Michaela Preiner
„Anstoß. Ein Sportstück“ (Foto: Theater Arche) 10. Oktober 2018 Oper Sport und Theater haben einiges gemeinsam. Darauf hat nicht nur Wendelin Schmidt-Dengler in seiner Schrift „Hamlet oder Happel“ aufmerksam gemacht. Darin verglich er Fußball mit den Dramen von Shakespeare und Schiller und verwies pointiert darauf, dass man im Fußball, anders als beispielsweise bei Hamlet nicht wisse, wie denn das Spiel ausginge. Elfride Jelineks „Sportstück“ widmete sich dem Phänomen des Spitzensportes vor nunmehr schon 20 Jahren und jetzt eröffnet der Theatermacher Jakub Kavin seine neue Spielstätte für das Theater Arche in der Münzwardeingasse mit „Anstoß. Ein Sportstück“ Sowohl der Text als auch die Regie stammt von ihm selbst, der nun mit seinem Ensemble in das ehemalige Theater Brett eingezogen ist. In diesem ist er „aufgewachsen“, denn bis zum Tod seiner Mutter im Vorjahr, wurde es von seinen Eltern Nika Brettschneider seinem Vater Ludvik Kavin geführt. Nach der Entrümpelung von 11 Tonnen Material, einem neuen Anstrich im Vorraum und einer neuen Adaption des Bühnenraumes, geht es nun in sein erstes Jahr in diesem Haus. Solange keine Förderungen zugesichert werden, wird es nur wenige Eigenproduktionen geben, auf diese wird das Publikum und die Presse aber sicher genau hinschauen. Denn Kavin hat mit seiner „Theaterarche“ schon einige höchst akklamierte Produktionen auf die Beine gestellt.Mit „Anstoß. Ein Sportstück“ präsentiert er zugleich auch ein 16-köpfiges Ensemble, das sich für diese Arbeit intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hat. „Vom Aufwärmen bis zum tiefen Absturz“ könnte man den Abend auch untertiteln, denn Kavin breitet einen sportlichen Thementeppich mit vielen, einzelnen Szenen vor seinem Publikum auf. Dabei lässt er Spitzensportlerinnen und Spitzensportler zu Wort kommen und versieht trotz der Einzelbiographien dabei das Geschehen dennoch mit einem roten Faden. Dieser führt entlang des Aufbaues der Karrieren bis hin zu den Niederlagen oder tragischen Ereignissen.
Zu Beginn erlebt das Publikum noch während des Einlasses die Aufwärmphase der Truppe, bei der schon jede Menge Schweiss fließt.
„Anstoß. Ein Sportstück“ (Foto: ECN) „Anstoß. Ein Sportstück“ (Foto: ECN) „Anstoß. Ein Sportstück“ (Foto: Theater Arche) Der Fahrradfahrer Lance Armstrong, die Eiskunstläuferin Tonya Harding oder der Fußballer Robert Enke – um nur einige zu nennen, sind einige der Sportstars, die an diesem Abend unter die Lupe genommen werden. Deren Aufstieg und Fall wird auf jeweils wenige Minuten komprimiert, was zur Folge hat, dass das Stück ein hohes Tempo aufweist. Immer wieder gibt es dabei aber auch Reflexionsmomente, in welchen das Geschehen von anderen Perspektiven aus betrachtet wird. Wie zum Beispiel jener eines Fußballfans, der klarmacht, dass die Mannschaft ohne ihre Fans wertlos sei.Anders jedoch als in den Medien sonst üblich, lässt der Autor und Regisseur in Personalunion tief hinter die Glanzseiten des Spitzensportes blicken. Alkoholprobleme und Dopingmissbrauch, die ungewollte Vereinnahmung einer Spitzensportlerin von ihren Fans und Verletzungen werden so in Dialoge und Szenen gegossen, dass man das Gefühl hat, bei den tragischen Momenten live dabei zu sein.
„Zu einem guten Leben gehört auch Leid“, lässt er eine der Figuren dazu sagen. Eine besondere „Qualität“ weist in diesem Zusammenhang der 800-Höhenmeter-Absturz der deutschen Bergsteigerin Gela Allmann auf. Johanna König verfängt sich während der minutiösen Erzählung dieses lebensbedrohlichen Unfalles mit ihren Bergschuhen so kopfüber in einer Leiter, dass man hofft, dass sie dabei nicht die Kontrolle über ihren Körper verlieren möge. „Ich habe schon in vielen Theatern gespielt, aber noch nie musste ich eine Rolle so intensiv lernen. Als bei Probenbeginn das Blut in den Kopf schoss, während ich kopfüber auf der Leiter hing, war der Text weg“, erzählt die Schauspielerin, die sich in dieser Szene wie eine Athletin bewegen muss, diese Hürde aber letztlich mit Bravour schaffte. Auch Bernhardt Jammernegg liefert einen im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Auftritt ab. Dafür strampelt er, auf einem Podest von der Bühne erhöht, die erste Hälfte des Stückes permanent auf einem Ergometer. Dass er dazu auch noch die zynischen Aussagen des mehrfachen Tour-de-France-Siegers, Lance Armstrong, ohne Atemnot von sich geben kann, zeigt, wie trainiert der Schauspieler ist.
Mit der Anklage und Erzählung von Nikola Werdenigg über die Missbrauchsvorwürfe im ÖSV und die degoutant-geschickte Parade der Verantwortlichen des ÖSV-Kaders, spannt Kavin den Bogen bin hin in die aktuellen Debatten. Die ehemalige Skirennläuferin wird sogar an einigen Abenden selbst ihren Part auf der Bühne übernehmen.
Doch nicht genug der unterschiedlichen Blickwinkel, liefert Jörg Bergen als alkoholsüchtiger Fußballer Ulli Borowka noch jede Menge legendäre Sprüche ab, auch wenn die nicht von dem heute „trockenen“ Trainer stammen. „Es ist nichts scheißer als Platz zwei“, „Mailand oder Madrid – Hauptsache Spanien“ sind zwei davon und werfen ein humoriges Licht auf so manche sprachliche Kuriosität oder Bildungslücke des einen oder anderen Sportidols.
„Anstoß. Ein Sportstück“ (Foto: Theater Arche)„Anstoß. Ein Sportstück“ (Foto: ECN)
Mit einem überraschenden Schluss gelingt Jakub Kavin ein bühnentauglicher Einkehrschwung. Dafür verknüpft er den Text der Olympiahymne – auf Griechisch von Elisabeth Halikiopoulos vorgetragen, mit der Olympia-Arie aus Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach. Während Manami Okazaki dabei ihren großen Auftritt hat, agiert das Ensemble, als wären alle zu mechanischen Cyber-Menschen verwandelt worden. Mit der japanischen Sängerin erweist der Regisseur dem kommenden Austragungsort der Olympischen Sommerspiele im Jahr 2020, Tokio, seine Referenz. „Wenn wir schon die Möglichkeit haben, mit einer japanischen Koloratursopranistin zusammenzuarbeiten, so tun wir das selbstverständlich mit großer Freude“ – O-Ton des frisch gebackenen Theaterleiters.
Der Abend „Anstoß – ein Sportstück“ bietet trotz seiner hypertrophen Anlage oder vielleicht auch gerade wegen dieser – eine Unmenge an Diskussionsstoff. Er bietet zugleich auch die Möglichkeit, sich als Kulturfreak dem Thema Sport bequem von einem Theatersitzplatz aus zu nähern. Die Verschränkung von geistiger Bühnenarbeit und körperlichen Höchstleistungen wirkt in keinem Augenblick gekünstelt, was zeigt, wie gut sich das Ensemble auf diese Aufführung vorbereitet hat.
Mit den bereits Genannten, sowie Nicolaas Buitenhuis, Eszter Hollosi / Elisabeth Kofler, sowie Peter Matthias Lang, Nagy Vilmos, Saskia Norman, Corinna Orbesz, Sarah Victoria Reiter, Johannes Scherzer, Florian-Raphael Schwarz, Maksymilian Suwiczak und Tabea Stummer hat sich Kavin Schauspielerinnen und Schauspieler geholt, die für die Bühne brennen. Dementsprechend schwappt auch die Energie aufs Publikum über, das dem Geschehen auch räumlich sehr nahe rückt.
Der Probenbesuch lässt auf eine gelungene Premiere schließen. Wir wünschen nicht nur toi, toi, toi, sondern auch viel Glück im neuen Theater!
Weitere Termine auf der Website des Theater Arche.
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