begleitet, wie an den Diskussionen um Gated Communities, Shopping-Malls oder - auf den ländlichen Raum bezogen - das Phänomen des Landgrabbing deutlich wird. Dabei handelt es sich bei der Zuteilung von Landrechten um einen ganz natürlichen Vorgang, wie Shin Lee und Chris Webster in "Enclosure of the Urban Commons" herausstellen: So werden Transaktionskosten gesenkt und eine effektivere Landnutzung möglich. Doch auch die Grenzen dieses ökonomischen Gedankenmodells werden beim Reality-Check schnell offenbar.
Leiden unter der Verteilung der ihrer Landrechte an andere: Die San in Botswana und Namibia. (Bild: eigenes Foto)
Der Artikel zum Thema Landgrabbing, der in der Geozentrale vor einigen Wochen erschienen ist, hat insbesondere hinsichtlich eines Details einige Reaktionen hervorgerufen: Landgrabbing, so wurde in dem Artikel behauptet, sei nicht illegal. Schwer zu glauben, angesichts des offensichtlichen Unrechts, das durch die Praxis des massenhaften Landkaufs großer Konzerne vor allem gegenüber der von Subsistenzwirtschaft lebenden Kleinbauern geschaffen wird. Tatsächlich lässt sich leicht argumentieren, dass ein europäisch geprägter Rechtsbegriff in ländlichen Regionen Afrikas kaum einen Wert hat - sind solche Rechtssysteme (und damit Landvermesser und Katasterämter) doch erst durch die koloniale Herrschaft in diese Gebiete eingezogen. Oder wie war das?Tatsache ist, dass es nicht unbedingt daran liegen muss, dass die Kolonialherren Afrikas aus Europa stammten. Shin Lee und Chris Webster schreiben in ihrem Artikel "Enclosure of the Urban Commons" (2006), dass die Verteilung von Eigentumsrechten einer rationalen Logik folgt, die mit der zunehmend intensiven Nutzung von Land allgemeingültig ist: So kannten beispielsweise auch die Chinesen und Osmanen festgelegte Landnutzungs- und Eigentumsrechte.
Sind solche Rechte nicht festgelegt, besteht für jeden die Möglichkeit das verfügbare Land im eigenen Interesse zu nutzen. Dabei handelt es sich bei Land um ein Allmende-Gut: Niemand ist von seiner Nutzung ausgeschlossen, aber die Kapazitäten sind begrenzt. Ist die Weide einmal abgegrast ist sie für alle potenziellen Nutzer zumindest für eine ganze Weile wertlos. Man könnte natürlich versuchen jeden Nutzer der Weide im Gespräch davon zu überzeugen, sich etwas zurückzuhalten, um das saftige Grün länger zu erhalten. Solche andauernden Gespräche wären aber wahrscheinlich nur mäßig effektiv - und sie verursachten hohe "Kosten" - sogenannte Transaktionskosten.
Um die Weide (oder jedes andere Stück Land) effizienter und nachhaltiger zu nutzen, muss seine Nutzung eingeschränkt werden: Einige Interessenten müssen ausgeschlossen bleiben. Dort wo die Nachfrage das Angebot übersteigt ist der Preis eine effiziente Möglichkeit Nutzungsrechte zu verteilen: Derjenige der sich den größten Nutzen von der Weide verspricht, sollte die höchste Zahlungsbereitschaft aufweisen und folglich den Zuschlag erhalten. Um eine solche Transaktion möglich zu machen - das heißt um andere Interessenten vom Konsum des Gutes "Weide" auszuschließen - muss natürlich erst ein Zaun um den begehrten Acker gebaut werden.
Je mehr Nachfrager bereit sind für solche Nutzungsrechte einen Preis zu zahlen, desto höher steigt der Preis der gesamten Weide. Es kommt dazu, dass die bestehende Weide in immer kleinere Parzellen unterteilt wird, die sich dann mehr Nachfrager leisten können. Nun ist für jedes Stückchen Weide ein Nachfrager allein verantwortlich. In seinem eigenen Interesse wird er sie lange grün erhalten.
Ungefähr auf diese Weise dürfte vor 500 Jahren die heute so typische britische Landschaft mit ihren zahlreichen Hecken und Mäuerchen entstanden sein: Der Landadel stellte fest, dass Schafhirten, die ihre Schafe bis dahin kostenlos auf ihren Feldern gehalten hatten, dank der aufstrebenden Textilverarbeitung plötzlich sehr viel mehr verdienen konnten als sie selber. Wenige hundert Jahre später war das letzte Mäuerchen fertig und die Privatisierung der Landrechte auch politisch abgeschlossen (der Landadel war damals politisch sehr einflussreich).
Und damals wie heute zeigte sich an dieser Entwicklung ein nicht zu leugnender Nebeneffekt: Zahlreiche Menschen waren bei der Verteilung der Landrechte leer ausgegangen. Denn das Aushandeln dieser Rechte über die Zahlungsbereitschaft funktioniert nur so lange, solang auch jeder sein Interesse in Form einer Zahlungsbereitschaft ausdrücken kann - sprich: Man benötigt Geld (oder Landbesitz). Das Problem der landlosen Bauern begründen Lee und Webster außerdem mit dem unausgegorenen politischen System Großbritanniens zu dieser Zeit: Abgesehen vom Adel war die Bevölkerung nur unzureichend an der Politik und ihrer Macht beteiligt. Die landlose Bevölkerung konnte ihre Interessen also auch politisch nicht durchsetzen.
Die gleichen Entwicklungen und Unzulänglichkeiten bei der Verteilung von Landrechten lassen sich heute in vielen Teilen Afrikas und anderswo beobachten. Mehr und mehr Nachfrage nach dem verfügbaren Land (durch Bevölkerungswachstum oder durch das Auftreten neuer Interessenten, wie internationalen Lebensmittelkonzernen) führen zu einer immer präziseren Unterteilung von Nutzungsrechten - immer mehr Land wird vom Allmende-Gut zum privaten Gut. Und noch immer scheint das politische System der betroffenen Länder nicht in der Lage zu sein, die verschiedenen "Stakeholder" - also Interessengruppen - ausgewogen zu berücksichtigen.
Ein Beispiel ist hier Namibia: Die Menschen des San-Volkes (früher nannte man sie herabsetzend "Buschleute") lebten Jahrtausende lang vom Sammeln und Jagen in den sehr weiten Landschaften des südlichen Afrikas. Da die Intensität der Nutzung sehr gering war, wurde niemals zwischen "meinem" und "deinem" Land unterschieden. Dies änderte sich mit dem Zuzug unterschiedlicher anderer Bevölkerungsgruppen, wie der Bantu, der Herero und schließlich der Europäer. Während die aufkommenden Interessenkonflikte zu Zeiten der Bantu noch mit gelegentlichen Scharmützeln und einer Verdrängung der San in Richtung der trockeneren Kalahari beigelegt wurden, hatten die Europäer von zuhause die Idee der festgelegten Landrechte im Gepäck.
Hier waren es neben der fehlenden politischen Repräsentation vor allem auch schwerwiegende Kommunikationsschwierigkeiten und eine vollständige Missachtung von bestehenden Gewohnheitsrechten, die dazu führten, dass die San heute ohne Landrechte dastehen und auf den Farmen der Weißen, der Bantu oder der Herero als schlecht bezahlte Hilfsarbeiter beschäftigt sind. Jagen und Sammeln dürfen sie nicht mehr - ihrer Lebensgrundlage sind sie somit weitgebend beraubt. Von ihren geringen Einnahmen kaufen sie sich Säcke von Weizen- oder Maismehl, das ihre fast ausschließliche Nahrung darstellt. Auch wenn die "geordnete" Verteilung von Landrechten eine effiziente Methode darstellt, Land nachhaltiger zu bewirtschaften - so gibt es doch immer auch eine ganze Reihe Verlierer, solange die "perfekten" Modellannahmen nicht auf die Realität übertragbar sind.
Im Netz: - Der Artikel von Shin Lee und Chris Webster: Enclosure of the Urban Commons
- Ein weiteres aktuelles Beispiel zum Kampf um Landrechte aus Südafrika: Hier wird staatliches Land in großem Stil an internationale Konzerne verkauft. Legal natürlich.