Vom Kardinalfehler zum Kardinalproblem - Die Bestechlichkeit des Wählers in der westlichen Welt

Gegen meine sonstigen Gepflogenheiten habe ich sowohl den Titel als auch nachfolgend den Text eines anderen Bloggers kopiert. "Ernst Wilhelm" heißt (oder nennt sich?) sowohl der Blogmaster als auch sein - auch hinsichtlich der anderen Artikel, z. B. über die jüngsten Jugendkrawalle in London, lesenswerter Blog.
Er formuliert explizit, was impliziter Hintergrund beinahe jedes meiner neueren Postings im vorliegenden Blog ist. Nur habe ich es noch nie geschafft, diese Meinung so schnörkellos und präzise zu formulieren.Daher bin ich "Ernst Wilhelm" für seine Zustimmung zu Reposting seines Aufsatzes herzlich dankbar.
Auch wenn der Originalartikel bereits am 22.10.2010 online gestellt wurde, ist kein einziges Wort überholt:
Patrick Welter hat es in der FAZ anschaulich dargestellt. Natürlich ist die griechische Politik nicht allein für die Euro-Misere verantwortlich. Und ebenso war es ein finanzpolitischer Kardinalfehler Belgien und Italien zum Eurogebiet zuzulassen, obwohl beide Länder mit einem Schuldenstand von mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die Eintrittskriterien nicht erfüllten. Und dennoch, das Problem ist ein anderes. Statt auf die Politik zu verweisen, sollten sich die Europäer lieber an die eigene Nase fassen.
Bei anderer Gelegenheit oder in der Zeit vor dem Beitritt Griechenlands zum Eurogebiet hätten die Deutschen mit Verachtung auf die Griechen geschaut. Doch nun ist die Lage eine andere. Zuerst wurde Griechenland herausgehauen. Dann mal eben schnell deutsche Kreditgarantien von 148 Milliarden Euro zur Stabilisierung desselben. Und auch in Deutschland sieht es nicht rosig aus. Im März 2010 betrugen die Verbindlichkeiten des Sektors Staat in der Bundesrepublik Deutschland rund 71 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Neuverschuldung Deutschlands im Jahr 2010 wird die Maastricht-Kriterien weit überschreiten. Und schon wird in der deutschen Regierungskoalition offen über Steuern- und Abgabenerhöhungen diskutiert. Denken wir also an die Geschehnisse in Athen in den letzten Wochen, so erscheint es immer wahrscheinlicher, dass wir ähnliches in einigen Wochen oder Monaten aus Berlin sehen werden. 
In der Tat, Griechenland ist nur ein besonders akuter Fall derjenigen Krankheit, die einen Großteil der westlichen Welt befallen hat. Die Unterschiede zwischen Griechenland und anderen Ländern wie Italien und Portugal und selbst Großbritannien und den USA sind nur gradueller Natur. Die Art des Problems ist die gleiche. Wie so viele andere westliche Nationen hat Griechenland über seine Verhältnisse gelebt. Dass Spekulanten an dieser Situation verdienen, ist moralisch bedenklich und mag eingeschränkt werden. Wer jedoch die internationale Finanzindustrie als Auslöser sieht, lügt sich in die eigene Tasche.
Beim Versuch der Erstürmung des griechischen Parlaments riefen die Demonstranten „Diebe! Diebe!“ Doch ihr Ärger war fehlgeleitet. Denn es schreit der eigentliche Missetäter „Haltet den Dieb“. Natürlich haben die griechischen Politiker betrogen, und manch einer wird sich auch bereichert haben. Aber nicht Diebstahl war das wirkliche Verbrechen der griechischen Politiker, sondern die Finanzierung auf Pump eines ungerechtfertigten und finanziell nicht nachhaltigen Lebensstandards für einen Großteil der griechischen Bevölkerung, im Tausch gegen Wählerstimmen. Und das Verbrechen eines Großteils der griechischen Bevölkerung war es, diese Hehlerware anzunehmen. Gewissensbisse gab es keine. Man ließ es sich gut gehen auf Kosten anderer.

Und diese Art von Verlogenheit gepaart mit Dummheit findet sich nicht nur in Griechenland sondern auch in Deutschland und vielen anderen Ländern der westlichen Welt. Es ist wohl das Kardinalproblem von Demokratien westlicher Prägung in der Welt von heute. Wenn diese Art von Demokratie in weiten Teilen der Bevölkerung nicht gepaart ist mit Ehrlichkeit, Selbstkontrolle, Vorsicht und Realitätssinn, wird sie nicht dauerhaft funktionieren. Eine Ironie des Schicksals, dass gerade die Wiegen der Demokratie, Griechenland, Großbritannien und die USA besonders an demokratischer Korruption leiden.

Doch die griechischen Demonstranten und so viele andere in der westlichen Welt wollen nicht wahrhaben, dass sie sich selbst betrügen. Denn eine Minderung von Löhnen, Subventionen und Vergünstigen ist nicht nur ökonomisch angezeigt, sie ist ganz einfach auch gerecht. Denn ein wesentlicher Teil des Einkommens ist nicht verdient. Politiker leihen sich das Geld und bringen es unter die Leute. Wie früher Könige dem Volk Almosen zuwarfen. Nur eben verschleiert. Dabei ist es doch langfristig so einfach: Damit hinten etwas rauskommen kann, muss vorne etwas reinkommen. Und was vorne reinkommt wird nicht mehr werden, ohne das Nachwachsen einer staats- und gesellschaftstragenden Jugend.


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